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Sonntag, 30. Dezember 2018

Tomoka Shibasaki

Die Autorin Tomoka Shibasaki wurde 1973 in Osaka geboren und begann an der Oberschule mit dem Schreiben. Nach ihrem Studium an der örtlichen Universität arbeitete sie in einem Büro und schrieb in ihrer Freizeit. 1999 veröffentlichte sie mit „Rot, Gelb, Orange, Blau“ ihre erste Kurzgeschichte. Im folgenden Jahr erschien ihr erster Roman „Ein Tag auf dem Planeten“, der 2003 verfilmt wurde.

Für den Roman „Heute, in dieser Stadt“ erhielt sie 2006 den MEXT-Literaturpreis; 2007 wurde das Werk für den Akutagawa-Preis nominiert. 2010 gewann sie mit „Nacht und Tag“ den Noma-Literaturpreis. Und schließlich erhielt sie 2014 auch den Akutagawa-Preis für ihren Roman „Frühlingsgarten“.

2016 verbrachte sie mit einem internationalen Literaturprogramm Zeit an der Universität von Iowa.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Samstag, 29. Dezember 2018

„Sendbo-o-te“ von Yoko Tawada

Was passiert nach einer ultimativen Katastrophe, die den Alltag und die bisherige Lebensweise komplett auf den Kopf stellt? Yoko Tawada entwirft in „Sendbo-o-te“ ein Szenario, das unter die Haut geht: In dieser, vielleicht nicht allzu fernen Zukunft, schottet sich Japan ein zweites Mal von der Welt ab. Die Alten sind zu annähernd ewigem Leben verdammt, dagegen sterben die Kinder wie die Fliegen. Abgesehen von Miet-Hunden sind Tiere so gut wie alle verschwunden. Die Wiesen gelten als vergiftet. Und auch im einstmalig so dicht besiedelten Tokio lebt kaum ein Mensch mehr – ein längerer Aufenthalt dort gilt als gesundheitsschädigend. Das Klima hat sich geändert und der Ackerbau muss vielerorts eingestellt werden.

Mumey und Yoshiro sind ein Urenkel-Urgroßvater-Gespann, die gemeinsam in einer Notunterkunft hausen. Mumey ist wie alle Kinder seiner Generation sehr schwach und kränklich. Er verfügt aber auch über eine eigenartige Weisheit und Yoshiro glaubt nicht, ihm auch nur eine Sache beibringen zu können. Ohnehin sind viele frühere Verlässlichkeiten dahin. So wechseln Menschen urplötzlich ihr Geschlecht. Die Polizei hat seit der Abschaffung von Lebensversicherungen keine Morde mehr aufzuklären, sondern fungiert in erster Linie als lustige Blaskapelle.

Soweit Yoshiro kann, umsorgt er seinen Enkel fürsorglich, denn der Kleine kann mit seinen brüchigen Zähnen nicht gut kauen, plagt sich arg beim Schlucken und muss von Yoshiro mit dem Fahrrad zur Schule gefahren werden. Beim Kinderarzt wird untersucht, wie weit die Zellzerstörung schon fortgeschritten ist. Mumey klagt jedoch nicht, sondern begibt sich ohne Klagen in sein Schicksal. Er ist ein Todgeweihter.

Yoshiro ist Schriftsteller und erlebt die Restriktionen der Abschottungspolitik als besonders hart. Einen historischen Roman über Sendboten nach China begräbt er auf dem Dingfriedhof; das Werk hätte wegen seiner vielen Bezüge zu Orten im Ausland nicht veröffentlicht werden dürfen. Auch seinem Essay „Japan war nicht isoliert“ über die Handelsbeziehungen während der ersten Isolationsphase während der Edo-Zeit wird die Publikation verweigert. Und dann sind da noch die vielen Worte, die Yoshiro aus seinem Wortschatz streichen soll, da sie nicht mehr verwendet werden dürfen.

Doch nicht alle Japaner halten sich an die Isolationspolitik. Die geheime Sendboten-Vereinigung schickt immer wieder Kinder ins Ausland, damit sie dort untersucht werden. Denn die Katastrophe, die Japan heimgesucht hat, kann auch woanders auftreten und dieselben Krankheitsbilder verursachen. Mumey scheint für die Aufgabe eines Sendboten ideal…

Yoko Tawadas „Sendbo-o-te“ wurde 2018 in der englischen Übersetzung mit dem US-amerikanischen National Book Award für übersetzte Literatur ausgezeichnet, der insgesamt an zehn Werke vergeben wurde. Yoko Tawada schrieb „Sendbo-o-te“ auf Japanisch. Die deutsche Version wurde von Peter Pörtner übersetzt. Daher fallen die Sprachspiele, die Yoko Tawadas auf deutsch verfasste Werke kennzeichnen, diesmal etwas subtiler aus. Das Thema Fremdheit, das ja sonst oft von der Autorin aufgenommen wird, findet man in der aktuellen Veröffentlichung nicht. Der grandiose Wortwitz von Yoko Tawada bleibt dem Leser aber gleichwohl erhalten:

„’Was sind die Wechseljahre?’
‚Das ist, wie wenn der Körper die Tonart wechselt. Von Dur in Moll. Oder so.’“
(S. 155)

Auch wenn die Untergrundorganisation der Sendboten titelgebend ist, so nimmt sie doch keinen allzu großen Raum in Yoko Tawadas Roman ein. Im Zentrum steht Yoshiro, der aus der Zeit vor der Katastrophe und aus der Zeit danach berichtet. Auch aus Mumeys Perspektive, aus der von Mumeys Urgroßmutter und Mumeys Lehrer wird das Leben nach dem Desaster dargestellt. Daher sollte der Leser trotz der subversiven Sendbotengesellschaft keine großmächtige Spannung erwarten, sondern vielmehr eine Bestandsaufnahme nach der Katastrophe. Freilich kommt die dank Yoko Tawadas Erzählweise leicht und originell daher, ohne in depressiven Charakter zu verfallen. Nichtsdestotrotz klingt auch die Reue Yoshiros durch, dass die Lebensweise seiner Generation den Urenkeln die Chance auf ein gesundes, langes Leben genommen hat.

Bei einer zweiten Auflage sollte der Konkursbuchverlag jedoch nochmal gründlich Korrektur lesen. Es tummeln sich so einige Fehlerchen insbesondere bezüglich der Interpunktion. Selbst ein Charakter bekommt auf derselben Seite zwei Namen (Suiren vs. Surien, S. 151).

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „Sendbo-o-te“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Pörtner, Peter), Konkursbuch Verlag, Tübingen 2018, ISBN 978-3-88769-688-7

Sonntag, 16. Dezember 2018

„Von Katzentötern, schwebenden Rauchern und der Suche nach Nilpferden“ herausgegeben von Elena Giannoulis

Endlich wurde mal wieder eine Anthologie veröffentlicht, die dem Leser Erzählungen und Kurzgeschichten in Neuübersetzung bietet. Die Herausgeberin Elena Giannoulis schreibt im Nachwort über die Veröffentlichung:

„Ein Anliegen der Anthologie ist es, dem deutschen Leser japanische Literatur jenseits von Haruki Murakami und Banana Yoshimoto näherzubringen und auch bisher im Ausland wenig bekannten Autoren eine Plattform zu bieten.“ (S. 170)

Und tatsächlich sind nur von einer der enthaltenen Autorinnen, nämlich Hiromi Kawakami, bisher mehrere ins Deutsche übersetzte Werke verfügbar. Shinji Ishii, Atsuko Suga, Yasutaka Tsutsui und Hiromi Ito sind dem einen oder anderen Leser vielleicht auch noch bekannt, weil ein bis zwei Texte oder bestenfalls Romane ihren Weg ins Übersetzungsbüro gefunden haben. Die anderen Autoren finden mit „Von Katzentötern, schwebenden Rauchern und der Suche nach Nilpferden“ das erste Mal auch im Deutschen statt.

Die einzelnen Werke der Anthologie bieten ein großes Spektrum an literarischen Stilen: Ich-Erzählung, mystisch angehauchter Text, Science Fiction, Essay, Slapstick, Avantgarde… Um bei den realistischsten Werken anzufangen, soll es erst um die Essays von Atsuko Suga und Toshiyuki Horie gehen. Atsuko Suga, die lange Zeit in Italien lebte, ist mit zwei Essays vertreten: In „Geruch von fernem Nebel“ erzählt sie von ihren Erlebnissen im nebligen Mailand, während sie in „Neapel sehen und sterben“ die Eigenheiten der neapolitanischen Lebensweise illustriert und persönliche Erfahrungen einfließen lässt.

Auch Toshiyuki Hories „Der Dichter mit dem Anrufbeantworter“ ist in Europa angesiedelt. In Paris begibt sich der Ich-Erzähler auf die Suche nach Postkarten mit Nilpferdmotiven, da Valery Larbaud seinerzeit solche Karten gerne verschickt hat. Dabei spürt er den einstigen Nilpferden im Pariser Zoo nach und macht eine interessante Begegnung.

Um zwischenmenschliche Beziehungen geht es – wie eigentlich immer bei Hiromi Kawakami – in „Der Fluss“: Der kurze Text wirkt wie eine Momentaufnahme der romantischen Beziehung von Hatoko und ihres Freundes Ichiro. Ist ihre Beziehung nicht genauso im Fluss wie der Fluss, an dem sie gerade essen und trinken?

Ein bisschen fantastischer wird es in Keiichiro Hiranos „Die verschwundenen Honigbienen“. Was zunächst wie die Beschreibung eines eher langweiligen Postboten auf dem Land wirkt, entwickelt sich dann doch in eine andere Richtung, als eine illustre Gabe des Briefträgers offenbar wird.

Dann ist es auch schon vorbei mit dem Realismus: Yasutaka Tsutsui lässt in „Der Raucher in der Luft“ einen rauchenden Rentner fliegen und Sumako in „Der Traum von Verstopfung“ ihre Gedärme bis in den Himmel entleeren.

Vom Stil ähnlich wirkt Ramo Nakajimas „Das Lamm Dolly“. In Anlehnung an das Klon-Schaf Dolly entwirft der Autor ein Szenario, in dem auch Menschen geklont werden können. Da der Ich-Erzähler ein fauler Autor ist, lässt er sich einen Doppelgänger kreieren, der künftig die Arbeit übernehmen soll. Da sein Klon freilich genauso bequem, narzisstisch und trinkfreudig wie das Original ist, geht der Plan nicht so ganz auf.

Shinji Ishii präsentiert mit „Grüner Frühling“ ein Werk, das sicherlich besonders schwer zu übersetzen war. Es werden Farben personifiziert: Grün mag Blau so gar nicht und beschwert sich bei Sakura-Mama und Braun über den frechen Blau. Das Nachwort von Elena Giannoulis klärt auf: Im Japanischen kann „ao“ (青) sowohl grün als auch blau bedeuten – kein Wunder, dass Grün eifersüchtig auf Blau ist.

Mythologisch wird es in Hiromi Itos Erzählung „Chiko und Raiko“, die im siebten/achten Jahrhundert angesiedelt ist: Chiko und Raiko sind Freunde und buddhistische Schüler, die danach streben, ins Reine Land einzugehen. Während Raiko früh stirbt, gärt in Chiko die Eifersucht auf den Mönch Gyoki. Als Chiko schwer krank wird und selbst stirbt, muss er sich einer schweren Prüfung im Jenseits stellen.

Mit „Perfekte Tage, um Bananen zu schälen“ ist Toh Enjoe mit Science Fiction vertreten: Eine Raumsonde durchquert einsam das All und stellt sich vor Langeweile einen Freund namens Chucky vor. Doch das System soll effizient arbeiten und sich keinen Imaginationen hingeben – daraufhin muss Chucky gelöscht werden.

Richtiggehend abgedreht geht es in Masaya Nakaharas „Das Lied einsamer Schritte, die auf einem dunklen Flur erklingen“ und Yuko Chigaras „Katzentöter-Maggie“ zu. In Masaya Nakaharas Erzählung werden die Rotorblätter eines Helikopters als Messerklingen eingesetzt, um zu töten; die Menschen tragen den „intelligenten Gorillaanzug“ – und sollten sie auf einen Menschen ohne Anzug treffen, gibt es ein großes Gemetzel. Und auch ansonsten geht’s blutig zu.

Yuko Chigaras „Katzentöter-Maggie“ wird im Nachwort als avantgardistische Popliteratur bezeichnet – der Realitätsgrad geht gegen Null: Katzentöter-Maggie lebt mit dem Doktor, der gerne Frauen schändet und tötet, zusammen und lernt Gänseblümchen kennen lernen. Gemeinsam erleben sie allerlei Abstrusitäten, wie zum Beispiel von einem Fisch verdaut zu werden. Garniert wird das Ganze mit Illustrationen.

Zugegebenermaßen konnte ich mit den letzten beiden genannten Erzählungen am wenigsten anfangen. Die waren mir zu zusammenhanglos und alptraumhaft. Dagegen ist beispielsweise „Das Lamm Dolly“ großartiges Entertainment. Insgesamt präsentiert die Anthologie wahrlich einen guten Einblick in die Vielfalt der japanischen Literatur und lässt den Leser neue Autoren kennen lernen. Da viele Verlage derzeit ja primär auf die Übersetzung von Bestsellern zu setzen scheinen, ist die Anthologie sicherlich besonders wertvoll und ambitioniert.

Bibliographische Angaben:
Elena, Giannoulis (Hrsg.): „Von Katzentötern, schwebenden Rauchern und der Suche nach Nilpferden“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Giannoulis, Elena/Hane, Reika/Ono, Elisa/Petermann, Christoph/Stadler, Hajime/Timmerarens, Chaline/van Eikels, Kai/Wiesenberg, Sandro/Wittig, Matthias), be.bra, Berlin 2018, ISBN 978-3-95410-213-6