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Samstag, 30. März 2019

„In Liebe, Dein Vaterland“ von Ryu Murakami

Es ist ein ausländischer Film, den ausgewählte Nordkoreaner zu sehen bekommen, als sie überraschend abkommandiert werden: Während des zweiten Weltkriegs wird ein Spezialkommando der Nazis, getarnt als jüdische Flüchtlinge, nach New York entsendet. Sie besetzten Manhattan unter dem Vorwand, eine deutsche Exilregierung zu bilden. Um sich offiziell aus der Schusslinie zu bringen, bezeichnet Hitler die Exilanten als Abtrünnige, die gerne exekutiert werden dürfen. Zwischenzeitlich bringen die Nazis Manhattan unter ihre Gewalt, um von dort Anschläge auf US-amerikanische Politiker verüben zu können.

Der Film wird für Nordkorea zur Vorlage für die Operation „In Liebe, Dein Vaterland“. Ein Sonderkommando von wenigen, handverlesenen Elitesoldaten wird, als südkoreanische Touristen getarnt, nach Fukuoka geschleust. Sie sollen während eines Baseballspiels die Zuschauer im Fukuoka-Dome als Geiseln nehmen. Während der Geiselnahme sollen 500 weitere nordkoreanische Soldaten nach Fukuoka gebracht werden, um als Vorhut einer größeren Landung von Soldaten den Weg zu ebnen.

Der Zeitpunkt für die Invasion ist perfekt gewählt: Japan ist wirtschaftlich, politisch und militärisch geschwächt. Auf den einstig so starken Bündnispartner USA lässt sich nicht mehr bauen. Die japanische Regierung reagiert nur zaghaft auf die zu allem entschlossenen Nordkoreaner.

Während also zunächst alles für die nordkoreanischen Invasoren nach Plan läuft, gärt etwas in einem Lagerhauskomplex am Rande Fukuokas. Hier hausen von der Gesellschaft ausgestoßene Jugendliche mit ihrem Mentor Iwagaki: Waffennarren, Satanisten, Brandstifter, Mörder… Zwar haben die Jungs wenig Lust, die japanische Gesellschaft zu schützen, aber noch weniger darauf, ihr Land von den Nordkoreanern besetzen zu lassen. Die eigenen Talente sollen genutzt werden, die koreanischen Kampfmaschinen zu schlagen.

Ryu Murakamis Roman „In Liebe, Dein Vaterland“, der 2005 in Japan erschien, ist wie „Coin Locker Babies“ natürlich recht überzeichnet. Aber unrealistisch von der Ausgangslage? Tatsächlich hat sich seit dem Erscheinungstermin einiges getan in der Welt: Die Abenomics stehen im Verdacht zu einem Abegeddon zu eskalieren. Unter der neuen republikanischen Regierung der USA (in „In Liebe, Dein Vaterland“ ist es allerdings eine demokratische) entwickelt sich eine Bromance zwischen Trump und Kim Jong-un. Japan muss sich immer wieder um den Bündnispartner USA bemühen. Insofern ist „In Liebe, Dein Vaterland“ ein höchst aktueller Roman, obwohl er schon fast 15 Jahre auf dem Buckel hat.

Das Werk, das mit seinen zwei Bänden fast tausend Seiten umfasst, zieht den Leser schnell in seinen Bann. Der Autor entwirft ein gewaltig furioses und gewalttätiges Szenario, dessen Geschehnisse von diversen Perspektiven beleuchtet werden. So weiß man als Leser fast nicht mehr, auf welcher Seite man denn stehen soll, da in Ryu Murakamis Roman die Dichotomie „gut/böse“ nicht gilt: Da sind die Nordkoreaner, die unter schrecklichen Lebensbedingungen aufgewachsen sind und eine furchtbare militärische Ausbildung durchlaufen mussten, die die  Folterung eines jeden Soldaten beinhaltet. Natürlich sympathisiert man dann auch mit den Invasoren, die in Japan viel bessere Lebensbedingungen vorfinden. Da sind die normalen Bürger Fukuokas, die um des lieben Frieden willens mit den Nordkoreanern kooperieren, um ihr alltägliches Leben in groben Zügen weiterführen zu können. Und da sind die geschundenen Seelen der Jugendlichen, deren Herzen auf Zerstörung drängen.

Zum Höhepunkt der Handlung hin wird die Spannung fast schon unerträglich und spätestens dann fiebert man mit den jugendlichen Outlaws in ihrem fast aussichtslosen Kampf mit. Episches Entertainment mit Gesellschaftskritik – eine große Leseempfehlung für das Jahr 2019!

Bibliographische Angaben:
Murakami, Ryu: „In Liebe, Dein Vaterland – I: Die Invasion“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Septime Verlag, Wien 2018, ISBN 978-3-902711-76-2
Murakami, Ryu: „In Liebe, Dein Vaterland – II: Der Untergang“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Septime Verlag, Wien 2019, ISBN 978-3-902711-80-9

Dienstag, 5. März 2019

"Alte Freunde" von Osamu Dazai

Osamu Dazais "Alte Freunde" ist sicherlich eher ein Buch für Liebhaber. Für den doch stolzen Preis von 18 Euro erhält der Leser 25 Seiten Prosatext, sieben Seiten mit Illustrationen und fünfeinhalb Seiten Nachwort. Die Illustrationen von Susanne Theumer sind freilich Geschmackssache, dafür ist der Text ein Träumchen – bestimmt nicht nur für Osamu-Dazai Fans.

Der Protagonist und Ich-Erzähler scheint identisch mit dem Autor selbst zu sein. Im September 1946 lebt der Ich-Erzähler Shuji als Ausgebombter in seiner alten Heimat. Da bekommt er Besuch von einem "alten Freund" namens Hirata, der sich als Ausgeburt der Dreistigkeit herausstellen wird. Nicht nur, dass sich der Bauer Hirata nur als ehemaliger Mitschüler ausgibt, um an den von Shuji gebunkerten, raren Alkohol ran zu kommen. Er bedient sich immer weiteren Kniffs, um nachgeschenkt zu bekommen.

Obwohl Shuji sich des Betrugs sehr wohl bewusst ist, muss er sich in Langmut fügen. Nicht auszudenken, wenn der besoffene Kerl aggressiv werden sollte und die Wohnung demoliert, die Shuji und seine Familie als Ausgebombte nur gestellt bekommen haben. Shuji muss sich eingestehen, dass es Hirata zu faustdick hinter den Ohren hat, um es mit ihm aufzunehmen.

Die ganze Situation wirkt auf den ersten Blick so unangenehm, dass man sich als Leser fragen könnte, warum man so etwas denn lesen soll. Doch das erzählerische Talent von Osamu Dazai macht selbst daraus noch Gold: Humorvoll und sich selbst nicht zu ernst nehmend schwadroniert der Autor über das Geschehnis, das "in ganz sonderbarer Weise unerträglich" (S. 7) war, und über seine Vergangenheit als Säufer und Weiberheld in Tokio.

Ich hoffe für die Erzählung, dass der Cass Verlag sie vielleicht eines Tages als kostengünstigeres Ebook herausgeben wird. Wäre doch zu schade, wenn sie den Liebhabern vorbehalten bleiben würde!

Bibliographische Angaben:
Dazai, Osamu: "Alte Freunde" von Osamu Dazai (Übersetzung aus dem Japanischen: Stalph, Jürgen), Cass Verlag, Löhne 2017, ISBN 978-3-944751-14-6