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Sonntag, 4. November 2012

„Gyokusai“ von Makoto Oda

„Ein trefflicher Mann sollte besser ein zerspringender Edelstein werden, als sich einem gewöhnlichen Dachziegel gleichzumachen, nur weil dieser unversehrt bleibt.“
(Nachwort von Michaela Manke, S. 134 in Bezug auf die „Geschichte des Nördlichen Qi“ von Li Baiyao, 7. Jahrhundert)

Der Begriff „Gyokusai“ steht im Japanischen für den zerspringenden Edelstein – und während den letzten Zügen des Pazifikkriegs für den sicherlich fraglichen Heldentod von japanischen Soldaten, die gegen die übermächtigen US-amerikanischen Gegner anrannten. In Kriegsgefangenschaft zu geraten stand nicht zu Debatte – eher sollten sich die Soldaten mit einer Handgranate selbst töten, bevor sie sich dem Gegner schmachvoll ergeben. Neben der unbedingten Gehorsam laut der Konfuzianischen Ethik, dem Verbot des Sich-Ergebens laut dem Militärhandbuch tat der Staatshintoismus sein Übriges: In einem Totenkult wurden gefallenen Soldaten seit 1879 im Yaskukuni-Schrein verehrt.

Makoto Oda versetzt den Leser mit „Gyokusai“ direkt in die grausame Zeit des Pazifikkriegs. Gruppenführer Nakamura wird mit den ihm unterstellten Soldaten auf eine kleine Pazifikinsel, die Leyte vorgelagert ist, versetzt. Die Weisung lautet: „Mit dem eigenen Leib ein Wellenbrecher im Pazifik!“ Die Aussichtslosigkeit der Lage geht aus der Losung bereits hervor – der US-amerikanischen Übermacht kann man nur noch den bloßen Körper entgegen werfen.

Nakamura und seine Gruppe rüsten sich für den Angriff der Amerikaner und bauen Inselhöhlen aus, um sie als Rückzugsmöglichkeiten zu nutzen. Doch eigentlich wollen sie nicht bauen, sondern kämpfen. Als die ersten feindlichen Truppen landen, zeigt sich bereits deren Übermacht – den Japanern bleibt nur ein Partisanenkrieg zur Verteidigung der Insel. Doch gegen die gut ausgerüstete amerikanische Armee können die Japaner nur veraltete Gewehre einsetzen. Und die Kugeln werden mit der Zeit knapp. Von Angriff zu Angriff dezimiert sich die Gruppe, die Nakamura um sich schart. Die Amerikaner gehen zum Gegenangriff über und räuchern die Japaner in den Höhlen aus, lassen sie dort bei lebendigem Leib verbrennen.

Der Gedanke an einen japanischen Sieg ist den Soldaten bereits längst abhanden gekommen. Doch ergeben können sie sich nicht – sie wollen im Kampf ehrenvoll sterben. Selbst Flugblätter der Amerikaner können kein Umdenken bewirken.

Trotz aller Grausamkeit beschreibt Makoto Oda die Geschehnisse distanziert. Die Soldaten erscheinen nicht verzweifelt, sondern haben auf ihre Art bereits mit dem Leben abgeschlossen, resigniert. Damit geht die Tonalität kongruent.

Interessant an „Gyokusai“ ist zudem die Thematisierung der Diskriminierung von Koreanern: Nakamura wird der koreanische Unterfeldwebel Kon zur Seite gestellt. Im Heimatland Korea ist ihm seine Muttersprache verwehrt, er muss japanisch sprechen, soll sich als Japaner fühlen. Doch die Japaner sehen ihn nicht als Japaner, obwohl er Seite an Seite mit ihnen kämpft. Und auch eine japanische Prostituierte weiß von Koreanerinnen zu berichten, die als Trostfrauen zwangsrekrutiert wurden.

Im Nachwort geht Michaela Manke darauf ein, ob das Phänomen des Gyokusai denn ein ausschließlich japanisches sei. Denn schließlich gab es auch während des zweiten Weltkriegs in Deutschland den Begriff des Heldentods. Ist es nicht vielmehr so, dass der Wahnsinn des Kriegs Menschen ganz unabhängig von der Nationalität in den Tod treibt? Auch Nakamura und Kon sind im Grunde ganz normale Menschen – in einer ganz anormalen Situation…

Bibliographische Angaben:
Oda, Makoto: „Gyokusai“, Schiler, Berlin/Tübingen 2010, ISBN 978-3-89930-324-7

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