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Mittwoch, 14. Oktober 2015

„Der Dieb“ von Fuminori Nakamura

Besitzt jemand Macht über Dein Schicksal – oder war es Dein Schicksal, dass der andere über Dich bestimmt? Der Spielraum, inwieweit sich das eigene Schicksal selbst bestimmen lässt, ist eines der Hauptmotive, die in Fuminori Nakamuras „Der Dieb“ thematisiert werden.

Fuminori Nakamuras Taschendieb treibt in Tokio sein Unwesen. Doch seine Opfer sind meist wohlhabend wirkende Männer, die Glück im Unglück haben: Der Dieb nimmt nur das Bargeld und wirft die Geldbörsen in Briefkästen, damit die Portemonnaies ihren Weg zurück zu den legitimen Besitzern finden. Für die Robin Hood-Attitüde des Diebs spricht zudem, dass er sich eines kleinen Jungen annimmt, der von dessen Mutter auf Diebeszüge durch Supermärkte geschickt wird. Zwar nicht gerade freiwillig zeigt der Dieb dem Buben den einen oder anderen Trick, wie dessen Stehlstrategien zu optimieren sind.

Doch ansonsten ist der Dieb ein einsamer Zeitgenosse. Die einzigen beiden Bezugspersonen (seine Geliebte Saeko und sein Kompagnon Ishikawa) sind verschwunden. Doch der Dieb hat auch erkannt, dass er Bindungen an die Gesellschaft ablehnt: Steht er vor der Wahl von Status Quo oder Veränderung, so wählt er stets die Veränderung. Nur eine Konstante scheint es im Leben des Diebes zu geben: die Vision eines Turmes, der sich allmächtig und absolut in der Ferne abzeichnet.

Der Alltag des Diebes wird jäh durchbrochen, als ihn die Vergangenheit wieder einholt. Der Yakuza Kizaki hatte ihn einst wegen eines Einbruchs angeheuert, der dem Dieb fünf Millonen Yen und der Politik einen gehörigen Schock eingebracht hat. Kizaki zwingt den Dieb, erneut für ihn tätig zu werden. Dem Dieb bleibt keine andere Wahl in der Topdog-Underdog-Situation, als für Kizaki drei Männer zu beklauen.

Fuminori Nakamura schreibt mit „Der Dieb“ einen Roman Noir, der aber erst in der zweiten Hälfte mit dem Wiedersehen mit dem sadistischen und machtbesessenen Yakuza Kizaki Fahrt aufnimmt. Kizaki will absolute Macht über seine Mitmenschen und insbesondere den Dieb erringen. So wirkt er wie der Turm in der Ferne, den der Dieb in seinen Visionen sieht – Kizaki überblickt wie der Turm das gesamte Leben des Diebs und strahlt allmächtige Stärke aus.

Interessant an „Der Dieb“ ist, dass der Roman keinem Schema F folgt. Erst plätschert die Handlung dahin mit zugegebenermaßen auch einer spannenden, aber ansonsten eher ruhigen Rückblenden, da taucht in der zweiten Hälfte des Romans nochmals der große Unhold Kizaki auf und lässt den Dieb drei spannende Diebstähle begehen. Und erst das Ende…

Zudem verstört die Lektüre – jedoch auf eine nicht unangenehme Art. Da sind z.B. die düstere Stimmung, das Metaphorische des omnipotenten Turms und die (Macht-)philosophischen Ansichten des Yakuza Kizaki.

Mit guten 200 Seiten ist Fuminori Nakamuras „Der Dieb“ ein eher kurzes Leseabenteuer. Doch es scheint so, als sei der Diogenes Verlag bereits mitten in den Vorbereitungen für die Übersetzung von „Evil and the Mask“ – eine längere Exkursion ins Noir Genre à la Fuminori Nakamura kann also erwartet werden.

Bibliographische Angaben:
Nakamura, Fuminori: „Der Dieb“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Eggenberg, Thomas), Diogenes, Zürich 2015, ISBN 978-3-257-06945-7

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