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Montag, 8. September 2014

„Überseezungen“ von Yoko Tawada

„Überseezungen“ – bereits der Titel von Yoko Tawadas Werk ist bedeutungsschwanger: „Übersetzungen“, „Über Setzungen“, „Über Seezungen“, „Übersee Zungen“… Das Versprechen des vieldeutigen Titels wird auch eingehalten: Die Wortakrobatin Yoko Tawada präsentiert ihre Lieblingsdisziplin der Jonglage in manchmal verspielter und manchmal surrealistischer Art und Weise. Sie spielt mit Worten, dem Alphabet, Schriftzeichen, Redewendungen, Sprachen, (nationalen) Identitäten und Geschlechterrollen.

So definiert sie in „Ein chinesisches Wörterbuch“ den Begriff des Kinos als „Institut für elektrische Schatten“ oder das Adjektiv schwindelerregend als „in den Augen blühen unzählige Blumen in voller Pracht“ (S. 31).

In „Bioskoop in der Nacht“ wird die Ich-Erzählerin, die als Japanerin in Deutschland ständig gefragt wird, in welcher Sprache sie denn träume, endlich erfahren, was das denn für eine urige Sprache ist, in der sie tatsächlich träumt. Obwohl sie noch nie in Südafrika war, ist ihre Traumsprache Afrikaans. Dafür hat sie auch eine plausible Begründung. Denn wenn man in der Sprache des Landes träumt, in dem die Seele wohnt, dann antwortet die Ich-Erzählerin:

„Ich habe viele Seelen und viele Zungen.“ (S. 70)

Mit „Die Ohrenzeugin“ webt Yoko Tawada einen Klangteppich, den sie in einem Universitätsgebäude in Cambridge auslegt. Hier werden allerhand (Fremd-)Sprachen geplappert, Tastaturen klappern vor den Computern, Schuhe dagegen auf dem Gang und natürlich analysiert die Ich-Erzählerin in der Fremde ihr Verhältnis zur Muttersprache im Vergleich zum Deutschen, der später angeeigneten Sprache:

„Ich war also ins Japanische hineingeboren worden, wie man in einen Sack hineingeworfen wird. Deshalb wurde diese Sprache für mich meine äußere Haut. Die deutsche Sprache jedoch wurde von mir hinuntergeschluckt, seitdem sitzt sie in meinem Bauch.“ (S. 103)

Yoko Tawada zeichnet auch ein „Porträt einer Zunge“: In den USA freundet sie sich mit P an; einer Deutschen, die schon lange Zeit im Ausland lebt. P vermischt englische Begriffe mit deutschen; benutzt deutsche Begriffe, die in Deutschland kaum mehr Verwendung finden und weiht die Ich-Erzählerin in englischsprachige Begriffe ein. Dennoch spricht P mit Akzent, was auch sicherlich gut ist, denn:

„Der Akzent bewahrt die Erinnerungen an die Muttersprache auf. Ohne den Akzent könnte man von den Gegenwart der Fremdsprache verschluckt werden.“ (S. 135)

14 längere und kürzere Erzählungen, Kurzgeschichten und Notizen umfasst „Überseezungen“. Bei der Lektüre sollte man sich Zeit lassen und sich die Texte wahrlich auf der (Übersee-)Zunge zergehen lassen. Yoko Tawadas Werke sind einfach immer wieder ein Lesegenuss!

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „Überseezungen“, Konkursbuch, Tübingen 2002, ISBN 3-88769-186-5

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