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Montag, 1. Dezember 2014

„Freiwillige Selbsthinrichtung“ von Masahiko Shimada

Seit das Cover von Masahiko Shimadas „Freiwillige Selbsthinrichtung“ im Frühling dieses Jahres feststand, habe ich auf die Veröffentlichung hingefiebert. Jetzt ist es endlich soweit: Der erste ins deutsche übersetzte Roman von dem unkonventionellen Autor Masahiko Shimada ist publiziert – wenn auch der Titel auf den ersten Blick nicht sonderlich Lust aufs Lesen macht. Doch die initiale Assoziation täuscht gewaltig: Der Roman könnte gar nicht weiter weg von depressiven, Selbstmord-geschwängerten Gedankengängen angesiedelt sein, sondern wirkt passagenweise eher wie Slapstick auf Speed.

Masahiko Shimada führt den Protagonisten zunächst als den namenlosen „Mann auf Reisen“ ein; erst später gibt er ihm den Namen Yoshio Kita. Insofern ist Yoshio Kita ein jedermann, der Name ist nicht mehr als ein Platzhalter. Masahiko Shimada spricht in seinem kurzen Nachwort an, dass wahrscheinlich schon jeder – sei es noch so kurz und sei es noch so vage – mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt hat. Doch sein Protagonist Kita wird konkret und setzt sich im wahrsten Sinne des Wortes eine Deadline: In einer Woche, am kommenden Freitag, will er aus freiem Entschluss das Zeitliche segnen. In dieser Woche will Kita, der eigentlich gar nicht so genau weiß, wie er sich amüsieren soll, nochmal ordentlich einen drauf machen. Am Grab seines Vaters hat er bereits Abschied genommen, seine verwitwete, allein lebende Mutter möchte er noch ein letztes Mal sehen, aber ansonsten hat er noch keinerlei Pläne für seine letzten Tage geschmiedet.

Eine zufällige Begegnung zieht Kita in einen Strudel von Fremdbestimmtheit, Weibergeschichten, Versicherungsbetrug, Organhandel und Rauschzuständen: Nachdem Kita vom Grab seines Vaters in Dazaifu nach Tokio zurückgekehrt ist, teilt er sich ein Taxi mit dem zwielichtigen Yashiro, der sich zwar als Filmproduzent ausgibt, seine Finger aber in allerhand dunklen Machenschaften hat. Yashiro hat wie ein Bluthund einen Sinn dafür, wie er Kitas selbstmörderische Absichten für sich nutzbar machen kann und nimmt die Fährte auf. Zunächst vermittelt er Kita den Kontakt zu einem Porno-Sternchen und deren Clique. So lernt Kita unter anderem auch Zombie alias Izumi kennen, die als „unsterbliche“ Todeskandidatin in ihrem Freundeskreis bekannt ist. Niemand hat so viele fehlgeschlagene Selbstmordversuche auf dem Buckel wie sie. Mit Zombie und der Pornodarstellerin Mitsuyo begibt sich Kita in ein Onsen und plant mit den beiden seine nächsten Schritte. Was möchte er die letzten Tage seines Lebens noch erleben? Seine Ex-Freundin wiedersehen? Mit dem Starlet, das er anhimmelt, verkehren? Yashiro als Strippenzieher im Hintergrund macht einiges möglich – inklusive einer Erhöhung von Kitas knapper werdendem Budgets durch den Vorabverkauf von Kitas Organen. Doch Kita durchschaut sehr wohl, dass Yashiro ihn fernsteuert und ihm die Freiheit nimmt, seine letzten Tage nach freiem Gusto zu verleben. Zusammen mit dem Starlet verschwindet er; gemeinsam fingieren sie eine Entführung und werden so schnell zu Gejagten.

Auch wenn „Freiwillige Selbsthinrichtung“ kein purer Road-Trip ist, so trifft Kita doch „on the road“ allerhand Menschen, die ihre eigene Meinung und ihre eigenen Geschichten zum Thema Selbstmord haben. Da ist zum Beispiel Zombie, die mehr oder minder aufgrund von Nichtigkeiten Selbstmordversuche begeht und dabei Gott sei Dank immer wieder scheitert. Da ist das Starlet, das durch eine Marketing-Maschinerie gepresst wird, ihren Trost in der Bibel findet und daher Selbstmorde aus religiösen Gründen ablehnt. Da ist der Vater eines Chirurgen, der sich für einen langsamen Selbstmord entschieden hat, indem er sich zu Tode frisst. Da ist das alte Pärchen, das sein Haus verkauft hat, und ziellos durch Japan zieht, um den „Tod am Wegesrand“ zu finden. Masahiko Shimada schreibt in seinem Nachwort zu „Freiwillige Selbsthinrichtung“:

„Jugendlichen, die den Selbstmord mythifizieren […], wollte ich zeigen, Selbstmord ist nur lächerlich, also lasst es!“ (S. 242)

Und tatsächlich beschreibt der Autor Kitas Selbstmordgedanken und die Zeit bis zur Deadline als spaßiges, aber auch spannungsgeladenes Treiben. Doch er zeigt auch auf, dass der Selbstmord in erster Linie grausam, schmerzhaft und sinnlos ist. „Freiwillige Selbsthinrichtung“ wurde laut des Nachworts von Thomas Hackner durch die Erzählung „Leben zu verkaufen“ von Yukio Mishima, dem obersten literarischen Verklärer des Selbstmords, inspiriert. Jedoch verschreibt sich Masahiko Shimada einer Gegenposition zu Mishima.

Auch wenn Selbstmord das zentrale Thema von „Freiwillige Selbsthinrichtung“ ausmacht, streift Masahiko Shimada diverse andere gesellschaftliche Schieflagen: Junge Frauen machen ihren Körper zu Kapital, mit Organen wird Handel getrieben, senile Menschen werden sich selbst und ihrer eigenen Welt überlassen, Nicht-Essen oder Überfressen werden zum Ventil…

So schreibt Masahiko Shimada einen gesellschaftskritischen Roman, der an keiner Stelle langweilig oder dröge ist. Der Autor legt den Finger in so manche Wunde der postmodernen Gesellschaft – jedoch immer in ironischer, manchmal amüsanter Art und Weise. Wer hätte gedacht, dass ein Buch, das dem Selbstmord gewidmet ist, tatsächlich Spaß beim Lesen machen kann. Insofern hat Masahiko Shimada eine Punktlandung hingelegt und seinen eigenen Anspruch bezüglich der Entmystifizierung des Selbstmordkultes voll erfüllt: „Selbstmord ist lächerlich, also lasst es!“ (S. 242)

Bibliographische Angaben:
Shimada, Masahiko: „Freiwillige Selbsthinrichtung“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Hackner, Thomas), Abera, Hamburg 2014, ISBN 978-3-939876-15-1

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