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Sonntag, 28. Juli 2013

Michiko Ishimure

Michiko Ishimure wurde 1927 auf den Amakusa-Inseln als Tochter eines Steinmetzes mit dem Nachnamen Shiraishi geboren. Als Michiko Ishimure drei Jahre zählte, zog die Familie nach Minamata. 1943 schloss sie mit sehr gutem Ergebnis die Schule ab und wurde aufgrund des Arbeitskräftemangels während des zweiten Weltkriegs als Hilfslehrerin in der Grundschule angestellt. Als sie 1947 den heimgekehrten Soldaten und späteren Oberschullehrer Hiroshi Ishimure heiratete, kündigte sie ihre Stelle. 1948 wurde der gemeinsame Sohn Michio geboren, der das einzige Kind bleiben sollte.

Michiko Ishimure fühlte trotz ihres bescheidenen Lebens als Hausfrau und Mutter den Drang, Schriftstellerin zu werden. Die Umwälzungen der 50er auf dem Lande, die das traditionelle Gemeinschaftsleben auflösten, ließen sie politisch aktiv werden. Sie suchte die Nähe zu Gewerkschaften und zur Kommunistischen Partei. Als sie sich für die Opfer der Minamata-Krankheit einzusetzen begann, überwarf sie sich mit der Partei.

Die Minamata-Krankheit war von der Firma Chisso verursacht, die Quecksilber-verseuchte Abwässer ins Meer leitete. Chisso war jedoch auch der größte Arbeitgeber in Minamata, weswegen Michiko Ishimure selbst aus der eigenen Verwandtschaft Druck bekam, die Verhältnisse nicht weiter anzuprangern. Dennoch publizierte sie Ende der 60er Jahre das Buch „Paradies im Meer der Qualen“, das mehrere zuvor erschienene Essays bündelte. Das Werk wurde zwischenzeitlich über 30 Mal neu aufgelegt und gilt als Bibel der japanischen Umweltbewegung.

1973 erhielt Michiko Ishimure für ihr Engagement den Ramon-Magsaysay-Preis, der als die asiatische Variante des Friedensnobelpreises gilt.

Mehr als 50 Bände an literarischen Werken, darunter Essays, Romane, Gedichte, und Kindergeschichten hat Michiko Ishimure veröffentlicht.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Essays und hier rezensiert:

Samstag, 27. Juli 2013

„Kokoro“ von Soseki Natsume

Soseki Natsumes Roman „Kokoro“ ist in drei Teile gegliedert. In „Der Sensei und ich“ beschreibt der studentische Ich-Erzähler, wie er den geheimnisvollen Sensei kennenlernt. In der Sommerfrische in Kamakura fällt dem Studenten der Sensei im Gewühl der Badegäste auf. Auch wenn der Sensei eher distanziert, menschenscheu – ja gar menschenfeindlich –  ist, wird er doch bald zum Vertrauten des Studenten. Den Sensei umgeben gleich mehrere Geheimnisse: Was hat es mit dem Grab auf sich, das er jeden Monat besucht? Wieso braucht er sich nicht um sein finanzielles Auskommen zu kümmern? Warum wurde er so hart gegenüber den Menschen? Und welches Geheimnis steht zwischen ihm und seiner Ehefrau?

Als der Student seine Universitätsausbildung abgeschlossen hat, kehrt er erst einmal in seine Heimat zurück, was in dem Kapitel „Meine Eltern und ich“ beschrieben wird. Der Gesundheitszustand des Vaters verschlechtert sich rapide. Es ist abzusehen, dass es mit seinem Leben zu Ende geht. Just in dieser ernsten Situation geht ein eingeschriebener, dicker Brief vom Sensei ein, der an den Studenten adressiert ist. Der Inhalt des Briefs ist in dem Kapitel „Der Sensei und sein Vermächtnis“ dargestellt und löst die Fragen um die Vergangenheit des Sensei auf. Es ist eine Geschichte von Schuld und Verrat.

Ein bisschen seltsam mutet die Dreiteilung von „Kokoro“ (ins Deutsche übersetzt etwa „leidendes Menschenherz“) an. Denn nach dem ersten Kapitel würde man zu gerne die Auflösung in Form des Briefes des Senseis lesen. Doch stattdessen wird das Kapitel um den sterbenden Vater eingeschoben. Sicherlich bekommt die persönliche Zerrissenheit des Studenten hier zum Ausdruck, doch eigentlich möchte man primär dem Geheimnis des Sensei auf die Spur kommen.

Dieses wiederum ist mir persönlich etwas zu überzeichnet. Sicherlich mag die Tragik der Schicksale in der Lektüre reizvoll sein. Doch der Herz-Schmerz wird mir zu sehr ausgereizt.

Bibliographische Angaben:
Natsume, Soseki: „Kokoro“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar), Manesse, Zürich 1976, ISBN 3-3175-1509-8

Freitag, 26. Juli 2013

„Das Tempeldach“ von Yasushi Inoue

„Das Tempeldach“ sollte man keinesfalls als ersten Yasushi Inoue lesen. Denn dann besteht das Risiko, dass man sich an keinen zweiten mehr heranwagt. In dem historischen Roman beschreibt der Autor das Schicksal von vier jungen buddhistischen Mönchen, die im Jahr 732 mit einer japanischen Gesandtschaft nach China gehen, um einen renommierten Priester zu finden, der mit nach Japan kommen mag, um dort sein Wissen weiterzugeben.

Yasushi Inoues Werk basiert auf realen Gegebenheiten: Dem Mönch Fusho gelang es tatsächlich den berühmten Chien-chen nach Japan zu geleiten. Dazu war eine jahrlange Odyssee nötig, die mehrere Irrfahrten, Schiffbrüche, materielle Verluste und Todesfälle beinhaltete. Doch trotz eigentlich hervorragen Zutaten wie Mystik, exotische Schauplätze und starke Persönlichkeiten kommt „Das Tempeldach“ kaum über das Niveau von bloßen Aufzählungen à la „sie fuhren dorthin, hier passierte dieses und jenes und dann entschlossen sie sich da und da hin zu segeln“ hinaus. Die Dialoge sind spärlich gesät. Und obwohl Chien-chen in „Das Tempeldach“ als charismatischer Religionsführer besonders eindrucksvoll hätte beschrieben werden können, wirkt ausgerechnet der verspleente, alte Mönch Gogyo als einziger ausgeprägter Charakterkopf.

Die politische Dimension der japanischen Gesandtschaft erschließt sich leider erst aus dem Nachwort von Oscar Benl. Denn Chien-chen sollte nicht nur zwecks spirituellen Interesses nach Japan geholt werden, sondern schlichtweg um die aufmüpfigen japanischen Mönche zu disziplinieren. Dieser Aspekt hätte „Das Tempeldach“ wenigstens noch etwas Würze verliehen. Sicherlich hätte auch eine Landkarte der Irrfahrten das Buch bereichert. Wer weiß denn schon wo der T’ein-t’ai-Berg liegt und wo sich Ai-chou befindet…

Der Roman, der im Original „Tempyo no iraka“ (was wohl soviel wie „Dachziegel der Tempyo-Zeit“ bedeutet) heißt, erhielt in der deutschen Version den etwas abwegigen Namen „Das Tempeldach“. Mit dem Dachziegel kann man vielleicht den Mönch Fusho assoziieren, der zusammen mit seinen Gesinnungsgenossen dem Buddhismus in Japan eine Heimat gegeben hat. Da ist mir die Übersetzung „Das Tempeldach“ zu weit entfernt und sie steht auch in keinem Zusammenhang zur Handlung.

„Das Tempeldach“ mag für Leser, die sich für die Verbreitung des Buddhismus interessieren, sicherlich sehr interessant sein. Doch in Ermangelung von Spannung, ausgefeilten Charakterdarstellungen und Stimmungsbildern sei allen anderen lieber abgeraten. „Das Tempeldach“ wird Yasushi Inoue, dem es in seinen anderen Werken immer wieder fantastisch gelingt, Charaktere zu beschreiben, leider nicht gerecht.

Bibliographische Angaben:
Inoue, Yasushi: „Das Tempeldach“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar), Suhrkamp, Frankfurt/Main 1981, ISBN 3-518-01709-8

Sonntag, 21. Juli 2013

„Yuhi“ von Yangji Lee

Drei Erzählungen finden sich in Yangji Lees Band „Yuhi“. Ein bisschen wirken die Werke der Zainichi-Koreanerin wie das Negativ zu Banana Yoshimotos literarischem Schaffen. Bei beiden werden unter anderem schwierige Familiensituationen, Patch-Working, der Tod von lieben Familienangehörigen, die Suche nach einem neuen Anfang thematisiert. Doch während Banana Yoshimoto die herzlichen, liebevollen Seiten ihrer Charaktere herausstellt und versöhnlich bleibt, ist Yangji Lee auf der anderen Seite der Skala zu verorten:

„Die Entfernung zwischen Menschen. Gerade weil man Mensch ist, weil man lebt, besteht diese unleugbare Distanz zwischen einander.“ (S. 95)

So bleiben die Protagonisten in Yangji Lees Erzählungen isoliert und wirken bis zu einem bestimmten Grad hart und unzugänglich. Obwohl der thematisch härterer Kost schwebt eine sprachliche Leichtigkeit über den Erzählungen, wie man sie auch von Banana Yoshimoto kennt.

Mit „Der Klageschmetterling“ beginnt der Erzählband. In der Protagonistin und Ich-Erzählerin vermeint man Yangji Lee selbst zu erkennen: Vor dem Scheidungskrieg der Eltern ist sie von zu Hause nach Kioto ausgerissen, um sich mit einem Job in einem Ryokan über Wasser zu halten. Schließlich kehrt sie doch wieder nach Hause zurück, nur um ihre Familie weiter im Seziersaal des Familiengerichts bloßlegen zu lassen. Doch es warten noch weitere Schicksalsschläge auf die Familie.

„Verehrter Bruder“ scheint wie aus der Perspektive einer jüngeren Schwester von Yangji Lee geschrieben zu sein. Tamiko spricht hier zu ihrem älteren, verstorbenen Bruder und berichtet über ihre Schwester Kazuko, die mit ihrer Identität als Koreanerin kämpft. Sie beteiligt sich an politischen Organisationen, nimmt dubiose Jobs an, um sich neben dem von den Geschwistern geschnorrten Geld Einkünfte zu sichern, säuft wie ein Loch und verschwindet tageweise spurlos.

„Yuhi“ ist die vielleicht ausgefeilteste Erzählung: Yuhi ist eine Zainichi-Koreanerin, die in Seoul Literaturwissenschaften studiert. Doch anders als viele Studentinnen lebt sie sehr zurückgezogen und wirkt besonders scheu. Sie zieht in ein Privatzimmer im Haus der Erzählerin und deren Tante. Hier scheint sie endlich eine Oase des Friedens zu finden. Doch sie bleibt unglücklich in Seoul. Mit dem Koreanischen kann sie sich nicht anfreunden, sie liest und schreibt weiterhin auf Japanisch. Das Koreanische scheint ihr gar physische Schmerzen zu bereiten. In Korea kann Yuhi nicht glücklich werden...

Yangji Lees Erzählungen zeigen die Zerrissenheit der Zainichi-Koreaner auf. Japanisch ist ihre „Muttersprache“, doch in Japan werden sie als Fremde erachtet. Korea ist ihnen selbst fremd und auch hier finden sie nicht die ersehnte Heimat. Sie stecken in einem unlösbaren Dilemma. Als Leser meint man zu erahnen, wie Yangji Lee sich diesem mit dem Schreiben näherte. Während das ältere Werk „Der Klageschmetterling“ noch aus der Perspektive der Autorin geschrieben zu sein scheint, verschiebt sich in „Verehrter Bruder“ der Blickwinkel auf den der Schwester und in „Yuhi“ ist die Erzählerin bereits eine zunächst Fremde.

„Yuhi“ ist eine schwermütige Lektüre, die einen ungeschonten Einblick in das Leben von Zainichi-Koreanern ermöglicht. Man erahnt den langjährigen Kampf, den Yangji Lee um ihre kulturelle Identität ausgefochten haben mag. Umso trauriger, dass man aufgrund ihres frühen Todes nie erfahren wird, ob ihr die Versöhnung mit ihrem Schicksal gelungen wäre.

Bibliographischen Angaben:

Lee, Yangji: „Yuhi“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Nakamura-Methfessel, Verena), Abera Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-939876-01-4

Samstag, 20. Juli 2013

Yangji Lee

Yangji Lee (oder auch Yang-ji Lee, Yangji I, Yoshie Tanaka) wurde 1955 als drittes von insgesamt fünf Kindern in der Präfektur Yamanashi geboren. Ihr Vater war ein koreanischer Einwanderer, ihre Mutter eine in Japan geborene Zainchi-Koreanerin. Als Yangji Lee neun Jahre war, nahm die Familie die japanische Staatsbürgerschaft an. Yangji Lee erhielt den japanischen Namen Yoshie Tanaka. Erst mit 16 Jahren wurde ihr ihre koreanische Abstammung bewusst, was sie zunächst mehr als verstörte. Hinzu kam der Scheidungskrieg ihrer Eltern. Mit 17 brach sie die Schule ab und jobbte in einem Ryokan in Kioto. Von ihrem Chef überzeugt, ging sie zurück an die Oberschule. Dank eines Geschichtslehrers dort wuchs ihr Interesse an ihrer koreanischen Herkunft. Ihr Soziologie-Studium an der Waseda-Universität brach sie bald wieder ab.

1980 besuchte sie zum ersten Mal Korea, wo sie sich mit koreanischer Musik, mit koreanischem Gesang und Tanz beschäftigte. 1982 begann sie mit dem Studium der koreanischen Literatur an der Universität von Seoul.

1975 veröffentlichte Yangji Lee ihren ersten Essay, auf den weitere Essays und mehrere Romane folgten. Für „Yuhi“ erhielt sie den Akutagawa-Literaturpreis. Ihre Werke sind stark autobiographisch geprägt.

1992 starb Yangji Lee mit nur 37 Jahren überraschend an einer Myokarditis.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Freitag, 19. Juli 2013

„Erfrorene Träume“ von Wahei Tatematsu

Der Titel „Erfrorene Träume“ trifft die Handlung von Wahei Tatematsus Roman sehr treffend. Denn die studentische Wandergruppe um Noboru hat kein Glück auf ihrer winterlichen Tour im Hidaka-Gebirge auf Hokkaido. Zwar scheint der Ausflug für Noboru zunächst noch ganz positiv zu verlaufen, da er Yuko, der einzigen Frau in der Gruppe, erfolgreich Avancen machen kann. Doch eines Nachts geschieht das Unglück: Die schlafenden Studenten werden von einer Lawine verschüttet. Noboru liegt fortan relativ bewegungsunfähig unter einer dicken Schneeschicht. Traum- und Wachphasen wechseln sich ab. Als es ihm endlich gelingt, sich etwas Platz zu verschaffen, beginnt er mit kurzzeitigen, mühseligen Versuchen, sich frei zu graben. Dabei legt er den Kopf der toten Yuko frei.

Yuko spielt auch eine große Rolle in seinen Träumen. So imaginiert Noboru Situationen, die vielleicht eingetreten wären, wäre die Lawine nicht abgegangen: Yuko, wie sie die Wandergruppe nach der Rückkehr aus den Bergen bekocht. Noboru und Yuko auf einer sommerlichen Bergtour. Der erste gemeinsame Sex… Doch träumt Noboru auch von bereits verstorbenen Bergsteigern, die als Geister immer noch bei dem Überlebenden ihrer gemeinsamen Unglückstour erscheinen.

In „Erfrorene Träume“ macht sich große Beklemmung breit. In den Bergen liegen Leben und Tod besonders nahe beieinander. Ein falscher Schritt kann das Ende bedeuten. Als Noboru verschüttet wird, beginnt der Alptraum. Dennoch scheint Noboru nichts zu bereuen. Sein Leben – und sein Tod – gilt den Bergen.

Ein interessantes Detail an „Erfrorene Träume“ besteht darin, dass sich Wahei Tatematsu für sein Werk wohl von dem realen Fall eines Lawinenopfers hat inspirieren lassen, das noch einige Tage nach dem Abgang verschüttet überlebt und Aufzeichnungen aus den letzten Lebensstunden hinterlassen hat.

Ein kleines Manko an „Erfrorene Träume“ scheint in der Übersetzung zu liegen. Manche Begrifflichkeiten (wie z.B. „Kälteschutzkleidung“) kommen recht sperrig daher. Einige Passagen hätten vielleicht etwas prägnanter formuliert werden können. Und da es im Deutschen nun mal ein Gütekriterium von Texten ist, möglichst mit Synonymen zu arbeiten, hätte der Roman auch noch daraufhin überarbeitet werden können.

Bibliographische Angaben:
Tatematsu, Wahei: „Erfrorene Träume“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Rhyner, Bruno), Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-936018-85-1

Donnerstag, 18. Juli 2013

Wahei Tatematsu

Wahei Tatematsu wurde 1947 als Kazuo Yokomatsu in der Präfektur Tochigi geboren. Er studierte an der Waseda-Universität Politologie und Wirtschaftswissenschaften. Der literaturbegeisterte Student beteiligte sich Ende der 60er Jahren an Demonstrationen und reiste viel.

Im Gegensatz zu seinen Kommilitonen trat er nach seinem Studienabschluss im Jahr 1971 nicht in eine renommierte Firma ein, sondern schlug sich mit allerlei Gelegenheitsjobs durch. So war unter anderem als Barkeeper, Hilfspfleger, Bauarbeiter und LKW-Fahrer beschäftigt, während er sich nebenher dem Schreiben widmete. In den Jahren 1973-1978 war er bei der Stadtverwaltung von Utsunomiya angestellt.

1970 veröffentlichte Wahei Tatematsu seinen ersten Roman, für den er den Waseda-Literaturpreis gewann. Der endgültige literarische Durchbruch gelang ihm schließlich 1980 mit dem Gewinn des Noma-Literaturpeises für „Fernes Donnergrollen“. Er reiste weiterhin viel und betätigte sich daher auch als Reisejournalist. Im Alter wandte er sich vermehrt buddhistischen Themen zu.

Im Jahr 2010 starb Wahei Tatematsu recht überraschend an multiplem Organversagen.

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Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Mittwoch, 17. Juli 2013

„Mond überm Dachfirst“ von Ichiyo Higuchi

Ichiyo Higuchis Erzählband heißt zwar nach dem gleichnamigen Werk „Mond überm Dachfirst“, doch ist dies nicht die längste und auch nicht die eindrücklichste Erzählung in dem kleinen Büchlein des Manesse-Verlags. Für mich war dies vielmehr „Solange sie ein Kind war“. Hier beschreibt Ichiyo Higuchi das Leben eines heranwachsenden Mädchens in dem Freudenviertel Yoshiwara. Zwar klingt leise auch Sozialkritik an, doch aus der Perspektive der Protagonistin Midori ist das Leben noch unbeschwert. Die hübsche Kleine bekommt von ihrer älteren Schwester, die als begehrte Prostituierte gut verdient, genügend Geld, um sorglos alles und jedes für sich und ihre Freunde zu kaufen; sie steht im Mittelpunkt ihrer Clique. Wenn da nur nicht der Streit zwischen zwei Jugendbanden und der erste Anflug einer unglücklichen Verliebtheit wäre.

Überhaupt ziehen sich verzweifelte Liebschaften wie ein roter Faden durch Ichiyo Higuchis Erzählungen: In „Kirschblüten in der Finsternis“ verliebt sich Chiyo in den Nachbarsjungen und darbt an unerwiderter Liebe. In „Mond überm Dachfirst“ trauert eine verheiratete junge Mutter ihrem einstigen Herrn nach, dem sie den Haushalt führte und dem sie zur Geliebten wurde. „Eine leere Zikadenhülle“ symbolisiert den Zustand von Yukiko: Nachdem ihr Geliebter in den Tod ging, ist sie dem Wahnsinn verfallen. In „Meister Bitter“ wird O-Cho zum Spielball in einer Intrige, die der Mäzen ihres Bruders strickt. „Ein Schneetag“ handelt wiederum von einer Ich-Erzählerin, die ihre Zukunft ihrer ersten großen Liebe geopfert hat. Einzig in „Am Scheideweg“ ist das Motiv nicht vornehmlich eine unglückliche Liebe eines Mädchens: Hier wird von dem Schirmmacherlehrling Kichi berichtet, der in der Näherin O-Kyo eine einzige Vertraute findet. Doch O-Kyo zieht fort, um Mätresse zu werden.

Wäre „Solange sie ein Kind war“ nicht gewesen, wäre mir Ichiyo Higuchis Bändchen ein bisschen zu eintönig gewesen. Denn das Darben wegen einer unglücklichen Liebe erinnert etwas an romantisierende Kleinmädchenphantasien von der einen, großen Liebe, für die man das Leben gerne opfert. Ausgerechnet die Erzählung über ein Kleinmädchen war dann jedoch das Highlight. Zwar mag auch hier Yoshiwara schön gefärbt werden. Doch gerade hierin lag für mich der exotische Reiz der Erzählung.

Bibliographische Angaben:
Higuchi, Ichiyo: „Mond überm Dachfirst“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Stein, Michael), Manesse, Zürich 2008, ISBN 978-3-7175-2162-4

Sonntag, 14. Juli 2013

„Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ von Akira Yoshimura, herausgegeben von Harald Meyer

Mit „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ hat Harald Meyer einen Band herausgegeben, der über Akira Yoshimuras dokumentarische Literatur zu den Katastrophen an der Sanriku-Küste hinausgeht. Hier wird dem Literaten ein kleines Denkmal gesetzt: Persönlichen Begegnungen mit Akira Yoshimura und dessen Ehefrau Setsuko Tsumura werden illustriert, deren Verhältnis untereinander wird anhand von erstmals ins Deutsche übersetzen Texten porträtiert, Akira Yoshimuras Weg zum frei- und hauptberuflichen Autor wird dargestellt und die Entwicklungen nach 3/11 werden aufgezeigt. Kernstück ist aber natürlich die etwas eingekürzte Übersetzung von Akira Yoshimuras „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste.

Der Autor begab sich seinerzeit auf Spuren- und Zeugensuche vor Ort, um die drei Tsunami 1896, 1933 und 1960, die die Sanriku-Küste heimsuchten, zu dokumentieren. Er berichtet von den gleichen Vorzeichen, die bei den ersten beiden Tsunami auftraten: Zunächst überdurchschnittlich erfolgreicher Fischfang, das Absinken des Wasserstands in Brunnen bei gleichzeitiger Trübung des Wassers, Irrlicht-artige Liftreflexe über dem Meer kurz vor dem Hereinbrechen des Tsunamis, der von dröhnenden Geräuschen begleitet wurde. Daneben stellt Akira Yoshimura die individuellen Schicksale der Menschen, die von den Katastrophen betroffen waren. Da wird eine badende Frau in ihrer Badewanne beim Zurückfluten des Tsunamis aufs Meer hinausgetragen; ein Säugling überlebt, weil ihn die sich auftürmenden Wassermassen in eine Baumkrone empor heben, wo er sich in den Ästen verfängt. Familien werden von einer Minute auf die nächste auseinandergerissen, teilweise komplett ausgelöscht; manche Dörfer sterben fast aus.

Im Unterschied zu den ersten beiden illustrierten Tsunami, denen jeweils Erdstöße vor Ort vorausgingen, resultierte der dritte Tsunami aus einem Beben in Chile. Mehr als 20 Stunden später schoben sich die Wassermassen auf die Sanriku-Küste. Eigentlich wäre dies genügend Zeit gewesen, um sich in Sicherheit zu bringen, doch die Behörden versäumten es, Alarm zu schlagen. Und auch der „Aberglaube“, ein Tsunami werde durch ein Erdbeben vor Ort angekündigt, verhinderte, dass sich die Menschen rechtzeitig in höher gelegene Gebiete retten konnten.

Fumihiko Takayama schreibt in seiner „Reportage vom Ort des Geschehens“, die ebenfalls im vorliegenden Band enthalten ist, sehr treffend,

„dass Aberglaube zu Lethargie führt.

Haben wir nicht in genau gleicher Weise an unsere Zivilisation, errichtet durch die Kraftentwicklung der Wissenschaften, geglaubt? Die Angst vor dem Atomunfall in Fukushima führt uns das vor Augen.“
(S. 213)

Die „Dialektik der Aufklärung“ zeigt sich hier anhand eines prekären Beispiels.

Neben bewegenden Kinderaufsätzen, die Schüler nach den Katastrophenerfahrungen verfasst haben, ist aber auch der Ausschnitt aus Setsuko Tsumuras autobiographischer Erzählung „Rote Pflaumenblüten“ über Akira Yoshimuras Tod herauszustellen. Damit bietet „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ nicht nur Hintergrundinformationen zu den verheerenden Tsunamikatastrophen, sondern auch einen variantenreichen Einblick in das Leben und Wirken von Akira Yoshimura, der die Sanriku-Küste liebte und vor weiteren Desastern warnte. Nicht umsonst war das japanische Original nach 3/11 vergriffen und wurde in großer Auflage nachgedruckt. Setsuko Tsumura, die zwischenzeitlich verwitwete Ehefrau Akira Yoshimuras, spendete den Gewinn aus dem Verkauf der Verwaltung des Dorfes Tanohata, das vom Tsunami schwer getroffen und eine große Rolle in Akira Yoshimuras Schriftstellerkarriere eingenommen hatte.

Bibliographische Angaben:
Meyer, Harald (Hrsg.): „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Meyer, Harald), Iudicium, München 2013, ISBN 978-3-86205-211-0

Freitag, 5. Juli 2013

„Der Sohn des Samurai“ von Sessue Hayakawa

Sessue Hayakawas „Der Sohn des Samurai“ hat mich sehr erstaunt. Wer hätte gedacht, dass Sessue Hayakawa der erste japanische Schauspieler war, der zu Weltruhm gelangte. Und wer hätte gedacht, dass eigentlich er die erste Wahl für die Rolle des glutäugigen Liebhabers in „Der Scheich“ gewesen wäre. Würden wir uns nun an ihn, statt an Rudolph Valentino erinnern, wenn es anders gekommen wäre?

Die Autobiographie „Der Sohn des Samurai“ beginnt recht dramatisch: Kurz vor dem Eintritt in eine Marineschule zog sich der junge Sessue Hayakawa einen Trommelfellriss beim Tauchen zu. Da die Verletzung nicht richtig behandelt wurde, wurde er als untauglich für die Ausbildung befunden. Sein Vater, der für seinen Sohn eine Militärkarriere erwünscht hatte, war enttäuscht – und der Sohn versuchte die Schande mit Seppuku auszumerzen. Doch der Selbstmordversuch ging schief. Dutzende Stiche in den Unterleib fügte sich Sessue Hayakawa selbst zu. Das Gekläff seines Hundes alarmierte die Familie und der junge Mann konnte gerettet werden, bevor er verblutete. Doch für den wog der fehlgeschlagene Selbstmordversuch umso schwerer – nun hatte er seinem Vater doppelte Schande gemacht. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kehrte er nicht in die Familie zurück, sondern verbrachte einige Monate als Zen-Mönch in Abgeschiedenheit. Erst der Unfall eines US-amerikanischen Passagierschiffs holte Sessue Hayakawa in die Gesellschaft zurück, denn seine Englischkenntnisse waren bei der Hilfsaktion besonders wertvoll. Dank der Unterstützung seiner Mutter und entgegen dem Widerstand des Vaters konnte Sessue Hayakawa zum Studieren in die USA gehen.

Nach seinem Studienabschluss begann Sessue Hayakawa mit dem Schauspielern. Zen half ihm dabei, völlig in seinen Rollen aufzugehen. Schließlich verpflichtete ihn der Stummfilmregisseur und Filmpionier Thomas Harper Ince und Sessue Hayakawa wurde zum Star in seinen Rollen als exotischer Liebhaber. Schließlich gründete er sogar seine eigene Filmproduktion und wurde zum Millionär. Sessue Hayakawa schildert anschaulich den damaligen Lebensstil in Hollywood, streift aber nur die Skandale um Roscoe Arbuckle, Wallace Reid und William Desmond Taylor, die unter anderem zur Einführung des Hays Code führten. Selbst Sessue Hayakawa wäre fast im Zentrum eines Mordskandals gestanden. Doch stattdessen kehrte er Hollywood (vorerst) den Rücken zu und verbrachte viele Jahre in Europa und Japan, bevor ihn Humphrey Bogart zurück nach Hollywood holte.

Sessue Hayakawas Autobiographie hat mich einige Zeit auf Wikipedia verbringen lassen, um all die Skandale nachzulesen und mehr über die irre Hollywood-Zeit in den 20er Jahren zu erfahren. Die Karriere des Sessue Hayakawa ist so außergewöhnlich, dass bei der Lektüre von „Der Sohn des Samurai“ nicht nur Filmfans auf ihre Kosten kommen.

Bibliographische Angaben:
Hayakawa, Sessue: „Der Sohn des Samurai“ (Übersetzung aus dem Amerikanischen: Alastair), Deutsche Buchgemeinschaft, Berlin/Darmstadt/Wien 1965

Montag, 1. Juli 2013

Sessue Hayakawa

Sessue Hayakawa
(Creative Commons Lizenz)
Sessue Hayakawa wurde als Kintaro Hayakawa und Sohn eines Samurai 1889 in der Präfektur Chiba geboren. Eine Trommelfellverletzung machte die vom Vater erwünschte Karriere bei der japanischen Marine zu nichte. Es folgte ein missglückter Selbstmordversuch durch Seppuku. Nachdem Sessue Hayakawa aus dem Krankenhaus entlassen worden war, wurde er zeitweise buddhistischer Laien-Mönch. Obwohl der Vater zunächst gegen einen Auslandsaufenthalt seines Sohnes war, ließ er ihn doch zum Studieren in die USA gehen. Nach seinem Abschluss begann Sessue Hayakawa eine Karriere als Schauspieler, die ihn schließlich nach Hollywood führte und zu einem Weltstar machte. Zeitweilig rangierte er in einer Liga an Popularität und Gagenhöhe mit Größen wie Charlie Chaplin.

Seine kosmopolitische Umtriebigkeit, die ihn zwischen den USA, Japan, Frankreich und dem UK pendeln ließ, setzte der zweite Weltkrieg unter Zwangspause. Fern von seiner Familie in Japan verbrachte Sessue Hayakawa die Kriegsjahre in Paris. In den Nachkriegsjahren drehte er wieder in und für Hollywood. Seine bekannteste Rolle bekleidete er in „Die Brücke am Kwai“ als Oberst Saito.

In den 60er Jahren zog Sessue Hayakawa sich langsam aus dem Filmrummel zurück. In Japan betätigte er sich als Zen-Priester und Schauspiellehrer. 1973 starb er an einem Hirnschlag.

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Ins Deutsche übersetzte Autobiographien und hier rezensiert: