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Freitag, 30. August 2013

„Die unheimliche Bibliothek“ von Haruki Murakami

Man nehme eine Bibliothek, einen Jungen und einen Vogel und man denkt an „Kafka am Strand“. Man nehme ein unterirdisches Labyrinth, eine Bibliothek und Schädel und man denkt an „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“. Man nehme einen Schafsmann, ein bezauberndes Mädchen und ein Bandwurmuniversum und man denkt an „Wilde Schafsjagd“. Man nehme alle diese Zutaten zusammen, dann willkommen in Haruki Murakamis „Die unheimliche Bibliothek“.

Man könnte nun ja vermuten, dass die Erzählung daher ein besonders großer Wurf ist. Ich war jedoch eher etwas enttäuscht. Ein fader Protagonist, glatt keine Murakami’schen Lebensweisheiten und leider reißen es die Illustrationen von Kat Menschik auch nicht raus. Letzteres mag vielleicht auch daran liegen, dass der Text nicht allzu verspulte Inhalte hergibt, weswegen die Illustrationen teilweise auch nicht so psychedelisch wirken wie beispielsweise in „Schlaf“.

Die Erzählung beginnt, als ein Junge (ein ziemliches Muttersöhnchen und ein Ja-Sager) in der Bibliothek, in der er seit Jahr und Tag ein und aus geht, Bücher zurückgibt. Aus unerfindlichen Gründen wird er von der Bibliothekarin in den Keller geschickt, wohin sich der kleine Befehlsempfänger auch sofort begibt. In Zimmer 107 trifft er auf einen unheimlichen Mann, der ihm die gewünschten Bücher zum Thema „Steuereintreibung im Osmanischen Reich“ (das „spannende“ Thema Steuereintreibung beschäftigt Teenager natürlich üblicherweise) übergibt. Da die Ausleihe nach Hause nicht möglich ist, wird der Junge in einen verliesartigen Lesesaal gelockt – und eingesperrt. Denn der alte Mann hat Grausiges mit ihm vor. Doch unversehens bekommt der jugendliche Gefangene Hilfe von illustren Gestalten.

In einer halben Stunde ist die Geschichte, die leider nicht sonderlich mitreißt, ausgelesen. Der Einstieg wirkt mir zu konstruiert. Mit dem Protagonisten werde ich mal so gar nicht warm. Und die Handlung erscheint mir zu sprunghaft und unausgegoren. Auch wenn ich Haruki Murakamis Werke generell mag – „Die unheimliche Bibliothek“ hat mich nicht überzeugt.

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Die unheimliche Bibliothek“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Dumont, Köln 2013, ISBN 978-3-8321-9717-9

Dienstag, 27. August 2013

„Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ herausgegeben von Akiko Terasaki & Ilse Lenz

Schon öfters bin ich in japanischen Romanen über die Namen Sakae Osugi und Noe Ito gestolpert. Das tragische Anarchistenpaar, das von der Polizei nach dem großen Kanto-Erdbeben umgebracht wurde, birgt eine gewisse Faszination in sich. Wer sich mit den beiden näher beschäftigen will, der findet in „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ ausgiebig Stoff. Eingeleitet wird der Band mit einer ausführlichen Biographie Noe Itos, die im Zentrum des Interesses der Herausgeberinnen steht.

In „Trennung“ schreibt Noe Ito über die Trennung von ihrem ersten Ehemann Jun Tsuji. In dieser Ehe fand sich die Autorin in die Rolle der unterwürfigen Frau gedrängt. Das Zusammentreffen mit Sakae Osugi verstärkte Noe Itos Wunsch nach einer Trennung und schließlich arrangierte sie sich mit Sakae Osugis Vorstellung von „freier Liebe“:

„Wenn Osugi mehrere Geliebte hätte und ich das gebe, was nur ich ihm geben kann und nur das nehme, was ich mir wünsche, und damit mein eigenes Leben erweitern kann, wäre ich damit wohl zufrieden und würde mich ermutigt fühlen, meinen eigenen Weg zu gehen.“ (S. 40)

In „Von einer Frau an ihren Ehemann“ legt die Feministin Noe Ito ihr eigenes Rollenverhalten unters Mikroskop und bemerkt, dass sie in der Ehe mit Sakae Osugi sehr traditionell reagiert – am liebsten möchte sie ihren Mann schon kratzen, bevor es juckt. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie nur auf Distanz zu ihrem Ehemann sie selbst sein kann, indem sie sich selbst zum Maßstab setzt.

Neben diesen sehr persönlichen Werken enthält der Band aber auch Texte mit stärkerem gesellschaftskritischem Gewicht. In „Realität ohne Regierung“ thematisiert Noe Ito die ländliche Dorfgemeinschaft, die ihre Angelegenheiten ohne Autoritäten regelt und sich selbst organisiert, als ein funktionierendes Beispiel für anarchistischen Kommunismus. In „Gespräche mit streikenden Frauen“ zeigt die Autorin Missstände im produzierenden Gewerbe auf. So war es beispielsweise keine Seltenheit, dass eine Arbeiterin gegen sieben Uhr morgens zu arbeiten begann und erst um elf Uhr abends „Feierabend“ machen konnte. In einem „Grußwort“ spricht Noe Ito die Kluft zwischen Arbeiterinnen und Frauen der Mittelschicht an. In „Klassenantipathien“ nimmt sie dieses Thema nochmals aus einem persönlichen Blickwinkel auf: Noe Ito fühlte sich, seitdem sie in ein Arbeiterviertel gezogen war, fehl am Platz. In „Frauen, die zur Speise dienen“ prangert sie den Usus an, dass Familien ihre Töchter wie Sklavinnen in die Prostitution verkaufen.

Doch auch zwei Texte von Sakae Osugi sind in dem vorliegenden Band enthalten: In „Die freie Liebe, nach der ich mich sehne“ schreibt Sakae Osugis darüber, dass wahre, freie Liebe nur dann gelebt werden kann, wenn ökonomische Zwänge und Abhängigkeiten entfallen. In dem Text aus dem Jahr 1905 gesteht er den Frauen dieselbe sexuelle Freizügigkeit wie Männern zu.

In Sakae Osugis „Geschichte, wie ich einen Geist gesehen habe“ wird es wieder sehr persönlich: Hier beschreibt der Autor den Mordversuch von Ichiko Kamichika an ihm und er zeigt die Hintergründe der Tat auf. Mit einem weiteren Text ist sogar Ichiko Kamichikas Aussage bei der Polizei enthalten.

Abgeschlossen wird der Band mit einem Nachwort der Herausgeberinnen, in dem sie auf die Erkenntnisse der Anarchistin Itsue Takamure zur historischen Rolle der Frau in Japan eingehen.

Mit „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“ ist ein spannendes Sammelsurium gelungen, das neben feministischen und sozialen Themen auch intime Dramen (wie den Mordversuch von Ichiko Kamichika) enthält. Die tragischen Figuren von Noe Ito und Sakae Osugi werden durch persönliche Texte zugänglich gemacht und gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Hintergründe beleuchtet.

Bibliographische Angaben:
Terasaki, Akiko & Lenz, Ilse (Hrsg. & Übers.): „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“, Karin Kramer Verlag, Berlin 1978

Montag, 26. August 2013

Sakae Osugi

Sakae Osugi
(Creative Commons Lizenz)
Sakae Osugi wurde 1885 als Sohn eines Militärs geboren. Zeitweise besuchte er aufgrund des günstigen Schulgelds eine Kadettenschule, wurde aber 1901 wegen einer Schlägerei von der Schule ausgeschlossen. Schließlich trat er 1903 in die Fremdsprachenschule von Tokio ein und studierte französische Literatur. In dieser Zeit begann er sich für den Sozialismus zu interessieren.

1906 wurde er das erste Mal verhaftet, als er gegen eine Fahrpreiserhöhung demonstrierte. Es sollten noch viele weitere Verhaftungen folgen (u.a. wegen dem Dachrede- und dem Rote-Flagge-Zwischenfalls). Die Haftzeiten nutzte er zum Lesen und er erlernte verschiedene europäische Fremdsprachen. Nach der Lektüre von Kropotkins Ideen wendete er sich dem Anarchismus zu.

Nachdem 1910 der japanische Sozialismus mit der Hinrichtung von zehn wichtigen Führern einen herben Rückschlag erlitten hatte, begann Sakae Osugi diverse Übersetzungsarbeiten und die Herausgabe von verschiedenen Zeitschriften. Obwohl verheiratet begann Sakae Osugi eine Vierecksbeziehung, die neben seiner Ehefrau auch die Journalistin Ichiko Kamichika und die Feministin Noe Ito umfasste. Sie endete mit einem Mordversuch von Ichiko Kamichika an Sakae Osugi und ließ Osugis Projekt der „freien Liebe“ scheitern. Daraufhin lebte Sakae Osugi mit Noe Ito zusammen.

Sakae Osugi engagierte sich für die Gewerkschaftsarbeit und versuchte, die linken Kräfte Japans zu bündeln. Eine Reise nach Europa gelang ihm, nachdem er die Polizeiüberwachung ausgetrickst hatte. Dennoch erreichte er sein Ziel, den zweiten internationalen Anarchistentag in Berlin, nicht, da er in Frankreich wegen Passvergehens festgenommen und nach Japan abgeschoben wurde.

Während den Unruhen nach dem großen Kanto-Erdbeben wurden Sakae Osgui, Noe Ito und Osguis 6-jähriger Neffe von der Polizei verhaftet und umgebracht. Da die Polizeieinheit unter dem Kommando von Hauptmann Amaksua stand, ist dieser Mord als Amakusa-Zwischenfall in die Geschichte eingegangen.

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Ins Deutsche übersetzte Werke und hier rezensiert:

Sonntag, 25. August 2013

Noe Ito

Noe Ito
(Creative Commons Lizenz)
Noe Ito wurde 1895 in die Familie eines verarmten Händlers und Arbeiters, wohnhaft in einem Dorf auf Kyushu, hineingeboren. In der dörflichen Gemeinschaft erlebte sie vor allem die Frauen als ein vitales, umtriebiges Geschlecht. Im Alter von 10 Jahren ging Noe Ito zu ihrem Onkel nach Nagasaki, um dort die Mittelschule zu absolvieren. Erst hier wurde sie mit den strengen Weiblichkeitsidealen konfrontiert, während sie selbst selbst wie ein „boyish girl“ wirkte. In der Schulzeit begann sie mit dem Verfassen von Gedichten. Dank der Unterstützung eines Freundes ihres Onkels, der selbst Schriftsteller war, konnte sie ein liberales Mädchengymnasium in Tokio besuchen.

Jedoch wäre Noe Ito nach dem Abitur fast mit einem Landwirt zwangsverheiratet worden, hätte sie nach ihrer Verlobung nicht Reißaus genommen. Sie versteckte sich zunächst bei ihrer Tante, kehrte dann nach Tokio zurück und fand dort die Unterstützung ihres Englischlehrers Jun Tsuji, den sie 1915 heiratete. Aufgrund ihrer Affäre wurde Jun Tsuji von der Schule entlassen.

Noe Ito begann, an der feministischen Zeitschrift Seito (Blaustrumpf) mitzuarbeiten. Später wurde sie Herausgeberin und Chefredakteurin. Da ihr Ehemann keine geregelte Arbeit fand, oblag es primär ihr, für den Lebensunterhalt und die beiden gemeinsamen Kinder aufzukommen. Schließlich trennte sie sich von Jun Tsuji, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Noe Ito hatte zwischenzeitlich den Anarchisten Sakae Osugi kennen und lieben gelernt. Sie praktizierten eine Art von „freier Liebe“, da Sakae Osugi offiziell mit zwei weiteren Frauen verkehrte, aber diesen ebenfalls sexuelle Freizügigkeit zugestand. Als eine der Frauen Sakae Osugi aus Eifersucht zu töten versuchte, zerbrach das Vierergespann.

Noe Ito lebte fortan in wechselnden Wohnungen mit Sakae Osugi zusammen. Sie gebar ihm mehrere Kinder, die sie unter anderem Mako (in der Schreibung von „Teufelskind“), Ema (nach der Feministin und Anarchistin Emma Goldman), Louise (nach der Autorin und Anarchistin Louise Michel) und Nestor (nach dem Anarchisten Nestor Machno) nannten.

Die Wirren nach dem Großen Kanto-Erdbeben wurden von der Polizei genutzt, um sich dem lästigen anarchistischen Ehepaar zu entledigen: Noe Ito und Sakae Osugi wurden zusammen mit einem 6-jährigen Neffen Osugis verhaftet. Das Paar wurde gefoltert und alle drei wurden erdrosselt in einen Brunnen geworfen.

Noe Ito hatte einen gewaltsamen Tod ihrerseits bereits vorausgesehen. Am 16. September 1921 starb sie mit nur 28 Jahren. Die Kinder des Paares wurden in die Familien väterlicher- und mütterlicherseits aufgeteilt und umbenannt.

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Ins Deutsche übersetzte Werke und hier rezensiert:

Montag, 19. August 2013

„Schwimmen mit Elefanten“ von Yoko Ogawa

„Größerwerden ist eine Tragödie.“ (S. 250) – zu dieser Einsicht ist der Junge gekommen, der sich Kleiner Aljechin nennt und daraufhin beschließt, nicht mehr zu wachsen. Denn konnte nicht das Elefantenbaby, das seinerzeit auf einem Kaufhausdach aufgewachsen ist und schließlich zu groß für den Fahrstuhl geworden war, nicht mehr ins Erdgeschoss zurückkehren und musste sein Leben auf der Terrasse verbringen? Oder war sein Schachlehrer nicht schon fast zu dick geworden, um den Bus, in dem er wohnte, zu verlassen? Und was ist mit Miira, die als Kind in einen Spalt zwischen zwei Wohnhäuser gefallen war und nun dazu verdammt war, in der Enge weiterzuleben? Aber eigentlich mag der Junge es ja ganz gern beengt. Gut, dass sein Großvater so verständig ist und ihm einen abgeschlossenen Alkoven für sein Bett errichtet hat – denn hier fühlt sich der Kleine Aljechin besonders wohl.

Abgesehen von seinen imaginierten Freunden Miira und dem Elefanten Indira hat der Junge keinen Anschluss. Doch eines Tages lernt er seinen Meister kennen – der Hausmeister mit einem ungezügelten Appetit auf Süßigkeiten lehrt dem Jungen das Schachspielen und begeistert ihn für die Faszination des Schachs. Hier entfaltet der Junge, der ein Poet auf dem Schachbrett wie der legendäre Spieler Aljechin ist, ein großes Talent und wagt sich das erste Mal hinaus auf einen Ozean der unbeschränkten (Zug-)Möglichkeiten. Doch auch beim Spielen zeigt sich, dass der Kleine Aljechin den Rückzug als Sicherheit benötigt: Statt vor dem Schachbrett zu sitzen, liegt er lieber darunter. Was auch seinen Eintritt in einen renommierten Schachclub behindern soll.

Gut, dass es selbst für den Kleinen Aljechin einen passenden Job gibt. Da er so kleinwüchsig ist, passt er perfekt in einen Schachautomaten, der den Spielern vorgaukeln soll, sie würden gegen eine Maschine spielen. Hier assistiert dem Jungen ein Mädchen, das seiner imaginierten Freundin Miira aufs Haar gleicht – endlich findet der kleine Aljechin wieder eine Freundin aus Fleisch und Blut. Doch bald wird der Junge empfindlich aus seinem Alltag gerissen.

Yoko Ogawa ist mit „Schwimmen mit Elefanten“ ein wehmütiges Märchen gelungen. Wer kann es dem Kleinen Aljechin verübeln, wenn er für sich die Zeit anhalten mag, in einer geschützten Atmosphäre agieren will. Erst im Schachspiel wird er wagemutig und stellt sich multioptionalen Möglichkeiten. So findet der Junge seine Berufung.

Und sicherlich lebt der Roman nicht nur von der Darstellung des Protagonisten. Wieder einmal zeichnet Yoko Ogawa verschrobene Charaktere, die in „Schwimmen mit Elefanten“ besonders liebenswert sind: Die Großmutter, die seit dem Tod der eigenen Tochter permanent ein bestimmtes, zwischenzeitlich völlig derangiertes Geschirrtuch als Talisman mit sich herumträgt. Der dicke Schachlehrer, der die besten Süßspeisen zubereiten kann. Miira, die immer eine Taube auf der Schulter sitzen hat… So ist nicht nur das Schachspiel des Kleinen Aljechins von Poesie geprägt – sie findet sich überall in dem zauberhaften Roman von Yoko Ogawa wieder.

Bibliographische Angaben:
Ogawa, Yoko: „Schwimmen mit Elefanten“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Liebeskind, München 2013, ISBN 978-3-95438-013-8

Mittwoch, 14. August 2013

„The Ring“ von Koji Suzuki

Vor Koji Suzukis „The Ring“ habe ich mich eine ganze Weile erfolgreich gedrückt. Bei grusligen Storys werde ich zur absoluten Memme, habe abends Angst davor, das Licht auszumachen und kann nicht einschlafen, wenn ich auch nur ein komisches Geräusch höre. Den Film „The Ring“ kenne ich nur vom Trailer her, aber ich hatte die Befürchtung, dass die Romanvorlage irre unheimlich sein müsste und mich um meinen Schlaf bringen würde. Zwar ist der Psychohorrorroman durchaus nicht unspannend, aber einen besonders großen Thrill hat er mir dann doch nicht bereitet. Gott sei Dank...

Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als vier Teenager unter mysteriösen Umständen zu Tode kommen. Trotz des jungen Alters sterben sie an akutem Herzversagen zur selben Zeit an drei verschiedenen Orten. Der Reporter Asakawa ist der Onkel eines Opfers und erfährt durch einen Zufall von einem weiteren Fall. Sein journalistischer Instinkt verneint einen Zufall und Asakawa beginnt zu recherchieren: Die vier Teenager scheinen exakt eine Woche nach einem gemeinsamen Aufenthalt in einem Feriendorf in Hakone gestorben zu sein.

Als sich Asakawa in demselben Bungalow einmietet, in dem sich die Jugendlichen aufgehalten haben, fällt ihm ein Video in die Hände, von dem er vermutet, sie hätten es sich vor Ort angesehen. Als Asakawa das Band startet, laufen einige schauerliche Szenerien ab, die ihm die Gänsehaut über den Rücken jagen. Das Video enthält zudem die Botschaft, dass jeder Zuseher nach Ablauf von einer Woche das Zeitliche segnen wird, wenn er nicht die folgenden Anweisungen befolgt… Doch genau diese scheinen die Jugendlichen überspielt zu haben, dass Asakawa die Chance nicht wahrnehmen kann, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Der Tod der Teenager lässt keinen Zweifel daran, dass der Fluch auf dem Video tatsächlich eintreten wird.

Völlig verzweifelt zieht Asakawa seinen Kumpan Ryuji, der sich auf parapsychologische Phänomene spezialisiert hat, hinzu. Gemeinsam versuchen sie Licht ins Dunkle zu bringen, wie das Video entstanden sein mag, wer hinter seiner Aufzeichnung steckt – und vor allem, wie der Fluch aufgehoben werden kann. Denn zwischenzeitlich hat nicht nur Asakawa das unheilbringende Video gesehen.

Zwischendurch liest sich „The Ring“ wie ein normaler Kriminalroman. Die grusligen und mystischen Elemente finden sich jeweils (fast) nur zu Beginn und am Ende des Thrillers. Daher ist es mit dem Horror auch nicht allzu weit her. Da waren mir die Erzählungen in Koji Suzukis „Dark Water“ schon sehr viel unheimlicher. Nichtsdestotrotz bietet der erste Teil von „The Ring“ spannende, solide Unterhaltung, von der man sich allerdings nicht zuviel erwarten sollte.

Bibliographische Angaben:
Suzuki, Koji: „The Ring“ (Übersetzung aus dem Amerikanischen: Liessen, Bernhard & Marburger, Katrin), Heyne, München 2003, ISBN 3-453-86679-7

Dienstag, 13. August 2013

„Das Mädchen Tsunako“ von Seiichi Funabashi

Seiichi Funabashis „Das Mädchen Tsunako“ hat mich ehrlich gesagt etwas ratlos zurückgelassen. Was wollte der Autor mit seinem Werk denn aussagen? Die Handlung ist relativ schnell umrissen: Die neunjährige Tsunako ist vernarrt in ihre hübsche Tante Iseko. Und diese wiederum ist unglücklich verliebt in den Geschäftsmann Izuminaka. Obwohl er Iseko die Heirat versprochen hat, ehelicht er eine ehemalige Geisha, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Trotzdem führt Iseko die unglückliche Liaison fort, bis sie in einem Badeort Selbstmord begeht.

Jahre später ist Tsunako, die ihrer Tante sehr ähnlich sieht, zur jungen Frau gereift und wird nun selbst zum Objekt der Begierde für Izuminaka. Zunächst scheint es so, als ob Tsunako ihm den Tod der Lieblingstante übel nimmt, doch schließlich ist sie Wachs in seinen Händen. Sehr zum Ärgernis ihrer Eltern und Izuminakas Ehefrau.

Wenn man so möchte, zeigt Seiichi Funabashi hier den Zusammenprall von Moral und sexuellen Begierden. Doch als Hauptbotschaft des Romans aus den 60er Jahren erscheint mir dies zu implizit eingeflochten in die Handlung. Ohnehin werden einem die Motivationen von Tsunako nicht wirklich klar: Erst will sie sich an Izuminaka für Isekos Tod rächen, dann ist sie so von seiner „Würde“ angetan, freut sich, der „Wolllust“ mit Izuminaka zu frönen, verspricht den Eltern Gehorsam, nur um dem Versprechen im nächsten Moment zuwider zu handeln… Ohnehin mag man dem Autor, der die Handlung primär aus Tsunakos Sicht voran treibt, unterstellen, sich einer sehr platten Sicht der weiblichen Perspektive zu bedienen. Für ihn scheint auf der Hand zu liegen, dass die Frau die passive und der Mann die aktive Rolle in einer Beziehung inne haben und dass Frauen ganz grundsätzlich dazu neigen, permanent ihre Meinung zu ändern. Letzteres spiegelt sich tatsächlich in dem Verhalten von Tsunako wieder. Andererseits ist dies freilich ein top Argument für den Autor, Tsunakos Gedankengänge nicht nachvollziehbar darstellen zu müssen. Letzteres ist sicherlich eine gemeine Unterstellung meinerseits, aber aus heutiger Sicht wirken solche geschlechterspezifischen Allgemeinplätze nun mal antiquiert.

Der Originaltitel von „Das Mädchen Tsunako“ lautet „Eine Frau aus der Ferne“. Dies mag implizieren, dass Iseko als Bezugsperson immer weiter in die Ferne rückt und nicht weiter das Schicksal von Tsunako und Izuminaka beeinflusst. Dass Iseko kurz vor ihrem Tod das Tagebuch der unangepasst lebenden Hofdame Murasaki Shikibu gelesen hat, kann auch darauf hinweisen, dass aus der Ferne der Zeit Moral weniger wichtig erscheint als die wahre Liebe. Doch trotzdem werde ich nicht schlau aus dem Roman: Ist Seiichi Funabashi ein Verfechter der freien Liebe? Pfeift er auf Moralvorstellungen und die konfuzianische Pietät? Will er zeigen, dass eine jüngere Frauengeneration weniger verletzlich ist als ältere Generationen? Oder dass kein Kraut gegen die Liebe gewachsen ist?

Bibliographische Angaben:
Funabashi, Seiichi: „Das Mädchen Tsunako“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar), Horst Erdmann, Tübingen/Basel 1967

Montag, 12. August 2013

Seiichi Funabashi

Seiichi Funabashi
(Creative Commons Lizenz)
Der Autor Seiichi Funabashi (manchmal auch: Funahashi), der 1904 in Tokio geboren und dort 1976 gestorben ist, litt als Kind unter Asthma. Als sein Vater, ein Assistenz-Professor an der Kaiserlichen Universität von Tokio, zu Studienzwecken nach Deutschland geschickt wurde, wurde Seiichi Funabashi in die Obhut seiner Großmutter, in die Präfektur Kanagawa geschickt.

Schon als Oberschüler schrieb er erste Theaterstücke und später beteiligte er sich an der Shingeki-Bewegung. 1934 erschien Seiichi Funabashis erster Roman „Tauchen“ in der liberalen Zeitschrift Kodo. 1940 trat er der staatlich geförderten „Literaturfront“ bei, der mehr als 40 populäre Autoren angehörten, um die Kriegsmoral literarisch zu unterstützen. Er hielt zudem Vorlesungen an der Takushoku- und der Meiji-Universität.

1949 wurde er Teil des Auswahlkomitees des Akutagawa-Preises. 1964 erhielt er den Mainichi-Preis; 1966 wurde er Mitglied der japanischen Künstlerakademie. Ein Jahr später gewann er den Noma-Preis.

Da sein Augenlicht immer schlechter wurde, musste Seiichi Funabashi ab 1966 seine Werke diktieren. Zehn Jahre später starb er an einem Herzinfarkt.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen/Romane und hier rezensiert:

Sonntag, 11. August 2013

„Kafka am Strand“ von Haruki Murakami

Das Schöne an diesem Blog ist, dass ich einen Grund habe, meine Haruki Murakami-Bücher nochmals zu lesen, um sie zu rezensieren. „Kafka am Strand“ war mein erster Haruki Murakami und auch mein Einstieg in die japanische Literatur überhaupt. Ich war bei der zweiten Lektüre gespannt, ob sich dieselbe Faszination wie beim ersten Mal erneut auslösen würde. Und ja, für „Kafka am Strand“ kann ich immer noch nur die lobendsten Worte finden. Der Roman ist und bleibt einfach mein liebster Haruki Murakami. Die Protagonisten gehen einem zu Herzen, die Handlung ist phantastisch ohne ins Fantasy-Genre abzudriften und bietet Platz für eigenen Interpretationsspielraum. Eine glasklare Lösung darf der Leser freilich nicht erwarten. Denn „Kafka am Strand“ steckt voller Grenzgänge, die sich nicht einfach auflösen lassen: Grenzgänge zwischen Erinnerungen und Gegenwart, Leben und Tod, Innen und Außen, zwischen Realitätsebenen, Geschlechtergrenzen, verschiedenen Seiten des Ichs, Zeiten…

Im Zentrum der Geschehnisse steht der Teenager Kafka Tamura, der von Zuhause ausreißt. Zuhause ist in Tokio bei seinem alleinerziehenden Vater, einem berühmten Bildhauer. Dieser hat Kafka eine düstere Prophezeiung gemacht – Kafka nimmt lieber Reißaus, bevor ihn sein Vater zu etwas machen kann, das er nicht sein möchte. Ohne im Vorfeld zu wissen, wohin er gehen soll, landet Kafka an einem Ort, den er zwar nicht aktiv gesucht hat, der ihm aber das Gefühl gibt, hier richtig zu sein. Es ist eine privat betriebene Bibliothek, in der Oshima und Saeki arbeiten. Oshima ist weder Mann noch Frau, Saeki lebt in ihren Erinnerungen und ist nur körperlich anwesend; gedanklich ist sie in der Vergangenheit bei ihrem verstorbenen Liebsten. Mit Saeki glaubt Kafka seine verschwundene Mutter getroffen zu haben.

In einer zweiten Erzählebene begegnet man dem 60-jährigen Nakata, der als Junge sein Gedächtnis verloren hat – ebenso wie die Dichte seines Schattens. Zwar ist Nakata nicht mehr fähig, zu lesen und sich außerhalb seines Viertels zu Recht zu finden, dafür kann er aber mit Katzen sprechen. Seine Sozialhilfe bessert er damit auf, verschwundene Katzen aufzuspüren. Doch eines Tages kreuzt ein Katzenmörder namens Johnny Walker seinen Weg – und drängt Nakata zu Dingen, die er unter normalen Umständen nie tun würde. Als Folge muss Nakata aus Tokio verschwinden, lässt Sardinen, Makrelen und Blutegel regnen und findet unversehens einen getreuen Helfer in dem Fernfahrer Hoshino. Als Ziel kristallisiert sich die Bibliothek heraus, in der sich Kafka gerade aufhält. Ein Kreis scheint sich zu schließen – denn auch Saeki hat nur einen halb so dichten Schatten wie andere Menschen.

Typisch Haruki Murakami werden auch philosophisch angehauchte Gespräche geführt; primär zwischen Oshima, der guten Seele der Bibliothek, und Kafka, wie z.B.

„Je dringender man etwas sucht, desto weniger findet man es. Aber wenn man einer Sache entkommen will, stößt man wie von selbst auf sie.“ (S. 215)

So wird Oshima zum Berater von Kafka, der sich in einer multiplen Krise befindet: Er verliebt sich zum ersten Mal unglücklich, wird eines Mordes verdächtigt, hat einen Gedächtnisaussetzer und weiß bald nicht mehr, wohin mit sich selbst. Die Dialoge zwischen Oshima und Kafka tragen die Handlung zwar nur bedingt weiter, sind aber dennoch unverzichtbar für den Charme, der „Kafka am Strand“ ausmacht. Ein bisschen verdutzt war ich trotzdem auf Seite 391, als ich auf das Tschechow Zitat „Wenn man im 1. Akt eine Pistole auf die Bühne bringt, muss sie im letzten Akt abgefeuert werden“ gestoßen bin. Dies hat der Autor auch in dem letzten Roman „1Q84“ als Aufhänger für eine Diskussion unter den Charakteren genutzt. Ging dem großen Haruki Murakami denn in „1Q84“ der Stoff für tiefschürfende Dialoge aus?

„Kafka am Strand“ kann gut und gerne als Märchen für Erwachsene durchgehen. Und die Moral von der Geschicht? Vielleicht diese hier:

„Es klingt platt, aber was geschehen wird, weiß man erst, wenn es wirklich geschehen ist. Mitunter sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen.“ (S. 475)

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Kafka am Strand“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), btb, München 2006, ISBN 978-3-442-73323-1

Samstag, 10. August 2013

„Japanische Meister der Erzählung“ herausgegeben von Kakuji Watanabe

Elf Erzählungen von neun Autoren sind in „Japanische Meister der Erzählung“ versammelt. Mein unangefochtenes, persönliches Highlight des Bandes ist die Übersetzung von Ryunosuke Akutagawas „Kappa“. In der Erzählung wird die Geschichte des Kranken Nr. 23 aufgezeichnet, der steif und fest behauptet, im Land der Kappas, der Wasserkobolde gewesen zu sein. Inspiriert von „Gullivers Reisen“ spinnt Ryunosuke Akutagawa eine satirische Story, die die japanische Gesellschaft karikiert und die Akutagawa politisches Engagement attestiert. In „Kappa“ gelangt ein Wanderer und Ich-Erzähler unversehens ins Land der Kappas. Der Mensch wird freundlich aufgenommen und erlernt die quakende Sprache der Kobolde. Im Alltag im Kappaland fallen dem beobachtenden Erzähler allerhand Ungereimtheiten auf, auf die die Kappas allerdings meist ein äquivalentes Problem in Japan zur Hand haben. So zum Beispiel wird im Kappaland um „Vererbungswillige“ gebuhlt: Kappas, heiratet Proletarier, um ein bestmögliche Vermischung der Gene zu erzielen! In Japan wiederum wird der Genpool durch die Liebesaffären zwischen Angehörigen verschiedener sozialer Milieus durchmixt. Im Kappaland werden primär Konzerte von der Polizei gestürmt und verboten – denn wer kein Ohr für Musik hat, kann leicht Unsittlichkeit in sie hineininterpretieren. In Japan ist in den 20ern ebenfalls die Zensur ein beliebtes Mittel, Künstler zum Schweigen zu bringen. Werden Arbeiter im Kappaland aus Rationalisierungsprozessen ausgesperrt, greift das Gesetz der Arbeiterschlachtung. Giftgas erspart ihnen das Schicksal, zu verhungern oder sich aus der Not selbst zu töten. In Japan dagegen werden junge Mädchen wie Sklavinnen in die Prostitution verkauft, wenn es die materiellen Umstände der Familie erfordern. Wie in Japan, so herrscht auch in Kappaland das Kapital: Die Großindustriellen steuern sowohl die Politik als auch die Medien. Oh, pardon… korrekterweise sind es im Kappaland die Frauen der Großindustriellen und Mächtigen, die das Land kontrollieren. Eine hervorragende Analyse von „Kappa“ findet sich auch auf dem Blog „Behold My Swarthy Face“,  der insbesondere auch auf Ryunosuke Akutagawas Verhältnis zur proletarischen Literaturbewegung eingeht.

Vom selben Autor stammen die Werke „Raschomon“ und „Zauberkünste“, die ebenfalls in „Japanische Meister der Erzählung“ enthalten sind: Ein entlassener Knecht steht unschlüssig am Kiotoer Tor Raschomon und weiß sich nicht zu helfen. Über Kioto ist in den letzten Jahren eine Katastrophe nach der nächsten hereingebrochen; die Stadt gleicht einer Wildnis. Was bleibt dem mittel- und arbeitslosen Knecht hier anderes übrig, als nun kriminell zu werden? Im Torhaus von Raschomon werden namenlose Leichen aufgebahrt – und der Knecht benötigt eine Unterkunft für die Nacht. Doch nicht nur er kommt auf die Idee, sich nachts im Leichenhaus herum zu treiben.

Ein bisschen okkult geht es dagegen in „Zauberkünste“ zu. Der Ich-Erzähler lässt sich von einem indischen Magier einige Zaubertricks vorführen. Völlig gebannt von der Kunst des Inders äußert der Protagonist den Wunsch, diese Magie zu erlernen. Doch er wird gewarnt – nur ein Mann, der frei ist von Habgier, kann die Zauberei erlernen. Ob der Ich-Erzähler diesem Anspruch gewachsen ist?

„Japanische Meister der Erzählung“ enthält zudem ein Werk von Kan Kikuchi, der seinerzeit den Akutagawa-Literaturpreis ins Leben gerufen hat. In „Jenseits von Liebe und Hass“ wird nüchtern die Geschichte von Ichikuro erzählt: Weil seine Affäre mit der Nebenfrau seines Herrn aufgeflogen ist, wird Ichikuro von dem entehrten Nakagawa angegriffen. Doch Ichikuro wehrt sich erbittert und tötet dabei seinen Herrn Nakagawa. Zusammen mit seiner Geliebten Oyumi flieht er aus Yedo – und wird mehr und mehr zum Verbrecher. Das Pärchen beginnt mit Erpressungen und schließlich drängt die gierige Oyumi den willfährigen Ichikuro zum wiederholten Male zum Raubmord. Doch schließlich zeigt sich Ichikuros Gewissen. Er flieht vor Oyumi, wird Mönch in einem Tempel, um schließlich als Wanderpriester durch Japan zu wandern und Gutes zu tun. Er findet seine Möglichkeit, Sühne zu leisten, indem er an einer gefährlichen Wegstrecke, die schon manchem das Leben kostete, einen Weg durch einen Fels treiben will. Jahrelang hackt Ichikuro auf das Massiv ein und kommt nur minimal mit seiner Arbeit voran. Zwischenzeitlich ist Nakagawas Sohn erwachsen und begibt sich auf die Suche nach Ichikuro, um an ihm Rache zu üben.

Von Masao Kume liegt mit „Der Tod meines Vaters“ eine sehr autobiographische Erzählung vor. Sein Vater, der Schuldirektor war, beging Selbstmord, nachdem die Bilder des Kaisers und der Kaiserin bei einem Schulbrand zerstört wurden. Diese heutzutage unglaubliche Tat zeichnet Masao Kume aus der Sicht des kleinen Sohns auf.

„Das Geleitschiff“ von Ogai Mori handelt von dem verurteilten Verbrecher Kiske, der auf eine Gefängnisinsel transportiert wird. Im Gespräch mit dem Beamten Haneda werden Fragen über die Schuld von Kiske aufgeworfen, der seinen eigenen Bruder ermordet haben soll.

In den Jahren 1925 bis 1926 veröffentlichte Naoya Shiga vier Teile von „Aus dem Leben eines Malers“. In „Die weiße Glyzinie“ wird der Leser mit dem Ischias-kranken Maler Ryudo Yajima bekannt gemacht, der von seiner schwerhörigen Schwester Tane gepflegt wird. Nicht nur seine Schwester quält Yajima mit seinem Gemüt – er hetzt auch seinen Schüler von Glyzinie zu Glyzinie, um deren Wuchs zu untersuchen. Mit „Rot-Obi“ macht Yajima in einem Badeort Bekanntschaft. Das Mädchen mit dem roten Obi bezaubert ihn von Weitem – aus der Nähe betrachtet wirkt sie jedoch eher wie ein Dorftrampel. Zurück zu Hause kommt Yajima der plötzliche Einfall, er wolle ein „Wasserhuhn“ halten. Doch dem angeschafften Hühnchen bekommt der Aufenthalt bei Yajima gar nicht gut. Und gleich mit einem weiteren Federvieh bekommt es Yajima zu tun, als ein „Neuntöter“ mit einer Schlange kämpft.

Eine tragische Liebesgeschichte erzählt Tatsuo Hori mit „Die heilige Familie“: Nach dem Tod von Kuki, hinter dem sich Ryunosuke Akutagawa verbergen soll, lernt die Witwe Saiki den jungen Henri kennen. Henri und Saikis Tochter Kinuko verlieben sich ineinander, können sich diese Liebe aber nicht gestehen. Sind die Saikis zu heilig für Henri oder ist er ohnehin durch seine Bekanntschaft mit Kuki dem Tode bereits nah?

Auch in Fumiko Hayashis Erzählung „Akkordeon und Stadt der Fische“ wird es autobiographisch: Als Mädchen tourte die Autorin mit ihrem Stiefvater, der Hausierer war, durch Japan. So ergeht es auch der Ich-Erzählerin, die mit Vater und Mutter unterwegs ist. In einem Städtchen steigen sie aus dem Zug, da der Vater hier Verdienstmöglichkeiten wittert. Fumiko Hayashi zeichnet das Leben der Hausierertochter auf, die eingeschult wird und sich in den Sohn des Fischhändlers verliebt. Wenn doch nur ihr Vater nicht anfangen wurde, Schmarrn zu verkaufen…

Saisei Murou erzählt von „Gott oder Weib“ – eigentlich jedoch mehr von „Weib“, da sein Protagonist ein ziemlicher Weiberheld ist und sich allerhand Geliebte hält. Da wären Aliko, Shinoe, Kazuko und Harue. Keine der Frauen ist freilich glücklich mit der momentanen Situation.

Und schließlich enthält „Japanische Meister der Erzählung“ auch Junichiro Tanizakis „Tätowierung“ (identisch mit „Das Opfer“ in dem Sammelband „Mond auf dem Wasser“): Seikichi ist ein Tätowiermeister in Yedo, der sadistisch veranlagt ist. Es macht ihm eine diebische Freude, wenn sich die Kunden unter seiner Nadel vor Schmerzen winden. Doch sein Herzenswunsch ist ihm bisher verwehrt geblieben – er möchte die ideale Frau tätowieren. Eines Tages hat Seikichi das ungemeine Glück, dass die perfekte Frau als Botin zu ihm geschickt wird. Der Tätowiermeister zeigt dem jungen Mädchen sadistische Rollbilder und bemerkt, dass sie sich in den Motiven wiederzufinden scheint. Schließlich betäubt er sie und tätowiert ihr eine Spinne auf den Rücken, die ihre Fähigkeit symbolisieren soll, Männer zu ihren Opfern zu machen. Seikichi selbst soll ihr erstes werden.

In Kakuji Watanabes „Japanische Meister der Erzählung“ tummeln sich damit allerhand lesenswerte Erzählungen. Wem der Band aus dem Jahr 1960 in einem Antiquariat in die Hände fällt, der sollte nicht zögern, sondern zuschlagen. Insbesondere Ryunosuke Akutagawas „Kappa“ sollte das Geld wert sein!

Bibliographische Angaben:
Watanabe, Kakuji (Hrsg.): „Japanische Meister der Erzählung“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Watanabe, Kakuji), Walter Dorn Verlag, Bremen 1960

Freitag, 9. August 2013

Kan Kikuchi

Kan Kikuchi
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Kan Kikuchi erblickte als Hiroshi Kikuchi 1888 in Takamatsu das Licht der Welt. In der Oberschule freundete er sich mit seinen Mitschülern Ryunosuke Akutagawa und Masao Kume an, mit denen er später an dem Literaturmagazin Shinshicho zusammenarbeiten sollte. An der kaiserlichen Universität von Kioto studierte er englische Literatur. 1918 veröffentlichte er zwei Novellen, die ihm zum literarischen Durchbruch verhalfen. 1923 gründete er die erfolgreiche Literaturzeitschrift Bungei Shunju.

Nach dem Tod von Ryunosuke Akutagawa rief er den Akutagawa-Literaturpreis ins Leben. Ebenso begründete er den Naoki-Preis, der in Gedenken an den Autor Sanjugo Naoki verliehen wird.

1948 starb Kan Kikuchi an einer Stenokardie. Nach seinem Tod stiftete die Bungei Shunju den Kan Kikuchi-Literaturpreis.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Donnerstag, 8. August 2013

Fumiko Hayashi

Fumiko Hayashi
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Fumiko Hayashi wurde 1904 (ggf. auch 1903) in Shimonoseki geboren. Als sie sieben Jahre alt war, trennten sich die Eltern. Die Mutter heiratete einen Hausierer, weswegen Fumiko zusammen mit Mutter und Stiefvater von Ort zu Ort zog. Infolge des Vagabunden-Daseins musste Fumiko Hayashi 13-mal die Schule wechseln und erlebte eine Zeit voller Armut und Instabilität.

Im Jahr 1922 schloss sie die Oberschule ab und ging mit einem Geliebten nach Tokio. Dieser betrog sie allerdings alsbald. Sie lebte in der Folge mit mehreren Männern zusammen, bis sie den Maler Rokubin Tezuka im Jahr 1926 heiratete.

1930 erschien mit „Tagebuch einer Vagabundin“ Fumiko Hayashis erster Roman, der auf ihren eigenen Tagebüchern basierte und sich zum Bestseller entwickelte. Zudem verdingte sie sich als Reisereporterin, bis sie im zweiten Weltkrieg als Auslandsjournalistin für die japanischen Streitkräfte arbeitete. 1944 wurde sie nach Japan evakuiert.

1951 starb Fumiko Hayashi aufgrund eines Herzklappenfehlers. Die umtriebige Autorin veröffentlichte mehr als 270 Werke, die sich unter anderem durch feministische Anklänge auszeichneten.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Mittwoch, 7. August 2013

„Im Umbau“ von Ogai Mori

Dank des besonders informativen Nachworts von Wolfgang Schamoni wird „Im Umbau“ zum Ogai Mori-Leckerbissen. Denn der Band enthält nicht nur die biographisch angelehnten Erzählungen „Die Tänzerin“ (aka „Das Ballettmädchen“), „Wellenschaum“ und „Der Bote“, die jeweils in Deutschland spielen, sondern auch weitere Werke, die einen Einblick in die Vergangenheit und die Ansichten des Ogai Mori zulassen.

Elise Weigert war in der Realität Ogai Moris Freundin in Berlin, die er aufgrund von äußerem Druck in Deutschland zurücklassen musste – eine Ehe des japanischen Militärarztes mit der Deutschen war schlichtweg undenkbar. Dieser unglücklichen Liebe ist „Die Tänzerin“ gewidmet: Ein japanischer Student lernt die Halbwaise und Tänzerin Elise kennen. Verunglimpft durch seine Landsleute verliert der Student sein Stipendium und zieht aus Geldnot bei Elise und deren Mutter ein. Doch als er die Möglichkeit erhält, sich bei den Japanern zu rehabilitieren, wird er vor die Wahl gestellt: Japan oder Elise…

Besonders fasziniert hat mich aber die Erzählung „Wellenschaum“, die in München und am Starnberger See spielt. Wiederum ein japanischer Student wird von dem Maler Exter in die Studentengemeinschaft der Münchner Kunstakademie eingeführt. Treffpunkt der angehenden Künstler ist das Café Minerva in der Akademiestraße 9. Hier macht der Japaner Kose mit einer adretten, aber rätselhaften jungen Frau Bekanntschaft. Es stellt sich nicht nur heraus, dass Kose sie bei einem vorhergehenden München-Aufenthalt aus einer prekären Lage gerettet hat, sondern dass sie ohnehin eine sehr ungewöhnliche Vergangenheit hat, die sich auch auf das Schicksal Ludwigs II. auswirken wird. Zwar ist die Geschichte um den bayerischen Kini freilich in der Phantasie angesiedelt, die Beschreibung von München und der Studentenszene fußt jedoch auf eigenen Erfahrungen von Ogai Mori und dessen Freund Naojiro Harada, der als erster Japaner an der Münchner Kunstakademie studierte und auch tatsächlich mit dem Maler Exter bekannt war.

Darüber hinaus enthält „Im Umbau“ aber auch Erzählungen, die im Japan zu Ogai Moris Lebenszeit spielen und solche, die Ereignisse aus der japanischen Geschichte aufnehmen. Insbesondere letztere zeigen leicht versteckte Kritik an der japanischen Gesellschaft und deren Moralvorstellungen. Alles in allem zeigt der Band viele verschiedene Facetten des Literaten Ogai Mori. Dank der zahlreichen Fußnoten lassen sich viele Andeutungen gut einordnen; insbesondere wenn es um Ogai Moris Geliebte Elise und seine Erlebnisse in Deutschland geht.

Bibliographische Angaben:
Mori, Ogai: „Im Umbau“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schamoni, Wolfgang), Insel Verlag, Frankfurt/Main 1989, ISBN 3-458-16015-9

Dienstag, 6. August 2013

„Das Grab der wilden Chrysantheme“ von Sachio Ito

Auf 116 Seiten kommt die Übersetzung von Sachio Itos „Das Grab der wilden Chrysantheme“ – und das auch nur, weil die Lettern im Ultragroßdruck gesetzt sind. Trotz des geringen Umfangs dauert die Lektüre. Denn: Die Übersetzung erinnert oftmals an die Ausdrucksweise von Yoda – den Star Wars-Liebhabern bekannt als Jedi-Lehrer von Luke Skywalker mit einem Hang zu unmöglichen Satzkonstruktionen. Dadurch dauert’s einfach länger, sich durch den Text zu wursteln. Beispiel gefällig?

„Obgleich wir miteinander in solchem Verhältnis standen, hatten wir, die wir aufs äußerste furchtsam und aufs äußerste kleinmütig waren, einander bedeutungsvoll an der Hand je niemals gehalten.“ (S. 47)

Zur Ehrenrettung des Übersetzers Koji Yamada muss man freilich hinzufügen, dass er den Text aus Liebhaberei übersetzt zu haben scheint, um dem deutschsprachigen Publikum einen japanischen Klassiker, der in Koji Yamadas Heimat spielt, zugänglich zu machen. Dennoch hätte eine gründliche Überarbeitung Not getan.

Die Geschichte selbst ist recht anrührend: Masao und die zwei Jahre ältere Tamiko wachsen gemeinsam auf und sind ein Herz und eine Seele. Doch die Beziehung der beiden Teenager erscheint manchen Erwachsenen zu innig. Gehen die beiden denn noch kindlich-unschuldig miteinander um oder frönen sie ihrer ersten Liebschaft?

Bis zu dem Zeitpunkt als die Verdächtigungen einsetzen, ist die Beziehung von Masao und Tamiko tatsächlich wie die von Bruder und Schwester. Doch die Unterstellungen wirken wie ein Katalysator: In Masao und Tamiko beginnt die Liebe zu keimen. Da Tamiko älter als Masao ist, ist eine Heirat der beiden undenkbar. Masaos Mutter interveniert alsbald – das Ende von „Das Grab der wilden Chrysantheme“ ist, wie der Titel bereits impliziert, tragisch.

Update 2015: 
Eine weitere Übersetzung der Novelle durch Nobue Shimada ist zwischenzeitlich verfügbar.

Bibliographische Angaben:
Ito, Sachio: „Das Grab der wilden Chrysantheme“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Yamada, Koji), Honnofukei-sha, Asaka 2010, ISBN 978-4-903703-36-7

Montag, 5. August 2013

Sachio Ito

Sachio Ito
(Creative Commons Lizenz)
Sachio Ito kam im Jahr 1864 als Kojiro Ito und Sohn eines Landwirts in der Präfektur Chiba zur Welt. Im Alter von zehn Jahren las er bereits chinesische Klassiker. Mit 18 ging an er an die Meji-Schule für Rechtswissenschaften, die er aber wegen einer Augenkrankheit abbrechen musste. Zunächst kehrte er zu seinen Eltern zurück, um dann aber wieder nach Tokio aufzubrechen und hier eine Karriere als Geschäftsmann einzuschlagen. Mit 26 eröffnete Sachio Ito dann schließlich seine eigene Firma.

In seinen 30ern begann Sachio sich für die Teezeremonie und die Tanka-Dichtung zu begeistern. Er wurde Schüler des Dichters Shiki Masaoka und selbst schließlich Lehrer von Mokichi Saito. Zudem gründete er die Tanka-Zeitschriften Ashibi und Araragi.

Im Jahr 1906 veröffentlichte er die Novelle „Das Grab der wilden Chrysantheme“ in der Haiku-Zeitschrift Hototogisu, die heute als Klassiker gilt und mehrfach verfilmt wurde.

1913 starb Sachio Ito an einer Gehirnblutung.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Novellen und hier rezensiert:

Sonntag, 4. August 2013

„Der Blinde und das Mädchen“ von Yasunari Kawabata

Siegfried Schaarschmidt, der Übersetzer und Herausgeber von Yasunari Kawabatas Handtellergeschichten in „Das Blinde und das Mädchen“ erlebte die Veröffentlichung des Bandes im Jahr 1999 leider nicht mehr. Er begeisterte sich seit langem für die Werke Kawabatas und insbesondere für dessen Kurzgeschichten, die wie schwebend, balancierend und ohne erkennbares Erzählziel Wirklichkeitsebenen transzendieren, wie Irmtraud Schaarschmidt-Richter im Nachwort schreibt.

Zwar umfasst „Der Blinde und das Mädchen“ nur gute 100 Seiten, doch um die Kurzgeschichten genießen zu können, sollte man sich Zeit lassen und sich nicht durch das Büchlein durchfressen.

Da ist zum Beispiel die Geschichte „Wartesaal Dritter Klasse“, in der ein verabredeter Treffpunkt die Entwicklung einer Liebesbeziehung unerwartet beeinflusst. In „Unvergänglich“ wird ein Spaziergang eines ungleichen Paares geschildert, das doch von ganz anderer Art ist als man anfangs vermuten mag. Oder im „Bahnhof im Herbstregen“ treffen zwei ehemalige Rivalinnen in der Liebe erneut aufeinander und spielen ein sicherlich kindisches Spielchen miteinander, um sich erneut gegenseitig auszustechen.

Manchmal wirken die Handlungen in Yasunari Kawabatas Handtellergeschichten sehr real, um sich dann als eine Geschichte aus der Geisterwelt zu entpuppen. Dann wieder werden Traumsequenzen skizziert, die besonders surreal wirken. So spielen die Kurzgeschichten mit Wirklichkeitsebenen, deuten die Dinge nur an, lösen schließlich nicht und nur ansatzweise auf. Sicherlich offenbart sich der Reiz dieser Kurzgeschichten nur, wenn man sich auf diese Vagheit einlässt.

Bibliographische Angaben:
Kawabata, Yasunari: „Der Blinde und das Mädchen“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schaarschmidt, Siegfried & Putz, Otto), Hanser, München/Wien 1999, ISBN 3-446-19694-3

Samstag, 3. August 2013

„Paradies im Meer der Qualen“ von Michiko Ishimure

Zuerst spielen die Katzen in Minamata und den umliegenden Fischerdörfern verrückt: Sie gebärden sich wie wild, rennen sich an Mauern die Köpfe ein oder ertrinken im Meer. Doch nicht sehr viel später fühlen sich auch die Menschen seltsam: Die Hände werden taub, das Laufen und Sprechen fällt immer schwerer. Es folgen Erblindungen und Krämpfe. Manche armen Seelen können bald nur noch wie Hunde jaulen und sterben elendiglich.

Was wie aus einem Endzeitfilmchen entlehnt scheint, basiert leider auf realenen Geschehnissen. Denn als die Firma Chisso in den 50er Jahren quecksilberhaltige Abwässer ins Meer leitete, gelangte das Quecksilber in die Nahrungskette. Verseuchter Fisch ließ erst die Katzen sterben. Viele Fischer und deren Familienangehörigen starben, unzählige erlitten irreversible Schäden am zerebralen Nervensystem. Autopsien offenbarten Gehirne, die wie ein Schweizer Käse durchlöchert waren.

Michiko Ishimure, die in der Gegend von Minamata wohnte, hält in „Paradies im Meer der Qualen“ die tragischen Ereignisse fest. Denn nicht nur, dass die Familienmitglieder der Fischer krank werden, auch die Fische in der See werden immer weniger. So bleibt das Einkommen aus, das gerade so nötig wäre, um die Kranken zu versorgen. Da die Katzen tot sind, fallen Ratten über die Netze und Gerätschaften der Fischer her. Bald bleibt nichts weiter übrig, als auch noch das Arbeitsgerät zu verkaufen, um über die Runden zu kommen. Und die Firma Chisso zieht sich möglichst aus der Affäre. Kompensationszahlungen müssen hart erkämpft werden, ein Schuldeingeständnis wird erst Jahre später zugestanden.

Michiko Ishimure vereint in „Paradies im Meer der Qualen“ offizielle Dokumente und fiktive Beschreibungen von Betroffenen, die als beispielhaft gelten können. Bei knapp 1.500 offiziell anerkannten Todesopfern (Stand 1994) lassen sich die vielen schrecklichen Einzelschicksale nur erahnen. Hinzu kommen die zahllosen Kranken, die mit irreversiblen Schäden leben müssen und noch Jahrzehnte später um ihre Anerkennung als Minamata-Geschädigte kämpfen müssen.

Vor Michiko Ishimure kann man nur den Hut ziehen. Denn obwohl sie von diversen Seiten gedrängt wurde, ihr journalistisches Engagement für die Minamata-Kranken einzustellen, publizierte sie mit „Paradies im Meer der Qualen“ eine Anklage, die sich gegen einen ungezügelten Kapitalismus richtet, der ohne Rücksicht auf Verluste die Natur schädigt. Geradezu erpresserisch erscheint die Firma Chisso: Eine latente Drohung, den Standort in Minamata zu schließen, lässt viele Menschen verstummen, würde dies doch den Wegfall des Hauptarbeitgebers der Region bedeuten.

Trotzdem ist „Paradies im Meer der Qualen“ nicht mit enormer Bitterkeit geschrieben, schimmert doch überall die Sehnsucht der Betroffenen nach dem Meer, nach einem ursprünglichen Leben durch.

Bibliographische Angaben:
Ishimure, Michiko: „Paradies im Meer der Qualen“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Insel Verlag, Frankfurt/Main & Leipzig 1995, ISBN 3-458-16725-0