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Dienstag, 27. August 2013

„Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ herausgegeben von Akiko Terasaki & Ilse Lenz

Schon öfters bin ich in japanischen Romanen über die Namen Sakae Osugi und Noe Ito gestolpert. Das tragische Anarchistenpaar, das von der Polizei nach dem großen Kanto-Erdbeben umgebracht wurde, birgt eine gewisse Faszination in sich. Wer sich mit den beiden näher beschäftigen will, der findet in „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ ausgiebig Stoff. Eingeleitet wird der Band mit einer ausführlichen Biographie Noe Itos, die im Zentrum des Interesses der Herausgeberinnen steht.

In „Trennung“ schreibt Noe Ito über die Trennung von ihrem ersten Ehemann Jun Tsuji. In dieser Ehe fand sich die Autorin in die Rolle der unterwürfigen Frau gedrängt. Das Zusammentreffen mit Sakae Osugi verstärkte Noe Itos Wunsch nach einer Trennung und schließlich arrangierte sie sich mit Sakae Osugis Vorstellung von „freier Liebe“:

„Wenn Osugi mehrere Geliebte hätte und ich das gebe, was nur ich ihm geben kann und nur das nehme, was ich mir wünsche, und damit mein eigenes Leben erweitern kann, wäre ich damit wohl zufrieden und würde mich ermutigt fühlen, meinen eigenen Weg zu gehen.“ (S. 40)

In „Von einer Frau an ihren Ehemann“ legt die Feministin Noe Ito ihr eigenes Rollenverhalten unters Mikroskop und bemerkt, dass sie in der Ehe mit Sakae Osugi sehr traditionell reagiert – am liebsten möchte sie ihren Mann schon kratzen, bevor es juckt. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie nur auf Distanz zu ihrem Ehemann sie selbst sein kann, indem sie sich selbst zum Maßstab setzt.

Neben diesen sehr persönlichen Werken enthält der Band aber auch Texte mit stärkerem gesellschaftskritischem Gewicht. In „Realität ohne Regierung“ thematisiert Noe Ito die ländliche Dorfgemeinschaft, die ihre Angelegenheiten ohne Autoritäten regelt und sich selbst organisiert, als ein funktionierendes Beispiel für anarchistischen Kommunismus. In „Gespräche mit streikenden Frauen“ zeigt die Autorin Missstände im produzierenden Gewerbe auf. So war es beispielsweise keine Seltenheit, dass eine Arbeiterin gegen sieben Uhr morgens zu arbeiten begann und erst um elf Uhr abends „Feierabend“ machen konnte. In einem „Grußwort“ spricht Noe Ito die Kluft zwischen Arbeiterinnen und Frauen der Mittelschicht an. In „Klassenantipathien“ nimmt sie dieses Thema nochmals aus einem persönlichen Blickwinkel auf: Noe Ito fühlte sich, seitdem sie in ein Arbeiterviertel gezogen war, fehl am Platz. In „Frauen, die zur Speise dienen“ prangert sie den Usus an, dass Familien ihre Töchter wie Sklavinnen in die Prostitution verkaufen.

Doch auch zwei Texte von Sakae Osugi sind in dem vorliegenden Band enthalten: In „Die freie Liebe, nach der ich mich sehne“ schreibt Sakae Osugis darüber, dass wahre, freie Liebe nur dann gelebt werden kann, wenn ökonomische Zwänge und Abhängigkeiten entfallen. In dem Text aus dem Jahr 1905 gesteht er den Frauen dieselbe sexuelle Freizügigkeit wie Männern zu.

In Sakae Osugis „Geschichte, wie ich einen Geist gesehen habe“ wird es wieder sehr persönlich: Hier beschreibt der Autor den Mordversuch von Ichiko Kamichika an ihm und er zeigt die Hintergründe der Tat auf. Mit einem weiteren Text ist sogar Ichiko Kamichikas Aussage bei der Polizei enthalten.

Abgeschlossen wird der Band mit einem Nachwort der Herausgeberinnen, in dem sie auf die Erkenntnisse der Anarchistin Itsue Takamure zur historischen Rolle der Frau in Japan eingehen.

Mit „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ ist ein spannendes Sammelsurium gelungen, das neben feministischen und sozialen Themen auch intime Dramen (wie den Mordversuch von Ichiko Kamichika) enthält. Die tragischen Figuren von Noe Ito und Sakae Osugi werden durch persönliche Texte zugänglich gemacht und gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Hintergründe beleuchtet.

Bibliographische Angaben:
Terasaki, Akiko & Lenz, Ilse (Hrsg. & Übers.): „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“, Karin Kramer Verlag, Berlin 1978

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