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Donnerstag, 4. Februar 2016

„Sandakan Bordell Nr. 8“ von Tomoko Yamazaki

Tomoko Yamazakis „Sandakan Bordell Nr. 8“ kann einem gewaltig aufs Gemüt schlagen. Denn die Autorin hat sich einem besonders bitteren Thema verschrieben – nämlich die Schicksale von Japans Auslandsprostituierten, den Karayukisan, nachzuzeichnen. Und so begleitet der Leser Tomoko Yamazaki auf den Amakusa-Archipel, wo sie ehemalige Karayukisan ausfindig machen will. Doch die Schriftstellerin merkt schnell, dass sie nur ganz behutsam Zugang zu den ehemaligen Prostituierten finden kann. Über die Karayukisan will so schnell niemand mit einer Fremden sprechen.

In einem kleinen Restaurant macht Tomoko Yamazaki die Bekanntschaft mit der alten und völlig verarmten Osaki. Vermutlich ist Osaki eine ehemalige Karayukisan. Um ihr Vetrauen zu gewinnen, nistet sich Tomoko Yamazaki für einige Wochen bei ihr ein. Wie eine Ethnologin erlebt sie so den Alltag von Osaki mit und lässt sich nach und nach deren Lebensgeschichte erzählen, die eine sehr bittere ist.

Osaki wird Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Als ihr Vater stirbt, stürzt die Familie in absolute Armut. Die Mutter heiratet erneut, Osaki und ihre Geschwister sind künftig auf sich alleine gestellt. Aufgrund der großen Armut auf dem Amakusa-Archipel ist es nichts Ungewöhnliches, dass junge Mädchen als Prostituierte ins Ausland verkauft werden. Die kleine Osaki hat keine Ahnung, was sie sich antut, als sie im Alter von 10 Jahren einwilligt, ins Ausland zu gehen. Ein Mädchenhändler nimmt sie mit nach Sandakan auf Borneo. Zunächst ist Osaki noch eher Haushaltshilfe, aber mit 13 Jahren muss auch sie anschaffen gehen. Bis zu 30 Freier am Tag hat sie zu bedienen. Und trotzdem werden ihre Schulden, die sie bei ihrem Zuhälter abarbeiten soll, glatt nicht weniger. Irgendwann wird Osaki dann die Nebenfrau eines Engländers, was einen gesellschaftlichen Aufstieg und Zugang zu Geld bedeutet. So kann sie endlich ihren Bruder in der Heimat finanziell unterstützen.

Als der Engländer Borneo verlässt, kehrt auch Osaki einstweilen heim nach Japan. Obwohl ihr Bruder dank des von ihr erwirtschafteten Geldes ein Haus bauen und heiraten kann, ist sie alles andere als ein gern gesehener Gast. Schließlich geht sie erneut ins Ausland und arbeitet als Bardame. Immerhin findet sie einen annehmbaren Ehemann und bekommt einen Sohn. Doch der Mann stirbt und nach Kriegsende lebt sie von der Hand in den Mund. Selbst der eigene Sohn will bald nichts mehr mit ihr zu tun haben. Er schämt sich für seine ungebildete Mutter, die sich in jungen Jahren prostituiert hat. Ein bisschen Geld schickt er ihr monatlich – gerade so viel, dass sie nicht verhungern muss. Sie fristet ihr Dasein in einem Dreckloch, in das Tomoko Yamazaki kurzzeitig mit einzieht.

Neben Osakis Schicksal zeichnet die Autorin auch die Lebenswege von Osakis ehemaligen Kolleginnen auf. Waren deren Leben als Karayukisan schon schrecklich, so trifft es sie nach Kriegsende erneut hart. Die eine geht an einer spät auftretenden Syphilis zu Grunde, die andere ist so verzweifelt, dass sie sich selbst das Leben nimmt.

Osakis Leben geht einem sehr schnell sehr nahe. Mit einfachen Worten wird da ein Schicksal geschildert, das ab dem Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt ist, als sie in die Prostitution verkauft wird. Sie opfert sich für die Männer in ihrem Leben auf und erntet nichts weiter als Verachtung. Da tut es gut, im Nachwort der englischen Ausgabe, die teilweise über Google Books verfügbar ist, zu lesen, wie wichtig es für Osaki war, dass ihr als ehemalige Karayukisan und als Analphabetin durch Tomoko Yamazakis Buch endlich eine Stimme verliehen wurde. Dank der Veröffentlichung konnten sich Osakis Lebensverhältnisse wenigstens etwas zum Besseren wenden.

Trotzdem ist „Sandakan Bordell Nr. 8“ harte Kost und der Leser kann sich darauf einstellen, diverse negative Gefühle während der Lektüre zu durchlaufen. Nichtsdestotrotz kann ich das Buch nur jedem ans Herz legen, der sich für japanische Frauenschicksale interessiert. Osakis Leben hat es verdient, erzählt und gelesen zu werden.

Bibliographische Angaben:
Yamazaki, Tomoko: „Sandakan Bordell Nr. 8“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Sumoto-Schwan, Yukiko & Schwan, Friedrich B.), Iudicium, München 2005, ISBN 3-89129-406-9

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