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Sonntag, 18. September 2011

„Meer und Gift“ von Shusaku Endo

In „Meer und Gift“ rollt Shusaku Endo Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs auf: Die Vivisektionen - also die tödlichen Operationen zu Versuchszwecken - an amerikanischen Kriegsgefangenen.

Der lungenkranke Ich-Erzähler zieht während der Nachkriegszeit in das neu entstehende Wohnviertel Matsubara-West vor die Tore von Tokio. Krankheitsbedingt ist er auf einen baldigen Arztbesuch angewiesen und es bleibt ihm nichts anderes übrig, die Praxis des kalten, unangenehmen Dr. Suguro regelmäßig aufzusuchen. Der Zufall spielt dem Ich-Erzähler einen ehemaligen Kommilitonen Suguros als Tischnachbar auf einer Hochzeit zu und so erfährt er, dass sein Hausarzt wegen Menschenexperimenten während des Zweiten Weltkriegs angeklagt und verurteilt wurde.

In Rückblenden schildert Shusaku Endo nun die Geschehnisse, wie der angehende Arzt Suguro, sein Kollege Toda und Schwester Ueda in die Machenschaften ihrer Vorgesetzten hineingezogen und so zu Mittätern an den menschenverachtenden Experimenten wurden. Im Gegensatz zum gealterten Suguro, der sich in Matsubara-West niedergelassen hat, ist der junge Suguro ein herzensguter Arzt, der insbesondere Wohlfahrtspatienten besonders gut behandelt. Aus eigener Schwäche kann Suguro seine Beteiligung an der Vivisektion nicht verhindern. Toda dagegen ist abgebrüht und handelt gewissenlos. Schwester Ueda wiederum rächt sich mit ihrer Beteiligung an der Ehefrau des operierenden Professors – so wird Schwester Ueda ein Geheimnis mit dem Professor teilen, das seiner sich als Heilige gebärdenden Ehefrau verschwiegen wird.

Wie in „Eine Klinik in Tokyo“ kommt der Krankenhausbetrieb ohnehin nicht gut weg: Den Ärzten geht es nicht um das Wohl der Kranken, sondern nur um die eigene Karriere. Und für die wird schon einmal das Leben der Patienten riskiert. Als nun das Militär auf die Professoren der Klinik mit dem Vorschlag der Vivisektion an amerikanischen Kriegsgefangenen zukommt, sind sie sich der Unrechtmäßigkeit dieser Operationen bewusst, rechtfertigen sie aber mit dem erzielten medizinischen Fortschritt.

„Meer und Gift“ ist nichts für schwache Nerven: Hier wird beschrieben, wie auf dem OP-Tisch verstorbene Patienten aussehen wie Granatäpfel. Wie einem amerikanischen Kriegsgefangenen die Lunge Stück für Stück entfernt wird, bis der Tod eintritt. Wie dessen Lunge den degenerierten Militärs zum Essen vorgesetzt wird.

Trotz der grausigen Taten sieht der Leser nach der Lektüre den verhärteten Arzt Suguro mit anderen Augen. Hätte er die Operationen verhindern können oder wäre er ohnehin dazu verdammt gewesen, den Menschenexperimenten hilflos zusehen zu müssen? So hat wohl der Tod des Kriegsgefangenen auch Suguros Seele sterben lassen.

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