Vor 100 Jahren starb Soseki – anlässlich dieses hundertsten Todestages veröffentlicht der Bebra Verlag den Roman „Der Bergmann“. Auch wenn der Ich-Erzähler im Werk an diversen Stellen immer wieder darauf hinweist, dass sein literarischer Erguss gar kein Roman sein kann, so kann dennoch vermutet werden, dass dies eher als eine kritische Spitze gegen den in der Meiji-Zeit idealisierten Ich-Roman zu verstehen ist.
Auch der Titel führt ein bisschen in die Irre. Denn in dem Roman geht es im Kern keinesfalls um das harte Leben eines Bergmanns. Vielmehr ist da ein 19-jähriges, verwöhntes Bürschlein aus Tokio, das aufgrund von unglückseligen Liebesbeziehungen von zu Hause ausbüchst. Eigentlich will er Selbstmord begehen, aber im entscheidenden Moment macht er doch immer wieder einen Rückzieher. Daher will er sich zumindest an einen möglichst abgeschiedenen Ort begeben, um im Dunkeln dahin zu darben.
Doch kaum ein paar Stündchen unterwegs, trifft er auf Chozo, der als Schlepper fürs Bergwerk fungiert. Im Ich-Erzähler findet Chozo ein williges Opfer für seinen Anheuerungsversuch: Wo, wenn nicht im Bergwerk, ist der Tod so nahe und das Dunkel so undurchdringlich? Ohne viel nachzudenken willigt der Ich-Erzähler ein – Chozo verfrachtet ihn schließlich mit zwei weiteren angeworbenen jungen Männern direkt ins Bergwerk.
Für den Ich-Erzähler brechen harte Tage an: Als verwöhntes Söhnchen aus Tokio zieht er den Spott der abgehärteten Bergmänner auf sich. Die Bettwanzen verhindern das gemütliche Einschlafen. Zu Essen gibt es nur billigen Reis, der wie Mörtel schmeckt. Und dann ist da natürlich auch noch das Bergwerk, in dem unter widrigsten Bedingungen härteste Arbeit verrichtet werden muss.
Einerseits fließen diverse psychologische Betrachtungen in den Roman mit ein, wie z.B. ob es einen festen Charakter einer Person gibt. Andererseits entbehren die Schilderungen auch nicht einer gewissen Komik, die dem Leser ein Grinsen ins Gesicht zaubern.
Der Übersetzer Franz Hintereder-Emde bettet in seinem Nachwort den Roman in den historischen Kontext ein (alternativ für Interessierte gibt es hier einen Text des Übersetzers als PDF): Etwa ein gutes, halbes Jahr vor der Veröffentlichung des Fortsetzungsromans in der Zeitung Asahi fanden der Kupfermine von Ashio Unruhen statt. Die Arbeiter protestierten gegen die Lohn- und Arbeitsbedingungen. Ein Zeitzeuge suchte Soseki auf, um Informationen für eine Geschichte zu den Unruhen und dem Leben als Bergmann zu verkaufen.
Eigentlich war für die Asahi der Roman „Frühling“ von Toson Shimazaki vorgesehen gewesen. Doch der Autor konnte nicht pünktlich liefern. Bei der Asahi musste die Literaturseite daher schleunigst anderweitig gefüllt werden. Soseki, der damals erst kurz bei der Asahi arbeitete, sprang ein und kreierte 96 Kapitel(chen) von „Der Bergmann“.
Sozialkritik klingt in dem Roman durchaus an, doch scheint das Werk für Soseki vor allem eine stilistische Spielwiese gewesen zu sein. Auch wenn aus der Ich-Perspektive geschrieben wird, so ist „Der Bergmann“ eben kein Ich-Roman im typischen Sinne.
Die humoristischen Betrachtungen, die psychologischen Reflexionen, die Coming-of-Age-Story und die Beschreibungen des Lebens der Bergmänner ergeben einen äußerst facettenreichen Roman, der leider viel zu schnell ausgelesen ist.
Bibliographische Angaben:
Natsume, Soseki: „Der Bergmann“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Franz Hintereder-Emde), Bebra, Berlin 2016, ISBN 978-3-86124-920-7
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