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Montag, 13. August 2012

„Finsternis eines Sommers“ von Takeshi Kaiko

In Europa treffen er und sie, ein ehemaliges Pärchen, wieder aufeinander. Sie, die sich als Waise bezeichnet und als Frau in Japan keine berufliche Perspektive im Wissenschaftsbetrieb hatte, war nach Europa gegangen und hat nach Jahren der Entbehrung die Chance erhalten, zu promovieren. Zwischenzeitlich hasst sie alles, was mit Japan zu tun hat – ihn selbstverständlich ausgenommen. Doch er ist gefangen in unglaublicher Lethargie. Deswegen bestehen die ersten hundert Seiten in Takeshi Kaikos Roman „Finsternis eines Sommers“ vor allem aus Beschreibungen von Schlafen, Sex und Essen. Erst danach wird offenbar, warum auch er mindestens so verloren ist wie sie.

Doch „Finsternis eines Sommers“ ist alles andere als ein tragischer Liebesroman. Schonungslos reflektiert er über sie:

„Das Erstaunen über das, was eine Frau in ihrer Einsamkeit innerhalb von zehn Jahren so alles zusammenbringt, ebbte ab, und was blieb, war der Blick auf eine Ödnis ohnegleichen.“ (S. 77)

Und auch sich selbst legt der männliche Protagonist unters Mikroskop:

„Ja, ich glaube fast, dass nichts besser zu mir passt als ein nächtlicher Zug voller Abfall und Lärm. Ein jeder hat die Energie verloren, das eigene Ich zu verdecken; alle sind nackt und bloß und starren sich mit Fisch- oder Froschaugen an, ohne sich zu schämen und den Blicken auszuweichen.“ (S. 120)

„Schwatzen ist Syphilis. Auch Selbstreflexion ist Syphilis. Für mich in meiner jetzigen Situation ist Friede Syphilis.“ (S. 223)

Wie der Titel des Romans bereits impliziert, lässt man sich auf sehr finstere Lektüre mit Takeshi Kaikos Werk ein. Auch kommt er streckenweise mit einer Handlung aus, die gegen Null geht. Der Reiz geht von den (selbst-)verletzenden Psychogrammen der Protagonisten aus und insbesondere davon, dass sich die beiden Japaner größtenteils in Deutschland aufhalten.

Bibliographische Angaben:
Kaiko, Takeshi: „Finsternis eines Sommers“, Edition Q, Berlin 1993, ISBN 3-86124-228-1

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