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Samstag, 29. Januar 2022

"Die einsame Bodybuilderin" von Yukiko Motoya

Was für ein Ritt... Für Yukiko Motoyas "Die einsame Bodybuilderin" findet man fast keine oder viel zu viele Worte: bizarr, kurios, verrückt, verschroben, psychedelisch und auch ein bisschen gruselig. Vielleicht lehne ich mich da jetzt auch etwas zu weit aus dem Fenster - Yukiko Motoya wirkt wie ein weiblicher Kobo Abe auf mich.

Der Großteil der in "Die einsame Bodybuilderin" vereinten Geschichten dreht sich um Partnerschaft und Eheleben. Die Perspektive der weiblichen Protagonistinnen ist teilweise so hübsch überspitzt auf den Punkt gebracht, dass ich mir bei der Lektüre in der U-Bahn durch mein Gelächter irritierte Blicke anderer Fahrgäste eingefangen habe.

Die längste Erzählung "Ehe mit einer fremden Spezies" hätte für mich gern auch in Romanlänge ausgebreitet werden können: Während man ja gemeinhin gerne sagt, Hundehalter und Hund gleichen sich mit der Zeit an, so sind dies in der Erzählung der Ehemann und die Ehefrau. Mehr noch: Der schrullige Gatte scheint die Gattin und Protagonistin langsam geradezu zu assimilieren. Dazwischen geht's um alles vollurinierende Katzen, sinnloseste Computerspiele und frittiertes Essen.

Auch die Handlung von "Die Hunde" hätte Romanpotenzial. Hier zieht sich der männliche Protagonist in eine einsame Berghütte zurück, um eine zeitintensive Auftragsarbeit fertig zu stellen. Er bekommt Besuch von einer Hundeschar, die ihn fasziniert. Doch die Einwohner des nächsten Dorfs sind gar nicht gut auf die Hunde zu sprechen. Stecken sie hinter dem mysteriösen Verschwinden von einzelnen Bewohnern? Der Plot der Erzählung könnte auch von einem Steven King stammen.

„Die einsame Bodybuilderin“ hat Appetit auf mehr Lesestoff von Yukiko Motoya gemacht. Ich warte jetzt schon auf weitere Veröffentlichungen.

Bibliographische Angaben:
Motoya, Yukiko: "Die einsame Bodybuilderin" (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Blumenbar Verlag, München 2021, ISBN 978-3-351-05075-7

Freitag, 28. Januar 2022

Yukiko Motoya

Yukiko Motoya
(Photocredit:
Rana Shimada)
Yukiko Motoya (Jahrgang 1979) ist sowohl Autorin als auch Schauspielerin und Regisseurin. Sie wurde in Hakusan in der Präfektur Ishikawa geboren. In ihrer Schulzeit gehörte sie dem Schauspielclub an. Schließlich zog sie nach Tokio, um dort im Enbu Seminar Schauspielunterricht zu nehmen. Hier gehörte sie der Klasse von Matsuo Suzuki an.

1988 übernahm sie eine erste Rolle als Synchronsprecherin in einem Anime. Im  Jahr 2000 gründete sie die Theatrical Company, bei der sie als Schauspielerin und Regisseurin fungierte. Bekannt wurde Yukiko Motoya in Japan unter anderem als Radiomoderatorin von „Yukiko Motoyas All Night Nippon“ in den Jahren 2005 und 2006.

2003 debütierte sie als Autorin mit drei Erzählungen, die in einem Band des Kodansha-Verlags erschienen. Neben vielen Nominierungen für diverse Preise nach Ihrem Autorendebüt gewann sie unter anderem den Mishima-, den Oe-, als auch den Noma-Preis.

Yukiko Motoya ist mit Kite Okachimachi, einem Dichter, verheiratet. 2015 wurde sie Mutter eines Mädchens, 2021 wurde ein Sohn geboren.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Freitag, 21. Januar 2022

„Der Klang der Wälder“ von Natsu Miyashita

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – das merkt Tomura, der Protagonist in Natsu Miyashitas „Der Klang der Wälder", recht schnell, als er die Schule für Klavierstimmer abgeschlossen hat. Denn außer dem schulischen Wissen braucht es vor allem Erfahrung. Sein Kollege Itadori hat von letzterem genug und wird von berühmten Musikern gebucht. Und auch Tomura ist schwer begeistert von ihm: Itadori hat einst das Klavier in Tomuras Oberschule gestimmt. Die Töne haben Tomura in Bildwelten abtauchen lassen und in ihm den Wunsch geweckt, ebenso Klavierstimmer zu werden.

Doch nun verdingt er sich erstmalig als Klavierstimmer und muss feststellen, dass die jahrlange Erfahrung seiner Kollegen sie um Welten professioneller macht.

„Der Klang der Wälder“ ist ein sehr handlungsarmer Roman. Wenn man so will, ist die fast einzige Spannung die, ob man nun Zeuge von Tomuras Scheitern oder seines erfolgreichen Werdegangs wird. Manchmal ist der Roman philosophisch oder geradezu quasi-religiös, manchmal eher technisch. Das macht sicherlich auch die Handlungsarmut wieder etwas wett.

Eine kleine Kostprobe:

„In gewisser Weise konnte ich jedoch nachvollziehen, dass Astronomie und Musik als Matrix der Welt galten. Man extrahiert aus dem unendlichen Sternenmeer einige wenige Exemplare, um sie in eine umrissene Form zu bringen. Beim Stimmen ist es ähnlich. Man erwählt schöne Dinge aus dem Gesamtgefüge der Welt, wo sie sich im aufgelösten Zustand befinden. Dabei geht man ganz behutsam vor, um die Schönheit in der Sichtbarmachung zu bewahren.

C, D, E, F, G, A, H – die sieben Töne beziehungsweise zwölf, wenn man die Halbtonschritte dazurechnet – werden herausgefiltert, bezeichnet und funkeln nun ebenso wie die Sternbilder. Es ist die Aufgabe des Stimmers, diese Töne aus dem unendlichen Klangkosmos herauszufischen und harmonisch zu arrangieren.“ (S. 211)

Neben dem musikalischen Ansatz lässt sich „Der Klang der Wälder“ auch als eine Parabel auf das Durchhalten, Sich-Durchbeißen zu lesen. Während es im deutschen Sprachgebrauch heißt, es ist kein Meister vom Himmel gefallen, so scheint es im Japanischen die Aussage zu geben, dass man erst nach zehntausend Stunden eine Meisterschaft erreichen kann (so belehrt Tomuras Kollegin den Job-Anfänger).

Bibliographische Angaben:
Miyashita, Natsu: „Der Klang der Wälder“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Insel, Berlin 2021, ISBN 978-3-458-17900-9

Donnerstag, 20. Januar 2022

Natsu Miyashita

Die Autorin Natsu Miyashita (geboren 1967 in Fukui) studierte Philosophie an der Sophia-Universität in Tokio. 2004 debütierte sie mit dem Werk „Leiser Regen“, das mit einem Newcomer-Award ausgezeichnet wurde.

2013 verbrachte sie mit ihrer fünfköpfigen Familie einen einjährigen Aufenthalt auf Hokkaido. Diese Erfahrung dokumentierte sie in ihrem Werk „Der Spielplatz der Götter“. Auch „Der Klang der Wälder“ wurde von diesem Aufenthalt inspiriert, aber auch von Natsu Miyashitas Passion fürs Klavierspielen.

2017 wurde „Der Klang der Wälder“ verfilmt.

Interessante Links:


Hier rezensiert:


Weitere ins Deutsche übersetzte Werke:

  • Der Spielplatz der Götter

Samstag, 15. Januar 2022

„Die Katzen von Shinjuku“ von Durian Sukegawa

Man nehme einen männlichen Versager, eine Frau mit Geheimnissen, eine Bar in Tokio und ganz viele Katzen. Das klingt zwar mehr nach einem Rezept à la Haruki Murakami, aber „Die Katzen von Shinjuku“ ist von Durian Sukegawa. Und da der Autor selbst im Radio- und Fernsehbusiness tätig ist, so ist es auch sein Protagonist Yama: Dieser merkt erst zum Ende seines Studiums hin, dass seine Rot-Grün-Sehschwäche ein Knock-Out-Kriterium für eine Karriere in den Medien ist. Er kommt über Umwege doch in eine Position, aus der er sich hocharbeiten muss, ist aber nicht von ungefähr dauerfrustriert.

Genau zur richtigen Zeit findet er die Bar Karinka, in der die Stammgäste nach Lust und Laune „Miau-Jong“ spielen: Sie wetten darauf, welche Straßenkatze sich als nächstes im Fenster zeigen wird. Doch neben dem lustigen Katzenspiel fasziniert Yama auch die Kellnerin Yume. Das Karinka, Yume und die Katzen werden zum Rettungsanker für den strauchelnden Yama.

Eine ganz ausführliche Rezension zu Durian Sukegawas „Die Katzen von Shinjuku“ findet man hier (Achtung: Spoiler-Alert!). Dank Lisette Gebhardt weiß ich nun, dass Literatur über Katzen in Japan sogar einen eigenen Begriff hat, nämlich „neko bungaku“. Ein bisschen gestört hat mich, dass der Erzählstil sich zwischendurch geändert hat: Dieser reicht von überspitzt-bizarr, nüchtern-berichtend bis hin zu poetisch. Ich hätte mich besser abgeholt gefühlt, wenn der Autor hier nicht geswitcht hätte. Wem aber Geschichten aus dem Nachtleben Tokios, insbesondere der sicherlich oftmals illustren Stammkundschaft der Bars gefallen, für den wird „Die Katzen von Shinjuku“ bestimmt auch ein Leckerbissen sein.

Was ich bei „Die Katzen von Shinjuku“ sehr vermisst habe, war ein Nachwort. Mich hätte sehr interessiert, welche Teile von Yamas Karriere autobiographisch sind, oder ob sich der Autor nur von seinem Arbeitsumfeld hat inspirieren lassen. Oder auch eine historische Einordnung, warum ein Ausschluss von Rot-Grün-Fehlsehenden in Japan legitim war und dies nicht als Diskriminierung gegolten hat. Wann und warum hat sich das geändert? Oder auch eine Erklärung zu dem abgebildeten Katzen-Plakat am Ende des Buches: Hat es das „Miau-Jong“ tatsächlich in einer Bar gegeben; ist es gar keine Erfindung des Autors?

Bibliographische Angaben:
Sukegawa, Durian: „Die Katzen von Shinjuku“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Dumont, Köln 2021, ISBN 978-3-8321-8147-5

Samstag, 8. Januar 2022

„Insel der verlorenen Erinnerung“ von Yoko Ogawa

„Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“  Dieses Zitat von Heinrich Heine wird in Yoko Ogawas „Insel der verlorenen Erinnerung“ gebracht, als auf besagter Insel wieder mal etwas verschwindet. Das Verschwinden von Dingen ist ein kurzzeitig aufregender, aber auch gelernter Prozess. Man wacht auf und merkt, dass etwas anders ist und versucht nachzuspüren, was es sein kann. Gibt es fortan keine Parfums mehr? Oder keine Mundharmonikas? Oder sind es vielleicht die Vögel, die heute verschwunden sind? Mit dem Ding löscht sich auch die Erinnerung an den Gegenstand aus. Selbst das Wort, der Begriff dafür, kann einem nicht mehr über die Lippen kommen.

Doch auf der Insel ticken nicht alle Menschen so. Bei einigen wenigen funktioniert die Erinnerungstilgung nicht. Diese Menschen versuchen unauffällig weiterzuleben. Doch die Erinnerungspolizei hat ihre Mittel und Wege, diese Querschläger ausfindig zu machen. Eine der ersten Personen, die die Erinnerungspolizei in Gewahrsam nimmt, ist die Mutter der namenlosen Protagonistin. Als diese noch ein Kind war, wird die Mutter abgeholt und kommt nicht mehr lebend zurück.

Viele erinnerungsfähige Menschen beginnen, unterzutauchen. Auch die Protagonistin wird sich daran beteiligen, einen unschuldig Verfolgten zu verstecken. An manchen Stellen weckt die Dystopie Assoziationen an die NS-Zeit, dann wieder an die chinesische Kulturrevolution und dann wieder an das Regime in Nordkorea.

„Insel der verlorenen Erinnerung“ war für mich eher eine Liebe auf den zweiten Blick. Andere Veröffentlichungen von Yoko Ogawa ziehen einen schnell in den Bann. Bei diesem Roman habe ich zwei Anläufe gebraucht. Den ersten  habe ich nach den ersten 30 Seiten abgebrochen, weil mir die Protagonistin zu blutleer erschien. Dafür, dass die Erinnerungspolizei ihre Mutter ermordet und das Lebenswerk ihres Vaters zerstört hatte, war sie mir zu lethargisch und so gar nicht wütend.

Der Roman nimmt erst später Fahrt auf und versöhnt auch etwas mit dem Charakter der Protagonistin – schließlich zeigt sich, dass Mutter und Vater gar nicht unbedingt die primären Bezugspersonen waren. Zudem geht’s erst später so bizarr zu, wie man es von Yoko Ogawa gewohnt ist. Dieses gewisse Schaudern macht für mich (unter anderem) den Reiz der Werke der Autorin aus.

Bibliographische Angaben:
Ogawa, Yoko: „Insel der verlorenen Erinnerung“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Liebeskind, München 2020, ISBN 978-3-95438-122-7

Sonntag, 2. Januar 2022

„Kleine Wunder um Mitternacht“ von Keigo Higashino

Der Autor Keigo Higashino steht eigentlich für Whodunit-Krimis, die von findigen Ermittlern aufgelöst werden. Mysteriös geht es da nur anfangs zu – die Lösungen entzaubern die vermeintlichen Ungereimtheiten.

Ganz anders aber diesmal in Keigo Higashinos „Kleine Wunder um Mitternacht“. Denn eine geheimnisvolle Macht lässt einen in die Jahre gekommenen Gemischtwarenladen zu einer Zeitmaschine werden, die 33 Jahre überwindet.

Drei Kleinkriminelle finden hier nach einem nächtlichen Raub Unterschlupf, um sich am nächsten Morgen wieder unters Volk zu mischen. Doch in den vermeintlich verlassenen Laden werden Briefe eingeworfen, deren Absender den Rat des Gemischtwarenhändlers erfragen. Die drei jungen Männer können nicht widerstehen und antworten auf die Fragen, die offenbar aus der Vergangenheit gestellt werden.

So verwebt Keigo Higashino unterschiedliche Schicksale unterschiedlicher Zeiten, die jedoch alle in einem gewissen Zusammenhang stehen. Und obwohl kein klassischer Kriminalfall zu lösen ist, klebt der Leser an den Seiten und will wissen, wie die Lebenswege der Protagonisten weitergehen, welche Pfade sich noch kreuzen werden. Teilweise geht es tragisch zu, teilweise hoffnungsfroh. Der Schreibstil ist wie von Keigo Higashino gewohnt völlig unprätentiös, weswegen sich das Buch quasi weginhalieren lässt.

Leider waren die gut 400 Seiten dann auch viel zu schnell durchgelesen. Ich hoffe, dass noch weitere Keigo Higashino-Romane abseits des Whodunit-Genres ihren Weg zur deutschen Übersetzung finden werden. Hat Spaß gemacht, obwohl ich zwischendurch auch mal ein Tränchen vergossen habe.

Bibliographische Angaben:
Higashino, Keigo: „Kleine Wunder um Mitternacht“ (Übersetzung aus dem Englischen (?): Finke, Astrid), Limes Verlag, München 2020, ISBN 978-3-8090-2710-2