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Donnerstag, 31. Januar 2013

„Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“ von Shinya Goikeda

Um gleich einer berechtigten Vermutung vorzuschützen: Nein, ich bin nicht auf den Geschmack von trashiger Fantasy-Literatur gekommen, dass ich mir gleich nach „Devil May Cry 1 – Der Ursprung“ den zweiten Teil reinziehen musste. Beide Romane lesen sich vielmehr so schnell weg, dass man sie so mal eben durch hat.

Die Bezeichnung „zweiter Teil“ stimmt nur bedingt für „Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“. Denn zwischen dem ersten und dem zweiten Roman liegt die Story aus dem Computerspiel: Dante hat Satan besiegt und langweilt sich als Dämonenjäger. Doch irgendwas liegt in der Luft: Er bekommt einen Auftrag von der rothaarigen Beryl, die auf der Suche nach den so genannten Dämonenköpfen ist. Dies ist ein Medaillon mit magischen Kräften, das Satan selbst erschaffen hat. Das Medaillon verleiht dem Träger ungeahnte Macht, doch stürzen die menschlichen Besitzer reihenweise ins Verderben. Beryl hat ein Trauma aus der Kindheit davongetragen, weswegen die Zerstörung der Dämonenköpfe zu ihrer persönlichen Mission wird.

Auch in „Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“ vollzieht sich die Handlung in einem atemberaubenden Tempo und führt Dante und Beryl sogar in eine Parallelwelt, in der Dante sich mit Dämonen verbündet, ein Heer von Amazonen besiegen und ein zweites Mal gegen Satan antreten muss. Und dann gibt es auch in der eigentlichen Welt einen geheimnisvollen und mächtigen Gegner zu schlagen.

Andere Autoren hätten aus dem Buch mindestens drei Bände gestrickt. Insofern leidet „Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“ auch an fehlenden Stimmungen, die der Autor Shinya Goikeda im ersten Teil noch eher transportieren konnte. Aber um ehrlich zu sein: Was soll’s… Wer ausgefeilte Charaktere und detaillierte Stimmungsbilder schätzt, wird ohnehin nie zu „Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“ greifen.

Bibliographische Angaben:
Goikeda, Shinya: „Devil May Cry 2 – Dantes Rückkehr“, Panini, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8332-1410-3

Dienstag, 29. Januar 2013

„Devil May Cry 1 – Der Ursprung“ von Shinya Goikeda

„Devil May Cry“ – mögen die Dämonen doch heulen, wenn sie mit Tony Redgrave zusammenstoßen. Shinya Goikeda schreibt mit dem ersten Teil seiner „Devil May Cry“-Stories die Vorgeschichte zum Capcom-Videospiel rund um den Devil Hunter Dante aka Tony.

Tony ist ein Allrounder, ein Söldner für kriminelle Organisationen, der gegen ein gewisses Entgelt brenzlige Jobs übernimmt. Er ist der Star unter den Allroundern. Keiner schießt so schnell wie er und keiner hat bessere Sprüche auf den Lippen. Dass sich Tony mit seinem Verhalten Feinde macht, liegt auf der Hand.

Zwischenzeitliche gehen in der ohnehin endzeitlich wirkenden Stadt unerklärliche Dinge vor sich. In der Dunkelheit scheinen sich unheimliche Wesen zu tummeln. Auch Tony macht diese Erfahrung, als er bei einem seiner Jobs einem Zombie-Angriff ausgesetzt ist.

Gleichzeitig taucht ein neuer Allrounder auf, der Tony ebenbürtig zu sein scheint. Es ist der geheimnisvolle Gilver, der sein Gesicht hinter einem Verband verbirgt und Tony den Posten des besten Allrounders streitig macht. Als Tonys Kumpan Grew verschwindet, beginnt Tony mit seinen Nachforschungen und trifft auf allerlei dunkle Mächte.

Zuviel sollte man von „Devil May Cry 1 – Der Ursprung“ freilich nicht erwarten: Es ist für genügend Action und Blut gesorgt, um Videospiel-Fans ein nettes Entertainment zu bieten. Auf einzelne Charaktere wird nur wenig eingegangen, stattdessen folgt ein Ereignis zackig auf das nächste. Insbesondere Tonys Familienverhältnisse und seine Motivationen hätten sicherlich besser beschrieben werden können, um die Story auch für Nicht-DMC-Fans interessant zu machen. Alpträume wird jedenfalls niemand nach der harmlosen Dämonengeschichte haben.

Bibliographische Angaben:
Goikeda, Shinya: „Devil May Cry 1 – Der Ursprung“, Panini, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-8332-1409-7

Montag, 28. Januar 2013

Shinya Goikeda

Ich glaube, ich habe mich bisher noch nie so schwer getan, Daten zu einem Autor zusammen zu klamüsern wir zu Shinya Goikeda. In lateinischer Schrift war glatt keine Info aufzutreiben. Über den Umweg über Amazon Japan konnte ich mir immerhin die japanischen Schriftzeichen für Shinya Goikedas Namen in die Google-Suche kopieren und wenigstens einige wenige Daten auftreiben, die jedoch unter Vorbehalt zu genießen sind.

Shinya Goikeda ist wohl 1969 in der Präfektur Kumamoto geboren. Er scheint eine Schwäche für Elektronik zu haben, insbesondere für Video-Spiele. 1997 erhielt er den Kadokawa Gakuen Fiction Preis. Beim Kadokawa Shoten-Verlag erscheinen seine Werke.

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Sonntag, 27. Januar 2013

„Erkundungen – 12 Erzähler aus Japan“ herausgegeben von Eiko Saito


Menschen in der Krise, meist betroffen vom (nahenden) Tod von Angehörigen und Bekannten, sind das übergreifende Thema der Erzählungen in „Erkundungen – 12 Erzähler aus Japan“.

Relativ harmlos kommt noch Shotaro Yasuokas „Lauf, Tomahawk!“ daher: Der Protagonist wird von einem amerikanischen Kekshersteller eingeladen, um zusammen mit Journalisten aus aller Welt den Westen der USA kennen zu lernen. Primär ist die Tour recht langweilig, bis der Ich-Erzähler seinen Mut auf dem Rücken eines Pferdes beweisen muss.

Keizo Hinos Lieblingsthema – das der modernen Stadt – steht auch in seiner Erzählung „Eisenzeit“ im Mittelpunkt. Auf der Suche nach der Botschaft eines kleinen Landes fährt der Protagonist an Häusern vorbei, in denen er bereits als Student gerne gelebt hätte und stellt sich seinem einstigen Wunschtraum erneut.

Taku Miki beschreibt „Nachbarn“: Yoshi ist in die Jahre gekommen und wird von den Jungen in ihrem Viertel „die Alte“ genannt. Die Jahre sind nach ihrem Einzug in das derzeitige Wohnhaus vergangen; auch an ihren Nachbarn geht die Zeit nicht unmerklich vorbei – der Tod klopft mehrmals an die Tür.

„In der Luft“ von Kunie Iwahashi beginnt mit dem Besuch der Ich-Erzählerin bei einer krebskranken Schulfreundin und geht über in die Schilderung der Familienverhältnisse der Protagonistin, die alles andere als innig oder liebevoll sind.

Das „Sternbild des Orions“ (von Akira Yoshimura) betrachtet Toshio im Planetarium zusammen mit seinem Vater. Dabei lässt die Toshio die Geschehnisse der letzten Zeit Revue passieren: Seine Mutter hatte die Familie wegen eines anderen Mannes verlassen und bald darauf Selbstmord begangen. Sein Vater verzweifelt an der Situation.

Haruki Murakamis „Glühwürmchen“ ist die Kurzfassung seines Romans „Naokos Lächeln“: Der Ich-Erzähler ist Student und trifft die Freundin seines Kumpans wieder, der als Teenager Selbstmord begangen hatte. Die beiden nähern sich an, doch ein Happy End ist ihnen nicht vergönnt.

„Das Trauerfeld“ von Yoshikichi Furui ist mein Highlight in dem Erzählband: Ein Freund des Ich-Erzählers verschwindet für eine Woche, nachdem ihm unheilbarer Krebs attestiert wurde. Er taucht bei einer Frau unter und führt sich gar seltsam auf.

Ein bisschen abstrus wird es in Mizuko Masudas „Blumen“: Yuki ist eine Eigenbrötlerin und kann sich in der modernen Arbeitswelt nicht zu Recht finden. Der Wirt Ariga, ebenfalls nicht gerade besonders mitteilsam, gibt der jungen Frau nicht nur einen Job, sondern besorgt ihr auch eine Wohnung. Ob die beiden eine gemeinsame Chance haben?

Kurz vor dem Alter von „Einhundert“ steht der Vater des Protagonisten in Takehiro Irokawas Erzählung. Der Ich-Erzähler hält sich am liebsten von seinem Vater fern – ist er doch ein alter Choleriker und hat seit jeher seine Brutalität an den Familienmitgliedern ausgelassen. Doch als seine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert ist, muss der Protagonist die Stellung im elterlichen Haushalt halten und sich mit seinem Vater auseinander setzen.

„Lebenstage“ werden Akira Abes Erzählung thematisiert: Erinnerungen an Tage, die sich Kindern für immer ins Gedächtnis prägen und sie bis ans Ende ihres Lebens begleiten werden.

„Die Pistole“ des Vaters liegt seit dessen Tod im Haushalt der Mutter. Tetsuo Miuras Protagonist muss sich um seine Mutter kümmern, die die Sorge um die illegale Waffe quält.

„Das Baumpflanzfest“ ist in Shuichiro Konos Erzählung die Gelegenheit für Shiotsu, seiner Wut über den Tod seines Vaters in einem Gefängnis Luft zu machen.

„Erkundungen – 12 Erzähler aus Japan“ hält ein interessantes Spektrum an Erzählungen bereit, teilweise illuster, teilweise tragisch, teilweise phantasievoll, teilweise alltäglich – jedoch immer nachdenklich.

Bibliographische Angaben:
Saito, Eiko: „Erkundungen – 12 Erzähler aus Japan“, Volk und Welt, Berlin 1992, ISBN 3-353-00880-2

Sonntag, 20. Januar 2013

„Dialoge in der Dunkelheit“ von Ryunosuke Akutagawa

Ryunosuke Akutagawa beging 1927 Selbstmord. Sein Text „Dialoge in der Dunkelheit“ aus dem gleichen Jahr schildert seinen Kampf mit den inneren Dämonen in Dialogform und thematisiert unter anderem einen möglichen Freitod und Akutagawas Wunsch nach innerem Frieden.

Darüber hinaus beinhaltet der ebenfalls „Dialoge in der Dunkelheit“ betitelte Band 16 weitere Texte: „Zehn Nadelstiche“ gleicht einer Spruchsammlung, in der Ryunosuke Akutagawa mit seinen Mitmenschen und hochtrabenden Träumen hart ins Gericht geht.

„Ein Sozialist“ beschreibt den Werdegang eines einst begeisterten Sozialisten, der sich nach seiner Familiengründung mehr und mehr in der gesellschaftlichen Mitte verortet und nur in einer romantisierenden Rückschau seinen Überzeugungen der Jugendjahre gedenkt:

„Auch jetzt sitzt er in seinem Korbsessel, genießt eine Zigarre und erinnert sich seiner Jugendzeit – menschlich, vielleicht allzu menschlich“ (S. 92)

Mit „Im Asakusa-Park“ schreibt Ryunosuke Akutagawa gar ein Drehbuch für einen surrealistisch anmutenden Kurzfilm, an dem Salvador Dali seine Freude gehabt hätte.

„Das bisherige Leben des Daidoji Shinsuke“ bricht einfach ab; bleibt unvollendet, nachdem unter anderem Shinsukes Qual geschildert wird, als Junge aus der unteren Mittelschicht seine geringen finanziellen Mittel möglichst zu verschleiern zu versuchen.

In „Beschriebene Blätter“ klingen gar emanzipatorische Töne an. Dem Autor fällt ein Brief einer unbekannten, jungen Frau in die Hände, die sich über das Schicksal der Frauen beklagt, die aufgrund schlechter Ausbildung eine Ehe als Versorgungsgemeinschaft eingehen und ihre eigenen Wünsche zurückstellen müssen. Ryunosuke Akutagawa kennt das Problem aus einer anderen Warte:

„Ich warf die Blätter in die Schublade meines Schreibtischs, wo bereits meine eigenen Träume, in einem Stapel alter Briefe, allmählich vergilbten…“ (S. 50)

Der Klappentext von Ryunosuke Akutagawas „Dialoge in der Dunkelheit“ verspricht nicht zuviel, wenn von „experimentierfreudige[r] stilistische[r] Vielfalt“ und der „sprachlichen Eleganz“ des Autors die Rede ist. Sicherlich sind die Texte aber eher in Häppchen zu genießen, als an einem Nachmittag durchzulesen.

Bibliographische Angaben:
Akutagawa, Ryunosuke: „Dialoge in der Dunkelheit“, Iudicium, München 2010, ISBN 978-3-86205-009-3

Sonntag, 13. Januar 2013

„Verwandte des Lebens“ von Kenzaburo Oe

„Verwandte des Lebens“ oder im Spanischen „parientes de la vida“, das sind die traurigen Erlebnisse, die das Leben mit sich bringt. Die Hauptperson in Kenzaburo Oes Roman ist Marie Kuraki, der das Leben viel zu viele dieser traurigen Geschehnisse bereitet. Aus der Sicht des Ich-Erzählers K., seines Zeichens Autor und Vater des behinderten Hikari (sprich: Kenzaburo Oe selbst), wird die Lebensgeschichte von Marie rekapituliert.

Marie ist Mutter von zwei Söhnen. Der ältere der beiden, Musan, ist wie Hikari geistig behindert. Marie verlässt schließlich ihren Mann und ihren jüngeren Sohn Michio, um sich zusammen mit ihrer Mutter ausschließlich um Musan zu kümmern. Doch als Michio einen schweren Unfall erleidet und künftig an den Rollstuhl gefesselt ist, tun sich die Elternteile mit den beiden behinderten Kindern wieder zusammen. Diese Entscheidung hat fatale Folgen: Der lebensmüde Michio überredet Musan, zusammen mit ihm ans Meer zu fahren und sich dort in den Tod zu stürzen.

Die Eltern trifft der gemeinsame Selbstmord der Söhne hart: Marie trennt sich von ihrem Ehemann, vegetiert tageweise in ihrer Wohnung. Durch Unterstützung aus ihrem Umfeld lenkt sie sich mit der Organisation eines Theatergastspiels ab. Doch schließlich zieht es sie in eine christliche Sekte, die von „Väterchen Tutor“ geleitet wird. Mit dieser Sekte geht sie schließlich in die USA, von dort in eine Kommune nach Mexiko, wo sie unheilbar an Krebs erkrankt. Währenddessen säuft sich ihr in Japan zurückgelassener Ehemann zu Tode.

K. ist immer wieder Anlaufstelle von Marie. Er erhält sowohl von ihr als auch von ihrem Ehemann Briefe, er besucht sie, sie besucht ihn. Es ist ein loser Kontakt, aber K. ist immer in etwa auf dem Laufenden, wie es Marie geht. Beide sind sehr belesen und philosophieren über die Aussagen von Literaten, insbesondere von Flannery O’Connor. Doch auch darüber hinaus ist „Verwandte des Lebens“ gespickt mit Zitaten von und Diskussionen über die Aussagen von Literaten: Yeats, Fitzgerald, Dante, Balzac – um nur einige zu nennen. Balzacs „Der Landpfarrer“ steht Pate für Maries weitere Entwicklung. Genauso wie Balzacs Protagonistin Véronique wird auch Marie das Büßerhemd anlegen und sich für ihre Mitmenschen aufopfern, um im Tod  die Erlösung zu finden.

Der Lebensweg von Marie ist gepflastert mit philosophischen und metaphysischen Gedankengängen. Insbesondere Maries esoterische Sektenerfahrungen lesen sich enorm zäh. Auch erschließt sich einem nicht, wie Marie aus diesem Glauben tatsächlich Kraft schöpfen kann – dies scheint sie eher zu tun, wenn sie sich hemmungslosem Sex hingeben kann. Interessant für mich war dagegen vor allem die Diskussion über Verstehbarkeit und Spürbarkeit. Denn spürbar ist der Tod ihrer Kinder auf unangenehmste Weise; wohingegen der Tod wohl nie zu verstehen sein wird.

So ganz schlüssig bin ich mir nicht geworden, was ich von „Verwandte des Lebens“ halten soll. Das Geplapper über Literaturaussagen hat mich weniger gestört als beispielsweise in „Therapiestation“, wo diese Diskussionen einfach nicht zu den Protagonisten gepasst haben. Dennoch bleibt einem die Marie Kuraki ein Rätsel, insbesondere was ihre Auffassung vom Glauben als auch ihre Beziehung zu K. betrifft. Ist nicht immer eine latente, manchmal auch offensive Anmache K. gegenüber zu spüren, obwohl sie mit K.s Ehefrau befreundet ist?

Und was ist die Moral der Geschichte? Traurigkeit ist eine „Verwandte des Lebens“? Und Marie bleibt nichts anderes übrig, als sich zeitlebens zu verausgaben, um die Kluft zwischen Spürbarem und Verstehbarem mit dem Büßerhemd der Arbeit zu überdecken, sich einfach nur abzulenken?

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: „Verwandte des Lebens“, Bebra, Berlin 1994, ISBN 3-86124-184-6

Samstag, 12. Januar 2013

„Die Erfindung des R62“ von Kobo Abe

Ein Mann, der glaubt, vom Mars zu stammen, eine Marsianerin, die glaubt, von der Erde zu stammen – das sind unter anderem die Zutaten für Kobo Abes Erzählung „Menschengleich“ im Band „Die Erfindung des R26“. Wie lässt sich unumstößlich feststellen, woher man stammt, wo Verrücktheit beginnt? Die Erzählung, die primär aus Dialogen und Wortgefechten besteht, führt auf ein unvermutetes Ende hin.

Auch „Biographie einer Nixe“ hält einige Überraschungen für den Leser bereit: Der Ich-Erzähler, der unter einer „Grün-Erethisie“ leidet, erzählt von seinem Leidensweg. Bei einem Tauchgang entdeckt er in einem Schiffswrack eine unerwartete Lebensform. Eine Nixe wurde in dem Wrack eingeschlossen und hat sich des Überlebens willen von den Leichen der ertrunkenen Matrosen ernährt. Der Ich-Erzähler ist von der Nixe völlig bezaubert und lässt nichts ununternommen, die Nixe im Geheimen in seinem Badezimmer unterzubringen. Doch der Hunger auf Fleisch bringt den Ich-Erzähler nicht nur an den Rand des finanziellen Ruins.

Mit einem grünen Phänomen kämpft auch der Protagonist von „Das Ei aus Blei“. In diesem Ei, einer Zeitkapsel, wollte ein Wissenschaftler einige Jahre im Tiefschlaf verbringen, um Jahrzehnte später seinen Nachkommen zu begegnen. Durch einen technischen Fehler der Zeiterfassung werden aus den Jahrzehnten einige hunderttausend Jahre. Gar seltsame Wesen sind die Neuzeitmenschen, die ihn, den Altzeitmenschen, als recht barbarisch betrachten.

Ein Selbstmordkandidat wird überredet, sich für einen besonderen Tod zu entscheiden – damit beginnt „Die Erfindung des R62“. R steht für Roboter, die die Misere mit unzufriedenen Arbeitern lösen und als billige, willfährige Arbeitskräfte herhalten sollen. Daher wird der Selbstmordkandidat kurzerhand zum Roboter umfunktioniert. Ob so ein Roboter eigenständig und in den Augen der Menschen vernünftig handeln kann?

Kobo Abe erzählt mit einem Augenzwinkern fantastische (Science Fiction-)Geschichten, die sich um Männer ranken, die die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Hat Spaß gemacht!

Bibliographische Angaben:
Abe, Kobo: „Die Erfindung des R62“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-39059-7

Sonntag, 6. Januar 2013

„Der letzte Shogun“ von Ryotaro Shiba

Yoshinobu Tokugawa, das war „Der letzte Shogun“ Japans. Ryotaro Shiba schildert in seinem historischen Roman die Jugend, den Aufstieg und den Fall des Herrschers, der sich bereits im Alter von 33 Jahren wieder von der politischen Weltbühne verabschiedete.

Yoshinobus Vater, Nariaki Tokugawa, Fürst von Mito, setzte große Erwartungen in seinen siebten Sohn Yoshinobu. Yoshinobu wurde daher streng nach Samurai-Tradition erzogen. Da er als Siebtgeborener keinen Erbanspruch auf Mito geltend machen konnte, stimmte sein Vater einer Adoption durch das Haus Hitotsubashi zu. Das Ziel des Strategen, Yoshinobu vom Shogun zum Nachfolger ernennen zu lassen, rückte damit näher.

Yoshinobu zeichnete sich vor allem durch seine schnelle Auffassungsgabe aus und war dadurch mit vielfältigen Talenten gesegnet. Shogun Ieyoshi war angetan von dem cleveren Burschen, obwohl dessen Vater Nariaki als unangenehme Person bekannt war. Doch bevor Ieyoshi die Erbfolge regeln konnte, verstarb er und sein Bruder Iesada wurde 13. Shogun Japans. Ryotaro Shiba schildert Iesada als geistig zurückgeblieben – schlechte Umstände für die Verhandlungen mit Matthew C. Perry, der mit seiner Flotte Druck auf Japan ausübte, um die Öffnung des Landes zu erzwingen.

Als Ieyoshi kinderlos starb, hatte er den minderjährigen Iemochi als Nachfolger eingesetzt. Yoshinobu wurde zum Vormund ernannt und damit zu einem der mächtigsten Männer Japans. Doch die Zeitumstände waren chaotisch: Die Nationalisten forderten vehement die Vertreibung der Fremden, während Yoshinobu klar war, dass sich Japan über kurz oder lang öffnen musste. Durch allerlei Tricks versuchte er sich durchzulavieren und sich zudem gegenüber feindlichen Fürstenhäusern und herrenlosen, radikalen Samurai zu behaupten.

Als Shogun Iemochi überraschend starb, stand niemand anderes als Yoshinobu als Nachfolger zur Verfügung. Er weigerte sich zunächst, da er das Shogunat als veraltet erachtete, nahm die Nachfolge dann jedoch an. Schließlich beendete er das Shogunat der Tokugawa, als er 1867 die Regierungsgewalt an den Kaiser zurückgab. Die Meiji-Restauration setzte damit ein.

Ryotaro Shiba beschreibt Yoshinobu als herausragenden Mann mit scharfem Verstand und rhetorischen Fähigkeiten, die ihresgleichen suchten. Dennoch wird einem der Kerl einfach nicht sympathisch. Wohl weil er zu selbstbewusst wirkt, dennoch eine Fehleinschätzung nach der anderen trifft und sich wie ein Wendehals aufführt. Mich hätten statt der Hymnen auf Yoshinobu noch mehr die Zeitumstände interessiert: Wie war das genau, als die herrenlosen Samurai in Kioto herumstreiften und die Stadt gewissermaßen terrorisierten? Welche konkreten Auswirkungen hatte die Öffnung der ersten Häfen? Wie entwickelte sich die Wirtschaft deswegen? Sicherlich ist dies japanischen Lesern bereits bekannt, jedoch wären das besonders wertvolle Zusatzinformationen für die Übersetzung gewesen. So bleibt die Problemlage sehr abstrakt. Wer sich jedoch für die Person des Yoshinobu interessiert, wird von „Der letzte Shogun“ sicherlich begeistert sein.

Bibliographische Angaben:
Shiba, Ryotaro: „Der letzte Shogun“, Bebra, Berlin 1998, ISBN 3-86124-281-8

Samstag, 5. Januar 2013

Ryotaro Shiba

Ryotaro Shiba (1923 als Sadaiichi Fukuda und Sohn eines Pharmazeuten in Osaka geboren) studierte die mongolische Sprache, bevor er zunächst als Soldat während der letzten Kriegsjahre eingezogen wurde und im Anschluss als Journalist für die Shin Nihon Shimbun, später für die Sankei Shimbun arbeitete.

1956 wurde sein erstes literarisches Werk "Der persische Zauberer"  veröffentlicht. 1960 erhielt er den Naoki-Preis für "Eulenschloss". Im Anschluss widmete er sich komplett seinen Romanen, deren historische Analysen weithin Anklang fanden. Schwerpunkt dieser Romane sind das 16. und das 19. Jahrhundert der japanischen Geschichte; aber auch historische Gegebenheiten der Mongolei oder Chinas.

In den 70er und 80er Jahren galt er als einer der beliebtesten Autoren in Japan. Sein Gesamtwerk umfasst 50 Bände. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

1993 erhielt er den japanischen Kulturorden. Drei Jahre später, im Jahr 1996, starb Ryotaro Shiba an inneren Blutungen

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Freitag, 4. Januar 2013

„Erinnerung an Yamashina“ von Naoya Shiga

„Erinnerung an Yamashina“ präsentiert 24 Erzählungen und Kurzgeschichten von Naoya Shiga. Die chronologisch geordneten Werke beginnen mit „Bis Abashiri“ aus dem Jahr 1910, das in der Erstausgabe der Literaturzeitschrift Shirakaba erschien, und enden mit „Die Aralie mit den achtfingrigen Blättern", in dem Naoya Shiga 1957 als 74-Jähriger über sein Leben als Literat sinniert:

„Im Gegenteil, in den letzten Jahren war ich manchmal nahe dran, zu sagen: ‚Ich bin doch nicht auf dieser Welt, um Romane zu schreiben.’ Mir ist es ernst, wenn ich feststelle, dass ich aus purem Zufall Romane geschrieben habe, eben weil ich nun einmal am Leben bin, und nicht umgekehrt. In erster Linie kommt es doch darauf an, das einem nur ein einziges Mal gegebene Leben gut zu leben, wohingegen es mir nebensächlich erscheint, dass ich währenddessen Romane geschrieben habe.“ (S. 303f.)

Unter den frühen Werken, die im Sinne der Shirakaba-Bewegung die Befreiung des Individuums und Entfaltung der Persönlichkeit thematisieren, nimmt „Das Verbrechen des Han“ eine besondere Stellung ein: Ein chinesisch-stämmiger Zirkusartist tötet während seines Auftritts mit einer Messer-Vorführung seine Partnerin und Ehefrau. Ob die Tat bewusst, unbewusst oder dem Zufall geschuldet ausgeführt wurde, kann Han selbst nicht beurteilen. Auf die japanische Jugend, weiß Edith Rau im Nachwort zu berichten, wirkte die Erzählung wie ein Aufruf zur Auflehnung, bevor man im Mief des Alltags ersticken würde.

1917 scheint Shigas Versöhnung mit seinem Vater Auswirkungen auf sein Sujet gehabt zu haben: Die Themen werden harmonischer. Dennoch werden auch weiterhin vor allem grundlegend menschliche Gefühle wie Liebe, Einsamkeit und die Angst vor dem Tod thematisiert. Da Shiga, der der japanischen Tradition der Ich-Erzählung treu war und daher primär eigene Erfahrungen literarisch umsetzte, darf man annehmen, dass eine Ehefrau keinen Spaß mit ihm hatte: Der einen oder anderen Geisha scheint er verfallen zu sein und sich diverse außereheliche Affären geleistet zu haben – so zumindest die Protagonisten einiger seiner Erzählungen.

Bibliographische Angaben:
Shiga, Naoya: „Erinnerung an Yamashina“, Volk & Welt, Berlin 1986

Donnerstag, 3. Januar 2013

Naoya Shiga

Obwohl der Autor Naoya Shiga zu Hause in Japan sehr bedeutend war, ist er hierzulande kaum bekannt. Für viele jüngere Autoren galt er als Vorbild. 1883 wurde Naoya Shiga in Ishinomaki geboren und wuchs bei seinen Großeltern in Tokio auf. Er besuchte die Eliteschule Gakushuin und im Anschluss Kaiserliche Universität Tokio. Er studierte zunächst Anglistik, schrieb sich dann für japanische Literatur ein, verließ die Universität schließlich aber ohne Abschluss.

Bereits 1910 mitbegründete Naoya Shiga den Literaturzirkel namens Shirakaba (= weiße Birke), der eine eigene Literaturzeitschrift herausgab, in deren Erstausgabe seine Erzählung „Bis Abashiri“ enthalten war. Nach seinem Austritt aus der Universität betätigte er sich als Schriftsteller.

Naoya Shiga setzte vor allem seine eigenen Erfahrungen literarisch um, insbesondere mit der Ich-Erzählung. 1949 erhielt er japanischen Kulturorden.

1971 starb der Autor an einer Lungenentzündung.

Interessante Links:
  • UC Press E-Books Collection: Shiga Naoya: The Hero as Sage (in: „The Rhetoric of Confession - Shishosetsu in Early Twentieth-Century Japanese Fiction“ von Edward Fowler)

Hier rezensiert:

Weitere ins Deutsche übersetzte Erzählungen:
  • Der Flaschenkürbis
  • In Kinosaki

Mittwoch, 2. Januar 2013

„Jadeschwert und Pflaumenblüte“ von Alison Fell

Laut des Vorworts eines gewissen Geoffrey Montague-Pollock geht „Jadeschwert und Pflaumenblüte“ auf fragmentarische, japanische Texte aus dem zehnten oder elften Jahrhundert zurück, die von der Hofdame Onogoro handeln. Es wird gar das „Harvard Journal of Asiatic Studies“ zitiert, das im Jahr 1963 angeblich die Autorenschaft der Texte untersucht hatte. Und dann wird noch einem Professor Arye Blower gedankt, der mit seiner Mitarbeiterin Alison Fell die Texte anscheinend übersetzt hat.

Recherchiert man dann etwas weiter, stößt man zumeist auf englischsprachige Artikel, die richtig stellen: „Jadeschwert und Pflaumenblüte“ entstammt wohl primär der Fantasie von Alison Fell. Man lerne daraus: Glaube nie einem Vorwort.

Eigentlich gehört eine Rezension über diesen kleinen Schundroman also nicht auf diesen Blog. Da ich bei meinen Internetrecherchen aber primär auf englischsprachige Quellen (z.B. in der New York Times oder Boston Phoenix) gestoßen bin, die den Sachverhalt berichtigen, gibt es jetzt auch hier einen kleinen Blog-Post auf Deutsch.

Die Dichterin Onogoro ist Hofdame in Kioto und hat sich als Gönner einen General zum Geliebten auserkoren. Der Sex mit ihm befriedigt die Hofdame jedoch keineswegs. Daher engagiert sie den blinden Stallburschen Oyu, der ihr während des Liebesspiels anregende Geschichten einflüstern soll. Damit der General Oyu nicht bemerkt, ist er hinter einem Wandschirm verborgen. Doch nur Onogoro kann seine Stimme vernehmen.

Der General wiederum steht im Mittelpunkt einer Intrige eines Prinzen. Und auf Onogoros Körper entstehen wie von selbst Schriftzüge von Gedichten, die der eifersüchtige General einem Widersacher zuschreibt. In diese ganze Szenerie aus Missgunst und Eifersucht werden „erotische“ Geschichten eingebettet, die aber eher brutal und bizarr sind und zudem eine Prise Sodomie enthalten.

Auf Alison Fells Irrtümer hinsichtlich historischer Authentizität weist Edmund White in oben verklinktem Artikel in der New York Times bereits ausführlich hin. Etwas irritierend ist die Vorgehensweise des Rowohlt-Verlags, die Fehlinformationen der englischen Ausgabe so unkommentiert zu lassen. Zwar steht in „Zu diesem Buch“, der Roman sei „verschmitzt verkleidet als Kopfkissenbuch“, aber gleich auf der gegenüberliegenden Seite wird die Historizität des Romans impliziert: Er sei nur „herausgegeben von Alison Fell“ und „Unter Hinzuziehung der englischen Übersetzung von Arye Blower“, der später als ausgewiesener Japanologe vorgestellt wird, entstanden.

Bibliographische Angaben:
Fell, Alison: „Jadeschwert und Pflaumenblüte“, Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13918-9