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Sonntag, 15. Januar 2017

„akzentfrei“ von Yoko Tawada

In „akzentfrei“ versammelt Yoko Tawada 14 Essays, die den drei Kapiteln „In einem neuen Land“, „Nicht vergangen“ und „Französischer Nachtisch“ zugeordnet sind. Natürlich geht es in den Essays auch wieder um Kulturen – und Yoko Tawada taktet demnach auch mit einer besonderen Kultur auf; nämlich der Joghurtkultur. Und schon ist sie bei Europa und dem beliebten Thema Laktoseintoleranz:

„Europa trinkt Milch und erbricht nicht: Das war meine Definiton von Europa bis vor Kurzem.“ (S. 12)

In einem Band mit dem Namen „akzentfrei“ muss es freilich auch um den Akzent gehen. Jedoch wird Freiheit vom Akzent im Essay „Akzent“ eher nicht thematisiert. Vielmehr erhält der Akzent eine poetische und vor allem lebendige Definition:

„Der Akzent ist das Gesicht der gesprochenen Sprache. Seine Augen glänzen wie der Baikalsee oder wie das Schwarze Meer oder wie ein anderes Wasser, je nachdem, wer gerade spricht.“ (S. 22)

So singt Yoko Tawada ein Loblied auf den Akzent – die Freiheit davon ist da doch lieber gar nicht anzustreben.

In „Ein ungeladener Gast“ wirft die Autorin die für Muttersprachler irritierende Frage auf, warum der Singular einen eigenen Artikel verdient hat, aber jede zweite, dritte, vierte Sache sich mit demselben Artikel im Plural begnügen soll. Aber wo sie recht hat...

„Die unsichtbare Mauer“ schneidet in Zeiten eines Donald Trumps ein besonders aktuelles Thema an:

„Auf unserem wasserblauen Planeten werden immer wieder neue Mauern gebaut. Wo eine Mauer steht, ist das Leben auf beiden Seiten bedroht. Wo keine Mauer mehr steht, müssen wir gegen die eigene Wahnvorstellung kämpfen, dass die anderen, die keinen Kaugummi besitzen, rüberkommen könnten, um uns diese Luxusware wegzunehmen.“ (S. 72)

Wortakrobatik, Fremdsein, Fremdsprachen, Fukushima, Weinen, Knut, Roland Barthes und Claude Lévi-Strauss sind einige der vielfältigen Themen, die Yoko Tawada in „akzentfrei“ beleuchtet. Wie immer hat der konkursbuch Verlag auch das schmale Bändchen mit liebevollen Gestaltungselementen versehen. Und wie immer ist auch diese Yoko Tawada-Veröffentlichung ein Lesegenuss. Manchmal muss man schmunzeln, manches fällt dem Muttersprachler wie Schuppen von den Augen, aber immer wieder ist Überraschung angesagt, welche Entdeckungen Yoko Tawada im (vermeintlich) Alltäglichen tätigt.

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „akzentfrei“, konkursbuch, Tübingen 2016, ISBN 978-3-88769-557-6

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