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Samstag, 15. November 2014

„Als die erste Atombombe fiel“ herausgegeben von Hermann Vinke

Wie kann man einem so unvorstellbaren Grauen wie dem der Atombombenabwürfe über Japan in einem Buch überhaupt gerecht werden? Es ist ein schieres Ding der Unmöglichkeit, die katastrophale Wirkung und das Ausmaß dieser ultimativen Waffen in ein einziges Werk zu bannen. „Als die erste Atombombe fiel“ öffnet eine Tür in den apokalyptischen Horror des Atombombenabwurfs über Hiroshima, indem der Band die Erinnerungen von Kindern präsentiert und die Geschehnisse in einen Zusammenhang stellt und kommentiert.

Da ist die Katastrophe selbst, die binnen einer Sekunde Menschen komplett verbrennt und in einen Schatten verwandelt, der sich in einen Mauerrest einbrennt; die Menschen aufdunsen und sich vor Durst in Wasserbecken und Flüssen ertränken lässt; die Familien auslöscht, Waisen zurücklässt. Doch da sind auch die Spätfolgen: Die Strahlung wirkt wie eine tickende Zeitbombe, bei der niemand weiß, wann der Zünder losgehen wird. Da ist der Jahrestag des Abwurfs, der alte Wunden immer und immer wieder aufreißt. Da ist der Korea-Krieg, der die Überlebenden vor Angst vor einem neuen Atomkrieg in den Selbstmord treiben kann.

Yoichi Fukushima, Sprecher der „Kinder von Hiroshima“ stellt auch die Schwierigkeiten dar, auf die Professor Osada, der die Kindererinnerungen sammelte, stieß. Für seine Veröffentlichung musste er nicht nur aus mehr als 3.000 ergreifenden Manuskripten auswählen, sondern auch abwarten, da er unter der US-amerikanischen Besatzung, die Berichte über die Unmenschlichkeit der Atomwaffen unterdrückte, die Erinnerungen der Kinder nicht publizieren konnte.

Jedes der Einzelschicksale berührt: Shigehiros Bruder hat das Frühstück schon vor seinen Geschwistern beendet und rennt kurz vor dem Abwurf nach draußen - zunächst hat er nur Brandwunden, dann dunst er auf zu einer Buddhafigur, Maden kriechen durch die eitrigen Wunden, bis er schließlich stirbt. Toshihiko und sein Vater laufen auf der Suche nach Mutter und Bruder an einem brennenden Haus vorbei, in dem ein Säugling schreit. Sie sind hilflos und müssen das Baby sterben lassen. Mutter und Bruder waren auf einem Arbeitsdienst und sterben nach dem Abwurf. Toshihiko legt seinem Bruder Bonbons in den Sarg und kann zunächst gar nicht fassen, dass er nun nur noch seinen Vater hat. Susumu geht zusammen mit seinem Vater auf die Suche nach der Schwester an einer Böschung vorbei, auf der eine Gruppe dahinvegetierender, aufgedunsener Schüler liegt und um Wasser bittet. Am nächsten Tag liegen die Schüler dort immer noch; viele sind bereits tot, die Überlebenden können nicht mehr sprechen, einer kann noch ein „Lebt wohl“ flüstern.

Doch „Als die erste Atombombe fiel“ erschöpft sich nicht in Nacherzählungen der Geschehnisse. So findet sich dort auch ein Interview aus dem Magazin metall mit Paul W. Tibbets, der damals die Atombombe über Hiroshima abwarf. Der Kontrast zwischen den emotionalen, traurigen Erzählungen und dem kaltherzig wirkenden Soldaten, der nur auf seine militärische Pflicht verweist, könnte kaum größer sein.

Auch zeigt Herausgeber Hermann Vinke auf, wie die Amerikaner systematische Forschung über die Auswirkung der Strahlung betrieben und den Überlebenden nicht nur aus humanitären Gründen halfen; die Opfer wurden zu Forschungsobjekten. Aber er macht auch darauf aufmerksam, dass den Opfern mit koreanischer Abstammung jahrzehntelang Hilfe in Japan verwehrt wurde. Erst Mitte der 70er Jahre konnte eine Selbsthilfegruppe Rechte für die koreanischen Hibakusha einfordern.

So präsentiert „Als die erste Atombombe fiel“ auch einen Überblick über das Danach. Es geht zu Herzen, wenn man liest, dass die meisten der Überlebenden über ihre nach dem Krieg geborenen Kinder sagen: „Sie sind alle gesund.“ – Doch die geheime Angst vor Erbschäden scheint in diesen Worten immer mitzuschwingen.

An dieser Stelle auch noch ein kleiner Hinweis: „Als die erste Atombombe fiel“ enthält eine kleine Auswahl von Professor Osadas gesammelten Manuskripten. Noch mehr dieser Kindererinnerungen finden sich in „Kinder von Hiroshima“ (Volk & Welt-Verlag bzw. als Lizenzausgabe im Röderberg-Verlag).

Bibliographische Angaben:
Vinke, Hermann (Hrsg.): „Als die erste Atombombe fiel“ (Übersetzung aus dem Englischen: Polz, Karin), Ravensburger, Ravensburg 1992, ISBN 3-473-58062-7

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