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Mittwoch, 29. Februar 2012

„Mutter töten“ von Hiromi Ito

Acht Gedichte und Texte enthält Hiromi Itos noch nicht mal 30 Seiten umfassendes Büchlein „Mutter töten“. Die Themen kreisen um Grenzgänge, Sex, Geburt und Tod. Hiromi Ito provoziert: Sie bringt den ach so noblen Heldentod des Seppuku in Verbindung mit Onanie („Im Angesichte einer Frau Seppuku zu begehen, das wäre das Höchste / (Onanieren) / Samurai / (Onanieren)“, S. 7), schlechtem Sex („Dass er drin ist, krieg ich gerade noch mit“, S. 11), abgeklärten Beerdigungen („Tja, das passt nicht mehr rein, sagt der Beamte zu den Angehörigen wie zu sich selbst, und mit bloßen Händen zerbricht er, krickkrack, die Knochen und stopft sie in die Urne“, S. 16f.), Abtreibungen und Hass den eigenen Eltern gegenüber.

Hiromi Itos Texte sind sehr persönlich: So schreibt sie über die Abtreibung ihrer Tochter Kaneko in „Kaneko töten“, die im realen Leben aber durchaus das Licht der Welt erblickt hat. Die Einäscherung ihrer Schwiegermutter und das Verhältnis zu ihrer Mutter, als Hiromi Ito Anfang 20 war, sind weitere Themen. Ihre Aussagen sind mehr als provokant, bspw. gratuliert sie zur Abtreibung mit einem mehrfachen „Herzlichen Glückwunsch zur Ausrottung“ und ruft ihre Freundinnen dazu auf, ihre Kinder auszusetzen. Das Aussetzen von Kindern scheint ohnehin ein beliebtes Thema der Autorin zu sein, lässt sie sich doch auch in „Das anarchische Aschenputtel“ über das Phänomen der bösen (Stief-)Mutter in Märchen aus.

Dienstag, 28. Februar 2012

„Der Hai von Shinjuku – Rache auf chinesisch“ von Arimasa Osawa

Kommissar Samejimas zweiter Fall hat es in sich: Bei einer Observierung eines illegalen Mahjong-Clubs beobachtet Samejima einen gefährlich aussehenden Taiwanesen. Als er mit seiner Freundin Sho privat in Shinjuku unterwegs ist, kreuzt der Unbekannte unversehens erneut seinen Weg. Als Samejima bemerkt, dass der Taiwanese von einem Yakuza verfolgt wird, heftet er sich an deren Fersen. Er wird Zeuge von einem beeindruckenden Kampf: Mit wenigen Schlägen wehrt der Taiwanese den bald krankenhausreifen Yakuza ab, als er in einer Gasse angegriffen wird. Samejima gibt sich als Polizist zu erkennen – gleiches gilt für den Taiwanesen namens Guo, der angibt, Kommissar in Taipeh zu sein und in Japan Urlaub machen zu wollen. Überprüfungen ergeben, dass Guo tatsächlich der taiwanesischen Polizei angehört, doch den Japan-Urlaub nimmt Samejima dem Kommissar nicht ab. Er soll recht behalten: Guo hat sich an die Fersen eines taiwanesischen Auftragsmörder namens Giftaffe geheftet, der Rache an einem Landsmann nehmen will, der wiederum bei einem japanischen Yakuza Unterschlupf gesucht hat. Samejima befürchtet ein Gemetzel unter den Yakuza und versucht, das Schlimmste zu verhindern…

Arimasa Osawa erzählt „Der Hai von Shinjuku – Rache auf chinesisch“ aus mehreren Erzählperspektiven. Der Effekt in diesem Fall: Irgendwie fiebert man sowohl für den Helden als auch für den Anti-Helden mit. Leider können nicht beide triumphieren.

Trotzdem entbehrt der Roman nicht eine unfreiwillige Komik: Harte Cops, die Eiskaffee bestellen und Schlafanzüge tragen – das passt irgendwie nicht in das Bild eines einsamen Wolfs. Und leider wirkt der ansonsten so coole Samejima gegen seinen taiwanesischen Kollegen ein bisschen wie ein Weichei.

Der zweite Teil der Samejima-Reihe ist weitaus spannender, rasanter, aber auch brutaler als der Vorgänger „Der Hai von Shinjuku – Sodom und Gomorrha“. Vorkenntnisse aus dem ersten Teil sind nicht nötig, da die wesentlichen Eckpunkte rund um Samejimas bisherige Erfahrungen als Polizist kurz angerissen werden. Besonders interessant sind in „Der Hai von Shinjuku – Rache auf chinesisch“ die zahlreichen Hintergrundinformationen zu den japanischen Yakuza und ihrem taiwanesischen Spiegelbild.

Ein kleines Update: Ab August 2014 ist der Roman auch unter dem Titel „Giftaffe" erhältlich.

Montag, 27. Februar 2012

„Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ von Yoko Ogawa

Der Februar 2012 ist ein fantastischer Monat für die ins Deutsche übersetzte japanische Literatur. Denn neben einer Neuerscheinung von Banana Yoshimoto dürfen wir uns über die Veröffentlichung von Yoko Ogawas „Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ freuen. Yoko Ogawa, die vor allem bekannt ist für leicht schaudrig-eklige Charaktere und Situationen, weicht mit ihrem neuen Roman etwas von diesem Konzept ab, bleibt aber skurril:

Eine namenlose, allein stehende Haushälterin wird durch ihre Agentur einem neuen Auftraggeber zugeteilt. Die patente Frau, die schon so einige Marotten vorheriger Dienstherren erlebt hat, muss sich nun einer besonders kuriosen Herausforderung stellen. Der Mathematik-Professor, für den sie künftig tätig sein soll, kann sich zwar an die Zeit vor seinem schweren Autounfall vor Jahren erinnern. Doch sein Gedächtnis reicht in der Jetzt-Zeit gerade mal 80 Minuten zurück. Somit hat die Haushälterin sich jeden Morgen erneut vorzustellen und dieselben Fragen des Professors zu beantworten. Der Mathematiker befragt sie jedoch nie nach Persönlichem, sondern nach Dingen, die sie nur mit Zahlen beantworten kann: Was ist ihre Schuhgröße? Wie viel hat sie bei der Geburt gewogen? Wann ist ihr Geburtstag? Die Antwort nimmt der Professor zum Anlass, um über sein Lieblingsthema, die Mathematik und die Welt der Zahlen, zu sprechen. Denn die Mathematik erachtet er als die ästhetisch-geordnete Wahrheit, die im Hintergrund der Alltäglichkeit existiert. Der Leser erhält so einen anschaulichen Einblick in die Schönheit der Primzahlen; in Teiler, die Zahlen in Freundschaft verbinden und in die klare Stringenz mathematischer Beweise.

Doch der Professor hat auch ein weiteres Faible: Er liebt Kinder und drängt seine Haushälterin dazu, ihren Sohn nach der Schule mit in seinen Haushalt zu bringen, obwohl dies gegen die Bedingungen der Agentur verstößt. Der Professor schließt den Sohn, den er aufgrund eines besonders flachen Schädels „Root“ nach dem Wurzelzeichen benennt, jeden Tag aufs Neue ins Herz. Der zusammen gewürfelte drei-Generationen-Haushalt verlebt trotz des täglichen Resets immer wieder schöne Tage. Doch als die Haushälterin einmal mehr die Agenturregeln bricht, scheint die seltsame Idylle ein Ende zu haben.

In Zeiten einer alternden Gesellschaft ist Yoko Ogawas „Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ im Hinblick auf Demenz-Krankheiten ein Buch, das Mut macht: Trotz des völlig gestörten Kurzzeitgedächtnisses des Professors finden die Protagonisten Mittel und Wege, ein gemeinsames, harmonisches Miteinander möglich zu machen. Die gegenseitige Sympathie wohnt den Menschen inne und wird nicht an gemeinsame Erinnerungen geknüpft. Zwar zieht sich der Professor auch gerne in die Mathematik zurück, lässt die Haushälterin und ihren Sohn aber an dieser anderen Welt teilhaben und weckt gar noch die Begeisterung für die verborgene Magie der Zahlen.

Sonntag, 26. Februar 2012

„Im Tempel der Wildgänse“ von Tsutomu Mizukami

Nach dem Tod des Malers Nangaku lebt dessen Geliebte Satoko fortan „Im Tempel der Wildgänse“. Nanagaku hatte in dem Zen-Tempel, der von dem Mönch Jikai geführt wird, besonders lebensechte Bilder von Gänsen gemalt und so einige Schäferstündchen mit Satoko verbracht. Als er im Sterben liegt, bittet er Jikai sich um die hübsche Satoko zu kümmern – wohl wissend, dass der Mönch schon immer ein Auge auf die Schöne geworfen hatte.

Der Tempelalltag ist für Satoko alles andere als keusch und besinnlich: Die wilde Ehe von Satoko und Jikai ist vor allem von Jikais unermüdlichen sexuellen Trieb geprägt. Die religiösen Pflichten und Arbeiten im Tempel muss währenddessen der kleinwüchsige Novize Jinen übernehmen.

Satoko fühlt in Jinens Gegenwart regelmäßig einen unangenehmen Schauer: Sie kann den undurchsichtigen Jungen mit dem deformierten Schädel nicht durchschauen. Und hat er sie nicht auch schon beim Sex mit Jikai beobachtet? Als eines Tages Jikai von einem kleinen Ausflug in einen benachbarten Tempel nicht zurückkehrt, kann sich zunächst niemand einen Reim darauf machen.

„Im Tempel der Wildgänse“ von Tsutomu Mizukami wurde in Japan zum Bestseller. Als fesselnden Krimi kann man den Roman eher nicht bezeichnen – irgendwie ist recht schnell klar, was geschehen sein könnte. Dafür zeichnet sich die Handlung viel mehr durch die Beschreibung des Alltags und der Zeremonien im Zen-Kloster aus. Tsutomu Mizukami, der selbst Zen-Novize war, weiß wovon er hier schreibt und eröffnet einen Blick hinter Klostertüren, die weit mehr Preis geben als andächtige Gebete.

Freitag, 24. Februar 2012

Tsutomu Mizukami

Tsutomu Mizukami (1919-2004; auch: Tsutomu Minakami) wurde in Wakasa als Sohn eines armen Tischlers, der für Tempel und Schreine arbeitete, geboren. Im Alter von neun Jahren wurde er als Novize in einen lokalen Zen-Tempel geschickt. Es folgten verschiedene Tempel in Kioto. Nach wenigen Jahren ließ Tsutomu Mizukami das für ihn unerträgliche Tempelleben hinter sich. Er begann an der Ritsumeikan Universität japanische Literatur zu studieren, musste jedoch wegen Geld- und Gesundheitsproblemen sein Studium ohne Abschluss abbrechen. Anschließend schlug er sich mit den verschiedensten Beschäftigung durch (vom Geta-Verkäufer bis hin zum Manager eines Mahjong-Spielkasinos).

Schließlich wurde der Autor Koji Uno sein Mentor. 1948 veröffentlichte Tsutomu Mizukami seinen ersten Roman, der so floppte, dass er für die nächsten zehn Jahre das Schreiben einstellte. Erst 1959 veröffentlichte er seinen nächsten Roman, einen Krimi, der stilistisch vom Autor Seicho Matsumoto beeinflusst war. 1961 erhielt er für den Roman „Im Tempel der Wildgänse“, der auf seinen Erfahrungen als Zen-Novize beruht, den Naoki-Preis. Es folgten unter anderem der Eiji Yoshikawa-, der Junichiro Tanizaki- und der Yasunari Kawabata-Preis.

Im Alter widmete er sich zudem der traditionellen Papierherstellung und dem Töpfern. 2004 starb Tsutomu Mizukami an einer Lungenentzündung.

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Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Mittwoch, 22. Februar 2012

„Ihre Nacht“ von Banana Yoshimoto

Endlich ist er da, der neue Roman von Banana Yoshimoto! Und das Warten hat sich definitiv gelohnt: Die richtige Kombination von Schwermut und sympathischer Charakteren, von Fantastik und Familiendrama zieht sofort in den Bann von „Ihre Nacht“:

Yumiko ist eine Herumtreiberin. Nach einem mysteriösen Vorfall in ihrer Familie geht sie ihren eigenwilligen Weg und lebt von Tag zu Tag. Zumindest bis ihr Cousin Shoichi überraschenderweise an ihrer Wohnungstür steht. Shoichis Mutter und damit Yumikos Tante hatte auf dem Totenbett den Wunsch geäußert, Shoichi möge sich der getriebenen Yumiko annehmen und sich mit ihr gemeinsam der Vergangenheit stellen. Denn Yumiko ist eine Meisterin des Verdrängens; in ihrem Gedächtnis klafft eine Lücke um ein tragisches Erlebnis aus der Vergangenheit. Schritt für Schritt kommen die beiden dem dunklen Geheimnis näher, das sich um zwei Zwillingsschwestern aus einer Familie von weißen Hexen rankt. Mehr darf man von der Handlung fast nicht verraten, ansonsten könnte der fantastische Spannungsbogen, den Banana Yoshimoto aufbaut, leiden. Denn „Ihre Nacht“ zeichnet sich im Vergleich zu anderen Werken der Autorin besonders durch die überraschenden Wendungen und einen subtilen Nervenkitzel aus.

Trotzdem bleibt sich Banana Yoshimoto treu: Ihre Figuren haben Tiefe und menschliche Wärme. Es geht um Familienbande, die allzu zerbrechlich sind, und um wahre Freundschaften. Und selbstverständlich tragen auch fantastische Elemente den Roman, der den Leser förmlich in die Handlung hineinsaugt. Damit nimmt „Ihre Nacht“ einen der vordersten Plätze in meinem persönlichen Banana Yoshimoto-Ranking ein. Nur schade, dass nun das Warten auf den nächsten Roman der japanischen Kultautorin beginnt...

Dienstag, 21. Februar 2012

„Verführerischer Adlerfarn“ herausgegeben von Hannelore Eisenhofer-Halim & Peter Pörtner

Der von Hannelore Eisenhofer-Halim und Peter Pörtner herausgegebene, 400-seitige Band „Verführerischer Adlerfarn“ enthält Erzählungen, Kurzgeschichten und Essays von 21 japanischen Autoren und bildet ein facettenreiches Potpourri an tragischen, ernsten, aber auch fantastischen und bizarren Geschichten.

Taka Isawa erzählt mit „Das Restaurant Applaus“ vom tragischen Schicksal zweier gescheiterter Boxer. Beide bezahlen den Traum einer Boxerkarriere mit ihrer Gesundheit. Während Saburi noch mit zwei gebrochenen Fingern davon kommt, muss sein einstiger Widersacher Yagami mit weit größeren Schäden leben.

Der „Lebensabend eines Kindes“ von Eimi Yamada (auch: Amy Yamada) beginnt mit einem Hundebiss. Denn die gebissene 10-Jährige ist sich sicher: Der Hund hatte Tollwood und ihr bleiben nicht mehr viele Tage zu leben. Zunächst unbemerkt von den Erwachsenen, verlebt das Mädchen einen schrulligen, vermeintlichen Lebensabend.

Der koreanisch-stämmige Kakuei Kin erzählt in „Die Trauer der Erde“ in Briefform die Lebensgeschichte seines Protagonisten Jinichi. Sowohl Jinichis Großvater als auch sein Vater waren bzw. sind brutale Choleriker. Die Opfer der Gewalt sind die Ehefrauen. Jinichis Großmutter, die zusammen mit dem Großvater aus Korea nach Japan kam, beging Selbstmord, indem sie sich vor einen Zug warf. Zu Jinichis Bestürzung existiert weder ein Foto der Großmutter, noch ein Grab, da ihre Leiche irgendwo an der Bahnlinie verscharrt wurde. Dies alles schreibt der Protagonist in einem Brief an seine erste Liebe nieder.

Hiroshi Onuma (auch: Tan Onuma) schreibt über das „Wasser“, das plötzlich wieder in dem Viertel des Protagonisten zu fließen beginnt, als ein ausgetrockneter Kanal wieder geflutet wird. Er erinnert sich an Begegnungen am Fluss während seiner Jugend und entdeckt Neues am Flusslauf.

Keizo Hino entführt mit „Schwarzer Engel“ in eine Zukunftsvision, in der Phonoimages hergestellt werden können, die über elektromagnetische Wellen direkt ins Gehirn geschickt werden können. Wie auch in Keizo Hinos Roman „Die Trauminsel“ spielt die Handlung primär auf dem Neuland, das an der Küste von Tokio gewonnen wird. Und auch hat eine Femme Fatale ihren Auftritt, die den Protagonisten nicht nur mit ihrem künstlerischen Schaffen in den Bann zieht.

Michiko Ikeda zeichnet „Spuren wirrer Wege“ innerhalb des Barackenviertels Sanya. Die Protagonistin engagiert sich für die Rechte der Arbeiter und begegnet in Sanya den unterschiedlichsten Charakteren: Dem alten Pfarrer Kobayashi, in dessen Haus regelmäßige Versammlungen stattfinden; Universitätsprofessoren, die sich in Trainingsanzüge werfen, um in der Arbeiterstadt nicht aufzufallen und Ex-Studenten, die lieber auf dem Bau schuften, anstatt weiter auf die Universität zu gehen.

Ken Kaikos „Das Meer in der Hand“ ist die tragische Erzählung über den einsamen Professor Takada, den der Ich-Erzähler in einer Bar kennen lernt. 

In Tomoko Yoshidas „Verführerischer Adlerfarn“ wird es fantastisch: Beim Sammeln von Adlerfarn begegnet die Protagonistin einer kauzigen Alten, die sie auffordert, ihr zu folgen. Die beiden Treffen auf eine Gruppe seltsamer Wallfahrer, die der Protagonistin nicht so fremd sind, wie es zunächst den Anschein hat.

Shohei Ookas Essay „Schnee in Santa Fe“ handelt von seiner Reise durch die USA, die ihn zu Frieda Lawrence, der Witwe von D. H. Lawrence, führt.

Kobo Abes „Hand“ ist bizarr: Die Hand, das ist der Tierpfleger einer Brieftaube, die im Krieg einen Orden erhalten hat. Doch was nützen tierische Helden nach dem Krieg – die Taube wird in Bares umgetauscht. Die Taube wird der Hand noch mehrmals begegnen. Das letzte Mal wird sich das wehrlose Tier in etwas Gefährliches verwandelt haben.

Shun Medorumas Erzählung „Wassertropfen“ wurde 1997 mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet. Sie erzählt von Tokusho, dessen Bein plötzlich dick anschwillt und er daraufhin in einen Koma-ähnlichen Zustand fällt. Da seine Frau nichts von Krankenhäusern hält und ohnehin keine befriedigende Diagnose gestellt werden kann, wird Tokusho, aus dessen Fuß Wasser austritt, zu Hause gepflegt. Während Tokusho in seinen Wahnträumen seine Vergangenheit als Soldat im zweiten Weltkrieg aufarbeitet, entdeckt sein nichtsnutziger Vetter Seiyu eine interessante Eigenschaft des Wassers kennen, das aus Tokushos Fuß tropft.

Die folgenden vier Erzählungen und Kurzgeschichten „Der Ausritt“, „Das Meer und das Abendrot“, „Die Rose“ und „Die Geschichte vom Mandala“ von Yukio Mishima wirken nach Shun Medorumas „Wassertropfen“ ein bisschen farblos: In „Der Ausritt“ möchte eine gut situierte Dame die junge Frau unter die Lupe nehmen, die ihren Sohn verführt hat, und trifft dabei auf einen ehemaligen und in die Jahre gekommenen Verehrer. „Das Meer und das Abendrot“ betrachtet der Tempeldiener Anri, während er von seinem Schicksal erzählt, das im mittelalterlichen Frankreich als Schafhirte begann: Der Junge Anri hatte eine göttliche Erscheinung und führt die Kinder der Cevennen nach Marseille, um von dort aus Jerusalem zu erobern. Doch anstatt einen Sieg zu erringen, ereilt die Kinder ein anderes Schicksal. „Die Rose“ hat den Tod von Rainer Maria Rilke zum Thema. „Die Geschichte vom Mandala“ erinnert an ein orientalisches Märchen: Der König wünscht von seinen Untertanen die Anfertigung eines Mandalas zu Ehren seines Geburtstages.

Yasunari Kawabatas „Am Abend der Tanzaufführung“ ist eine Kurzgeschichte über Schicksale, die sich streifen und wieder auseinanderdriften.

„Kreta Kano“, die Figur, die Haruki Murakami-Fans bereits aus „Mister Aufziehvogel“ kennen, stellt sich ebenfalls in einer Kurzgeschichte vor und erzählt von ihrem harten Los, permanent zum Vergewaltigungsopfer zu werden, weswegen sie sich in die Abgeschiedenheit zu ihrer Schwester Malta Kano begibt.

„Früher oder später“ kommt der Tod auf die über 80-jährige Autorin Ineko Sata zu. Sie reflektiert in ihrem Essay nicht nur über das Sterben, sondern auch über die Lebenswege kürzlich verstorbener Freunde, den letzten Besuch bei einer der wenigen gleichaltrigen Bekannten und ihr eigenes Verhalten, das sich mit dem Näherrücken des Todes ändert.

Shumon Miura macht sich Gedanken über „Kinder und Enkel“, über Vererbung und Genetik, über die Pflege von bettlägerigen, Alzheimer-kranken Verwandten.

Der Science Fiction Autor Yasutaka Tsutsui entführt in eine verstörende Zukunft: „Der Stamm der Menschenfresser“ hat ein eigenes Territorium, in das sich der Protagonist dummerweise verirrt. Er gerät in die Falle eines Menschfressers und wird als dessen Reiseproviant mit in die Hauptstadt genommen. Da hilft auch kein Jammern und kein Flehen.

Ryunosuke Akutagawas „Tod eines Christen“ kommt wie eine katholische Märtyrer-Geschichte daher: Der schöne Waisenjunge Lorenzo wird aus der christlichen Gemeinschaft unschuldig verstoßen und muss sich fortan alleine durchs Leben schlagen.

Katai Tayamas Protagonist ist „Krank nach jungen Frauen“ – wenn ihm dies bloß nicht zum Verhängnis wird…

Skurril ist Juro Karas „Gogols Tochter“: Taguchi nimmt sich einem Fundstück, einer 50cm großen Puppe an. Diese Puppen haben einerseits reißenden Absatz bei Männern, die sie als Geliebte hegen und pflegen, aber auch genügend Feinde. Alle Anwohner sind aufgefordert, ihre Sexpuppen demnächst in einer gemeinschaftlichen Aktion zu verbrennen. Der Spielesoftware-Entwickler Taguchi nimmt dies zum Anlass, ein Konzept für ein fantastisches Rollenspiel zu schreiben. Doch seine Visionen drängen in die Realität.

Masahiko Shimadas „Der Delphin in der Wüste“ bildet einen fulminanten Abschluss des Erzählbandes: Augenzwinkernd erzählt ein gefallener Engel von seinen Erfahrungen im modernen Tokio.

„Verführerischer Adlerfarn“ ist ein toll illustriertes Buch mit Liebe zum Detail. Nur schade, dass nicht noch etwas mehr Zeit in die Fußnoten investiert wurde. Ohne entsprechendes Hintergrundwissen tut sich der Leser manchmal etwas schwer (z.B. bei Ineko Satas Essay, da die beschriebenen Personen wohl nur Japanologen bekannt sein dürften). Insgesamt jedoch bietet „Verführerischer Adlerfarn“ eine wunderbare Sammlung der verschiedenen Spektren japanischer Literatur.

Montag, 20. Februar 2012

„Schiffbruch“ von Akira Yoshimura

In einer Zeit, als die Clans über Japan herrschten, muss der 9-jährige Isaku schnell erwachsen werden. Sein Vater, der die Familie allein mit Fischfang nicht ernähren kann, geht in die Fremde, um sich drei Jahre als Arbeiter zu verdingen und so für den Lebensunterhalt seiner Angehörigen zu sorgen. Nun ist Isaku der Mann im Haus und fährt täglich zum Fischfang hinaus aufs Meer. Als Isaku zehn Jahre wird, gilt er ins seinem Dorf endgültig als Erwachsener. Er bemüht sich beherzt, die Erwartungen seiner Mutter zu erfüllen, doch nicht immer kehrt er mit genügend Fisch nach Hause, um damit über den harten Winter zu kommen.

Als Erwachsener wird er in die Gebräuche des Dorfes eingeweiht: Da alle Familien am Rande des Hungertodes stehen, beten sie für Ofune-sama; für ein Schiff, das auf ein Riff läuft. Doch allein dem Zufall wollen die Dorfbewohner dies nicht überlassen. Mit nächtlichen Feuern versuchen sie, Schiffe in die Irre zu führen, die Besatzung zu töten und alles, selbst die letzten Bohlen des Schiffrumpfes, verschwinden zu lassen. Nach einer entbehrungsreichen Zeit, ist es endlich soweit: Ein Schiff, voll beladen mit Reis, ist in der Bucht vor dem Dorf havariert. Die Not scheint endlich ein Ende zu haben. Doch die Dorfbewohner müssen für ihre Gier bald einen hohen Preis bezahlen.

Akira Yoshimura beschreibt mit „Schiffbruch“ zweieinhalb Lebensjahre Isakus und erzählt vom erbärmlichen, kargen Dasein der Fischer. Die dörfliche Gemeinschaft ist Dreh- und Angelpunkt allen Handelns: Denn nur gemeinsam können sie den Brauch des Ofune-sama geheim halten. Auch wenn Akira Yoshimura sehr ausführlich den Alltag der Fischer schildert, wird dies an keiner Stelle langweilig. Der schiere Überlebenskampf und die archaischen Strukturen und Bräuche der abgeschiedenen Dorfgemeinschaft fesseln ungemein.

Leider gilt auch für Akira Yoshimuras „Schiffbruch“: Das Buch ist derzeit komplett vergriffen. Wer in einem Antiquariat fündig wird, sollte zuschlagen.

Sonntag, 12. Februar 2012

Akira Yoshimura

Akira Yoshimura (geboren am 01. Mai 1927) erhielt bereits als Grundschüler Privatunterricht in klassischer japanischer Literatur. Als sowohl Mutter als auch Vater in den 40er Jahren starben, entschloss er sich zunächst entgegen seinen literarischen Neigungen zu einem naturwissenschaftlichen Studium. Krankheitsbedingt musste er diesen Plan jedoch aufgeben. 1950 begann er schließlich sein Literaturstudium. 1953 wurde er exmatrikuliert, da der aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands im Fach Leibesertüchtigung nicht mithalten konnte. Kurzzeitig arbeitete er in einer Spinnerei, nahm aber dann eine Bürotätigkeit auf. 1958 erschien sein Debütroman. Mehrfach wurde Akira Yoshimura für den Akutagawa-Preis nominiert – 1965 erhielt jedoch nicht er, sondern seine Ehefrau Setsuko Tsumura die begehrte Auszeichnung. 1966 bekam er den Dazai Osamu-Preis, dem noch viele weitere Preise folgen sollten. Akira Yoshimura war Vorsitzender des japanischen Schriftstellerverbands und PEN-Mitglied. Er veröffentlichte neben mehr als 20 Romanen auch Sachliteratur. Seine Dokumentation über Tsunamis an japanischen Küsten wurde nach dem Erdbeben 2011 aufgrund der großen Nachfrage neu aufgelegt.

2006 starb Akira Yoshimura an Krebs.

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Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen/dokumentarische Literatur und hier rezensiert:

Mittwoch, 8. Februar 2012

„Wasabi zum Frühstück“ von Foumiko Kometani

Foumiko Kometanis Protagonistinnen teilen beide das Schicksal der Autorin: Sie sind ins Niemandsland der Kulturen geraten und dürfen sich weder in ihrem Geburtsland noch in den USA, wohin sie ausgewandert sind, zugehörig fühlen.

„Wasabi zum Frühstück“, die erste Erzählung, handelt von der Künstlerin Megumi, die sich hin und wieder aus den USA nach Tokio begibt, um dort mit Galeristen über Ausstellungen zu verhandeln. Doch natürlich wartet auch „Family Business“ auf  sie: Oma Oharu, ihre Mutter, plappert in einem fort – am liebsten über ihr schlecht sitzendes Gebiss – und treibt Megumi damit in den Wahnsinn. Unerwartet findet eine Totenfeier für eine Tante statt und Megumi muss sich dort mit allerlei Verwandtschaft herumschlagen, die ihr jede Kompetenz, was Japan betrifft, streitig macht. Denn schließlich ist Megumi schon jahrzehntelang nur noch zu Besuch in ihrem Geburtsland. Und dann verschwindet auch noch ihr Neffe nach einem Streit mit dessen Vater. Die Nerven der Familie liegen bald blank, insbesondere da die Polizei nicht eingeschaltet werden darf, da sonst ein Gesichtsverlust eintreten könnte. Megumi kann über eine solche Haltung nur den Kopf schütteln. Darüber hinaus muss sie sich auch noch mit der japanischen Kunstszene auseinandersetzen. Schließlich will sie ihre Bilder verkaufen.

„Feuersäulen“ bildet das Gegenstück zu „Wasabi zum Frühstück“: Es erzählt von der 60-jährigen Yu, die in Los Angeles mit ihrem US-amerikanischen Mann Bob lebt. Ihre beiden Töchter weilen zum Studium im Ausland und so beschließt Yu, sich endlich wieder als Designerin zu betätigen. Doch der Wiedereinstieg fällt schwer. Als Asiatin hat sie gegen Vorurteile zu kämpfen. Es ist das Jahr 1991 und Yu befindet sich während der Ausschreitungen aufgrund des Rodney-King-Vorfalls nicht nur in einer Stadt im Ausnahmezustand, sondern muss über ethnische Minderheiten in den USA reflektieren, zu denen sie sich als Japanerin schließlich auch zählen muss. Nachdem Schwarze auch Asiaten und Latinos attackieren, Schwarze sich wegen eines weißen Vorfahrens rechtfertigen müssen, warum sie nicht ganz „schwarz“ sind und sich selbst weiße, gut versorgte Vorstadtjungs an Plünderungen beteiligen, weiß Yu gar nicht mehr, auf welcher Seite sie eigentlich steht.

Elena Giannoulis bemerkt im Nachwort:

„Schnell bemerkt der Leser, dass sich hinter der schroffen und taktlosen Art der Protagonistinnen ein weicher Kern und liebenswürdige Personen verbergen, die es aufgegeben haben, sich Illusionen zu machen, und sich aus Selbstschutz einen Panzer angelegt haben.“ (S. 189)

Dieser Hinweis ist durchaus nicht nur dahin gesagt. Denn insbesondere in „Wasabi zum Frühstück“ polarisiert Foumiko Kometanis Protagonistin Megumi, die ebenso wie die Autorin einen behinderten Sohn zur Welt gebracht hat, sehr. So äußert sich die Figur der Megumi wie folgt:

„Warum habe ich nur die Mühe einer Schwangerschaft auf mich genommen? Um nichts als Abfall auf die Welt zu bringen?“ (S. 72)

An anderer Stelle zeigt sich Megumi Gott sei Dank auch wieder versöhnlicher. Dennoch sollte sich der Leser bei Foumiko Kometanis Erzählband „Wasabi zum Frühstück“ auf eine härtere Gangart einstellen.

Dienstag, 7. Februar 2012

Foumiko Kometani

Foumiko (auch manchmal „Fumiko“ geschrieben) Kometani verdingte sich zunächst als Malerin, bevor sie zur Literatur wechselte. Die 1930 in Osaka geborene Autorin studierte zwar Literatur an der Frauenuniversität ihrer Heimatstadt, widmete sich dann aber erfolgreich der abstrakten Ölmalerei. 1960 ging sie mit einem Kunst-Stipendium nach Petersborough, New Hampshire. Dort lernte sie den jüdischen Autor Josh Greenfeld kennen, den sie heiratete.

Drei Jahre verbrachte das Paar in New York und ging dann für zwei Jahre nach Japan, wo der erste gemeinsame Sohn Karl zu Welt kam. Nach der Rückkehr nach New York kam der zweite Sohn Noah behindert zur Welt. Die Versorgung des Nachwuchses ließ Foumiko Kometani keine Zeit mehr zum Malen. Daher begann sie zu schreiben. Ihre Themen kreisen unter anderem um den Umgang mit Behinderten, Diskriminierung von Minderheiten und Fremdheit – also Thematiken, die von den eigenen Erfahrungen Foumiko Kometanis gespeist werden. Bisher hat die nun in Südkalifornien lebende Autorin ungefähr zwanzig Werke verfasst. 1985 gewann sie den Akutagawa-Preis, 1998 den Murasaki Shikibu-Preis.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Montag, 6. Februar 2012

„Die Reise nach Amanon“ von Yumiko Kurahashi

Mit dem satirischen Roman „Die Reise nach Amanon“ nimmt Yumiko Kurahashi nicht nur ihr Heimatland, sondern auch den Westen deftig aufs Korn: Die Geschichte beginnt als Science Fiction. Da wird ein Missionar namens Padre P ins sagenumwobene Land Amanon geschickt, das sich durch Abschottung bisherigen Missionsversuchen verschlossen hat. Bereits hier werden die Parallelen zur Christianisierung Japans offensichtlich.

Padre P glaubt selbst nicht allzu sehr an seine monotheistische Religion, die den Gott Monokami verehrt, freut sich jedoch auf das Abenteuer, dieses geheimnisvolle Amanon auf dem missionarischen Wege besuchen zu können. Das Glück ist ihm Hold und er überlebt als einziger die Überfahrt. Doch bei seiner Ankunft an einem abgelegenen Strand ist so einiges anders als erwartet: Das Amanonisch, das Padre P auf dem Theokolleg gelernt hat, ist höchst veraltet, die Amanonierinnen gehen mit ihrer Nacktheit völlig unbedarft um und Kinder werden mit einem Altar namens Fernseher ruhig gestellt. In der amanonischen Hauptstadt Tokiyo wimmelt es nur so vor Bizmen, Wolkenkratzer ragen in die Höhe und Menschen werden mit Cybermobilen transportiert. Als einziger Ausländer in Amanon und im Besitz einer großen Menge Gold, die den Missionaren mit auf den Weg gegeben worden war, steigt Padre P auf in die Elite der „Proms“. Diese illustre Riege aus primär Politikern zeichnet sich durch ihre enorm flapsige Ausdrucksweise und der permanenten Begleitung durch eine minderjährige, bildhübsche „Sec“ (= Sekretärin) aus. Irgendwie irritieren die Politiker Padre P mit ihrer Art: Sie wirken eher wie Frauen, obwohl sie sich wie Männer kleiden. Als er sich mit Dr. Tauron trifft, fällt ihm dies wie Schuppen von den Augen: Die Bevölkerung von Amanon ist fast ausschließlich weiblich, einige wenige zeugungsfähige, internierte Männer dienen als Samenspender, nur als Kastraten können Männer an der Gesellschaft teilhaben. Sex gilt als verpönt – die Fortpflanzung erfolgt daher außerhalb der Körper der Eltern in Brutmaschinen.

Yumiko Kurahashi karikiert mit dem amanonischen Matriarchat die radikale Emanzipationsbewegung in den USA der 60er Jahre. Doch auch die Religionen kommen in „Reise nach Amanon“ nicht gut weg: Nicht nur sind Religionen und Glaubensauffassungen völliger Beliebigkeit unterworfen. Religionen werden wie andere Dienstleistungsbetriebe steuerpflichtig, denn im Grunde sind auch sie ein Markt: Während der Buddhismus Geld mit Beerdigungen scheffelt, hat der Shintoismus seine Haupteinnahmequelle durch die Veranstaltung freudiger Feste. Weitere sozialkritische Themen, die Yumiko Kurahashi unter anderem anschneidet, sind die Überalterung der Gesellschaft, westliche Überlegenheitsgefühle, Technisierung und ein extremes Standesdenken. Mit der Darstellung der Proms inklusive deren Lolita-Freundinnen hält die Autorin ihrer Heimat einen überzeichneten Spiegel vor: Ein völliges Abhandenkommen klassischer Werte wie Liebe, Glaube und Familie lässt nur noch Platz für eine dekadente und intrigante Spaßgesellschaft.

Sonntag, 5. Februar 2012

Yumiko Kurahashi

1935 wurde Yumiko Kurahashi in Kami auf der Insel Shikoku geboren. Auf Druck ihres Vaters, der Zahnarzt war, brach sie ihr Studium der japanischen Literatur an der Kyoto Universität ab, um in Tokio einer Ausbildung zur Dentalhygienikerin nachzugehen, die sie 1956 abschloss. Anschließend wendete Yumiko Kurahashi sich jedoch wieder der Literatur zu und studierte französische Literatur an der Meji Universität. Von 1966 bis 1967 ging sie mit einem Stipendium an die Universität Iowa und belegte unter anderem einen Kurs für kreatives Schreiben.

Ihre erste satirische Geschichte „Die Partei“ wurde von Literaturkritikern als Avantgarde hoch gelobt und mit Kobo Abes Werken verglichen. Yumiko Kurahashis Literatur zeichnete sich im Weiteren durch Wortspiele, ironische Sozialkritik und Entlehnungen aus Mythen aus.

Manche Kritiker warfen ihr vor, ihre Romane nicht aus eigener Erfahrung heraus zu schreiben, sondern von ihrem Leseeifer inspiriert zu sein. Angeblich soll sie allein 1986 zwei Millionen Yen für Bücher ausgegeben haben.

2005 starb Yumiko Kurahashi 69-jährig.

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Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Samstag, 4. Februar 2012

„Die Journalistin“ von Saiichi Maruya

Saiichi Maruyas „Die Journalistin“ präsentiert eine Persiflage auf die japanische Medienwelt, auf Politik und auf Gesellschaft: Yumiko wird ins Kolumnistenteam einer Tageszeitung befördert. Da kann sie von Glück reden – denn eigentlich ist der Posten der einzigen Quoten-Frau bereits besetzt. Doch für Yumiko wird eine Ausnahme gemacht. Zeitgleich kommt auch Urano ins Team. Der Journalist ist zwar begnadet, wenn es um Recherche geht, doch schreiben kann der Schreiberling so überhaupt gar nicht. Also übernimmt es die gutmütige Yumiko, aus Uranos Entwürfen druckfähige Artikel zu erstellen.

Einerseits aus Frust, da ihr Geliebter, ein verheirateter Professor für Philosophie, sie versetzt hat, andererseits aus Überzeugung sticht Yumiko eines Tages mit einem Leitartikel in ein Wespennest: Gewisse politische Kreise drängen daraufhin ihren Arbeitgeber dazu, sie in eine unbedeutende Abteilung abzuschieben. Doch so einfach gibt Yumiko nicht klein bei - sie aktiviert ihr gesamtes Netzwerk, das neben Urano und ihrem Geliebten auch ihre Tochter, ihre Tante, einen Yakuza, einen Finanzbeamten, einen Geschichtswissenschaftler und einen Kalligraphen umfasst. Das Networking geht sogar soweit, dass sich das Töchterlein von einem geifernden Alten betatschen lässt.

„Die Journalistin“ behandelt jedoch auch über längere Abschnitte hinweg eher theoretische Betrachtungen, die Japan-affine Leser bestimmt nicht langweilen. So zum Beispiel der Tradition des Schenkens in Japan:

„Das moderne Japan ist ein Imperium des Schenkens. Im Vergleich dazu sind die Abendländer nicht sehr spendabel. Natürlich pflegen sie diesen Brauch auch, zu Weihnachten, an Geburtstagen. Aber insgesamt ist das Schenken dort auf viel weniger Anlässe beschränkt, während wir es bei allen erdenklichen Gelegenheiten praktizieren. Beileidsgaben in Form von Geld sind im Westen zum Beispiel überhaupt nicht üblich.“ (S. 241)

Doch das Schenken ist alles andere als selbstlos: Der Schenkende versichert sich somit der Unterstützung des Beschenkten. Eine Hand wäscht die andere – Networking durch Geschenke. Dies gilt insbesondere für die Politik. So sträubt sich der amtierende Generalsekretär vehement, auch nur irgendetwas ohne Gegenleistung zu tun.

„Wenn ich eine Verpflichtung habe, dann setze ich alles daran, sie zu erfüllen. Aber ich bin absolut nicht bereit […], etwas umsonst zu tun. Ich halte so etwas für sittenwidrig. Es wäre für beide Seiten schädlich, meine ich. [.] Diese Maxime ist mir während meiner politischen Lehrjahre regelrecht eingebläut worden. Sie ist sozusagen das Herzstück der konservativen Politik Japans.“ (S. 234)

Die Protagonistin Yumiko entspricht einer Powerfrau: Sie macht Karriere, braucht keinen Ehemann, kennt Hinz und Kunz und bekommt auch den Frauenhaushalt mit Tochter, Mutter und teilweise Tante geregelt. Dennoch ist sie „nur“ Geliebte eines Philosophen, dem sie das Gefühl gibt, mental überlegen zu sein. Auch zum Ende hin wendet sie sich mehr in Richtung eines traditionellen Frauenbildes, was leider einen etwas faden finalen Eindruck hinterlässt.

Mittwoch, 1. Februar 2012

Saiichi Maruya

Saiichi Maruya, der 1925 in Tsuruoka als Sohn eines Arztes geboren wurde, wurde 1945 in die Armee eingezogen, als er noch Oberschüler war. Erst 1947 konnte er die Schule abschließen und schließlich Anglistik an der Universität von Tokio studieren. Insbesondere James Joyce faszinierte den Studenten, über den er 1950 auch seine Abschlussarbeit verfasste. Im Anschluss unterrichtete Saiichi Maruya Anglistik an der Kokugakuin Universität und an der Universität von Tokio. Während seiner Lehrtätigkeit schrieb er Romane und übersetzte zusammen mit Yuichi Takamatsu und Reiji Nagai James Joyces „Ulysses“. Zudem verdingte er sich als Literaturkritiker und Essayist.

1968 erhielt Saiichi Maruya den Akutagwa-Preis, 1972 den Tanizaki-Preis, 1973 den Yomiuri-Preis und 1988 den Kawabata-Preis. Im Alter von stolzen 86 Jahren erhielt er 2011 den japanischen Kulturorden. 2012 starb er an einem Herzinfarkt.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Novellen und hier rezensiert: