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Montag, 29. Februar 2016

„Tochter der Samurai“ von Etsu Sugimoto & Florence Wilson

„Tochter der Samurai“ wirkt zunächst wie die Autobiographie der Samurai-Tochter Etsu Sugimoto: Ihr Vater steht in der Auseinandersetzung zwischen shogunatstreuen Truppen und der kaiserlichen Armee in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts auf der falschen Seite. Er wird gefangen genommen, seine Ehefrau fackelt das heimische Schloss ab und versteckt die gemeinsamen Kinder. Der Vater wird schließlich begnadigt und ein neues, viel schlichteres Heim wird errichtet.

In der Meiji-Zeit wächst hier Etsu, das dritte Kind und die zweite Tochter, auf und lernt den alten Glanz der Samurai nur noch aus Erzählungen kennen. Doch Etsus Erziehung ist noch ganz der alten Tradition gewidmet: Sie darf nie weinen, soll ihre Gefühle nie offenbaren und ein ruhiges, gesittetes Mädchen sein.

Als der Vater stirbt wird ihr älterer Bruder das neue Familienoberhaupt. Der Bruder hat eine geraume Zeit in den USA verbracht und bringt daher auch modernere Ideen mit. Trotzdem wird Etsu mit einem Mann verlobt, den sie nicht kennt, der noch nicht einmal in Japan lebt. Es handelt sich dabei um den Händler Matsuo, der in den USA wohnt. Um Etsu auf ihr Leben in der Fremde vorzubereiten, schickt sie ihr Bruder auf eine Missionsschule in Tokio, wo sie mit dem modernen Leben vertrauter wird.

Schließlich wird sie zur Hochzeit in die USA geschickt, wo sie sich mitten in einer völlig anderen Kultur wiederfindet, in der die japanischen Rollenbilder und Werte keine Gültigkeit haben.

Auf den ersten Blick erscheint Etsu wie ein verzogenes Prinzesschen, das einem nicht so recht sympathisch wird. Da beklagt man sich in der Familie ob des sozialen Abstiegs, kann sich aber dennoch nach wie vor genügend Dienerschaft leisten. Da werden die Zeiten betrauert, als sich das gemeine Volk vor den Samurai verneigen musste und es wird gar nicht hinterfragt, dass der Reichtum des Adels nur auf Kosten der arbeitenden und Not leidenden Bevölkerung erreicht werden konnte. Da wird auf die Sitten dieser armen, bildungsfernen Bevölkerungsschichten herabgesehen, für die es oft nur ums nackte Überleben ging. Etsu selbst muss nie arbeiten oder Hunger leiden. Sie kann sich mit wechselnder Dienerschaft jeweils äußerst bequem in ihrem Leben einrichten. Als Tochter der Samurai scheint sie sich durchaus als jemand „Besseres“ zu fühlen.

Daher hatte ich die ersten Seiten sogar einen gewissen Groll gegen Etsu und die Autorin Etsu Sugimoto. Jedoch hat es mich im Nachhinein doch mit dem Buch etwas versöhnt, als ich mehr über die Entstehungsgeschichte von „Tochter der Samurai“ in der Arbeit von Hiroko Kugisima gelesen habe: Denn die vermeintliche Autobiographie ist gar keine. Etsu Sugimoto schrieb zusammen mit Florence Wilson einen Roman, der sicherlich ein bisschen an Etsus realen Lebensweg angelehnt war, doch sollte das Werk anti-japanischen Stimmungen entgegenwirken, wegen derer Florence Wilson aus Angst vor Anfeindungen noch nicht einmal ihre Mitautorenschaft angeben wollte.

Die Hauptaussage findet man recht plakativ auf der letzten Seite über Etsu und ihre Reise in die USA:

„Dort lernte sie, dass die Herzen auf beiden Seiten der Erde dieselben sind; aber das ist ein Geheimnis, das den Völkern des Ostens ebenso verborgen ist wie den Völkern des Westens.“ (S. 198)

Bibliographische Angaben:
Sugimoto, Etsu & Wilson, Florence: „Tochter der Samurai“ (Übersetzung aus dem Englischen: Küas, Richard), Rowohlt, Hamburg 1957

Sonntag, 28. Februar 2016

Etsu Sugimoto

Etsu Sugimoto
Die Autorin Etsu Sugimoto (geborene Inagaki) wurde 1873 als Tochter des Samurais Shigemitsu Inagaki geboren. Da ihr Vater insolvent war, wuchs sie in der Familie ihrer Mutter auf. Sie besuchte eine Missionsschule, für die sie später auch arbeitete. Mit einem Studentenvisum ging sie nach Ohio, wo sie bei der christlichen Familie Wilson lebte. Sie heiratete schließlich den in den USA lebenden Geschäftsmann Matsuo Sugimoto, mit dem sie zwei Töchter hatte.

Nachdem das Geschäft ihres Mannes bankrott ging, kehrte Etsu Sugimoto mit ihren Kindern Hanano und Chiyo nach Japan zurück. Kurz darauf starb Matsuo an einer plötzlich auftretenden Appendizitis, nachdem er von den Wilsons noch kurz gepflegt worden war.

Etsu Sugimoto verdiente ihren Lebensunterhalt unter anderem als Englischlehrerin und -übersetzerin, bevor sie 1916 nach dem Tod der Mutter mit ihren Töchtern in die USA zurück ging. Zunächst lebten die drei erneut bei den Wilsons in Ohio; zogen aber später nach New York. Etsu Sugimoto lehrte an der Columbia Universität und schrieb Artikel für diverse Magazine.

Zusammen mit Florence Wilson schrieb sie in Reaktion auf die zunehmend anti-japanische Stimmung in den USA den Roman „Tochter der Samurai“, der 1925 veröffentlicht wurde.

1927 kehrte Etsu Sugimoto nach Japan zurück und veröffentlichte weitere Bücher. Über ihr weiteres Leben bis zu ihrem Tod durch Leberkrebs im Jahr 1950 ließ sich leider (bisher) nichts in Erfahrung bringen.

Noch eine kleine Anmerkung zu der obenstehenden Biographie, die an gewissen Stellen von anderen im Internet skizzierten Lebenswegen der Autorin variiert: Bezug nehmend auf die unten genannte Analyse von Hiroko Kugisima unterscheidet sich das Leben der wahren Etsu Sugimoto von dem der Protagonistin Etsu aus dem Roman „Tochter der Samurai“. Das Werk wirkt zwar wie die Autobiographie, doch war die Intention der beiden Autorinnen Etsu Sugimoto und Florence Wilson nicht die wahrheitsgemäße Wiedergabe des Lebensweges der Japanerin, sondern die Setzung eines Gegengewichts zu immer stärker werdenden Ressentiments gegen Japaner in den USA. Daher würde es fehl greifen, die Angaben des Romans eins zu eins als Biographie Etsu Sugimotos zu übernehmen.

Florence Wilson entschied sich gegen die Nennung ihrer Autorenschaft, da sie Anfeindungen fürchtete. Erst nach ihrem Tod sollte ihr Beitrag zu „Tochter der Samurai“ bekannt werden.

Interessante Links:

Hier rezensiert:

Weitere ins Deutsche übersetzte Werke:
  • Eine junge Japanerin
  • Heirat in Nippon

Sonntag, 14. Februar 2016

„Die vertauschten Geschwister – Ein höfischer Roman aus dem 12. Jahrhundert“

Was für ein Verwirrspiel: Dem Taisho werden im Kioto des 12. Jahrhunderts von seinen beiden Gemahlinnen fast gleichzeitig zwei Kinder geboren, die sich optisch sehr ähneln. In ihrem Wesen dagegen könnten die beiden nicht gegensätzlicher sein. Das Mädchen namens Surigoromo benimmt sich wenig mädchenhaft: Es hat Unsinn im Kopf, spielt mit den Jungen und hat keine Scheu vor anderen. Der Junge Susukinoho dagegen ist eher verschämt und zieht sich gerne zurück. Für Dinge, die für Jungen typisch sind, interessiert er sich gar nicht. Lieber malt er Bilder und spielt mit Puppen.

Dem Taisho ist dies zwar nicht recht, doch er sieht ein, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als die beiden die Geschlechterrollen tauschen zu lassen. So wird das Mädchen Surigoromo eine männliche Karriere bei Hofe einschlagen; der Junge Susukinoho wird als Kammerjungfer bei der Kronprinzessin eingesetzt. Doch spätestens als Surigoromo mit einer Frau verheiratet wird, nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn da die Ehefrau schwanger wird, muss ein anderer Mann die Frau verführt haben.

Und auch der Mann Susukinoho ist in seiner Rolle als Frau nicht allzu brav. Komischerweise wird die Kronprinzessin schwanger – obwohl doch immer eine „Frau“ als Bewacherin anwesend war. Als Surigoromo auch noch schwanger wird, ist das Chaos perfekt.

Im Vorwort erläutert Michael Stein die Entstehung des Werks, dessen Verfasserin heute namentlich leider nicht mehr bekannt ist. Es steht zu vermuten, dass eine Hofdame ein bereits vorher veröffentlichtes Werk mit „Die vertauschten Geschwister – Ein höfischer Roman aus dem 12. Jahrhundert“ überarbeitete und literarisch verbesserte. Nach dem Ende der Heian-Zeit galt der Roman als subversiv, da er mit den Samurai-Werten nicht vereinbar war. Wie könnte denn auch eine schwache Frau in einer Männerdomäne Karriere machen…?

Einerseits liest sich „Die vertauschten Geschwister – Ein höfischer Roman aus dem 12. Jahrhundert“ recht amüsant und spannend. Andererseits ist es aber auch erschreckend, dass in der „kultivierten“ Hofgemeinschaft adelige Männer in die abgeschotteten Gemächer der Frauen eindrangen, um sie vergewaltigten.

Es lässt sich nicht so wirklich herauslesen, ob die Verfasserin den Geschlechterwechsel gut heißt: Da wird zwar darauf hingewiesen, dass die vertauschten Rollen unnatürlich sind und Normalisierung das Ziel sein sollte. Dennoch kann sich die Frau Surigoromo so überhaupt nicht mit der Vorstellung anfreunden, sich künftig hinter Vorhängen verstecken zu müssen und in Gemächer eingesperrt zu sein. Zu gut hat ihr das freie Leben als Mann gefallen.

Obwohl das Werk ja aus dem 12. Jahrhundert stammt, liest es sich in deutscher Übersetzung überhaupt nicht sperrig. Zudem erhält der Leser interessante Einblicke in die Gepflogenheiten am Hof von Kioto – sowohl aus weiblicher, als auch aus männlicher Perspektive.

Bibliographische Angaben:
Verfasserin unbekannt: „Die vertauschten Geschwister – Ein höfischer Roman aus dem 12. Jahrhundert“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Stein, Michael), Insel, Frankfurt am Main/Leipzig 1994, ISBN 3-458-16605-X

Montag, 8. Februar 2016

„Vom Versuch einen Glücksgott loszuwerden“ von Ko Machida

Zwei Erzählungen des Autors Ko Machida enthält die aktuelle Neuveröffentlichung vom Cass Verlag: Neben der für den Akutagawa-Preis nominierten Erzählung „Vom Versuch einen Glücksgott loszuwerden“ ist „Flussbettlibrett“ die zweite im Bunde.

Beide Erzählungen verbindet die Ähnlichkeit der Protagonisten: Jeweils ein gescheiterter Mann in mittleren Jahren wird in seinem Alltag irritiert und begibt sich gemeinsam mit einem Kumpan auf einen (Road-)Trip.

In „Vom Versuch einen Glücksgott loszuwerden“ ist es Masayuki Kusunoki, der sich drei Jahre erfolgreich mit Nichtstun und Saufen um die Ohren geschlagen hat. Seine Ehefrau hat schließlich genug von dem Suffkopf und verlässt ihn über Nacht. Da hätte Kusunoki nun endlich einen Anreiz, wieder Arbeiten zu gehen, denn er steht völlig mittellos da. Doch nein – ihn stört vielmehr die Anwesenheit einer fehlkonstruierten Glücksgott-Statue, die immer wieder umfällt, da der Schwerpunkt nicht passt. Also zieht er los, den Glücksgott zu entsorgen. Doch so recht mag das nicht glücken – die Polizei lässt ihn das Ding nicht am Wegesrand ablegen, die öffentlichen Mülltonnen sind schon voll. Da überlegt sich Kusunoki, den Glücksgott bei seinem Saufkumpan abzuladen, bei dem er doch sicherlich auch den einen oder anderen Schluck Alkohol ab bekommt. Und so tut sich eine neue 2er WG auf, der aber auch bald das Geld ausgehen wird. Um wieder flüssig zu werden, heißt es nun leider doch: Arbeit finden! Allerdings geraten die beiden dabei wiederum an recht schräge Vögel, die beim Leser für Erheiterung sorgen werden.

Ähnlich abgedreht geht es in „Flussbettlibrett“ zu: Der Ich-Erzähler und sein Kollege Goro hatten’s so schön im Nudelimbiss. Als eingespieltes Team ging alles einfach von der Hand. Bis zu dem Tag, als Hamako ebenfalls im Imbiss anfängt zu jobben. Die geizige, besserwisserische Dame bringt nichts als Chaos in den Laden. Als sie eines Tages einen Affen mit ins Lokal bringt, eskaliert die Situation – und der Ich-Erzähler muss erst mal Abtauchen. Also Goro nun mit dem Vorschlag kommt, mit einer Haushaltsauflösung und einer Urnen-Überführung etwas Geld dazu zu verdienen, geraten die beiden erst recht in ein heilloses Durcheinander.

Ko Machidas Erzählungen sind schräg, rasant, urkomisch und fast schon surreal. In der Lässigkeit, mit der die Protagonisten trotz aller Probleme in den Tag hinein leben, scheint Ko Machidas Punk-Background durchzuschimmern. Als Nebenfiguren werden Charaktere eingeführt, die noch durchgedrehter sind als die Protagonisten und so birgt jede Seite im Erzählband eine neue Überraschung.

Die beiden Erzählungen machen richtig Lust, auf mehr Lesestoff vom Autor – insbesondere auf einen längeren Roman.

Bibliographische Angaben:
Machida, Ko: „Vorm Versuch einen Glücksgott loszuwerden“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Stalph, Jürgen & Cassing, Katja), Cass, Löhne 2016, ISBN 978-3-944751-09-2

Sonntag, 7. Februar 2016

Ko Machida

Der Autor, Punk-Sänger und Schauspieler Ko Machida wurde 1962 als Yasushi Machida in Sakai in der Präfektur Osaka geboren. Der Autor gibt an, als Teenager ein Bücherwurm gewesen zu sein. Auf der Oberschule gründete Ko Machida die Punk-Band Inu. Er verwendete in seiner Funktion als Sänger den Künstlernamen Machizo Machida. Seine Schreibbegeisterung lebte er als Songtexter aus. Kurz nach der Veröffentlichung des ersten Inu-Albums trennte sich die Band wieder. In Folge sang Ko Machida bei verschiedenen Bands, schauspielerte und schrieb Gedichte.

1996 veröffentlichte er mit „Vom Versuch einen Glücksgott loszuwerden“ seine erste Erzählung, die für den Akutagawa-Preis nominiert wurde. Vier Jahre zuvor hatte er bereits seinen ersten Gedichtband veröffentlicht.

Es folgten quasi alle größeren japanischen Literaturpreise, unter anderem der Akutagawa-Preis, der Kawabata-Preis, der Tanizaki-Preis und der Noma-Preis.

Während die früheren Werke primär ziellose Loser-Typen als Protagonisten inszenierten, hat sich Ko Machida zwischenzeitlich auch anderen Genres geöffnet, z.B. Krimis und Samurai-Literatur.

Der Autor lebt derzeit in Atami.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Donnerstag, 4. Februar 2016

„Sandakan Bordell Nr. 8“ von Tomoko Yamazaki

Tomoko Yamazakis „Sandakan Bordell Nr. 8“ kann einem gewaltig aufs Gemüt schlagen. Denn die Autorin hat sich einem besonders bitteren Thema verschrieben – nämlich die Schicksale von Japans Auslandsprostituierten, den Karayukisan, nachzuzeichnen. Und so begleitet der Leser Tomoko Yamazaki auf den Amakusa-Archipel, wo sie ehemalige Karayukisan ausfindig machen will. Doch die Schriftstellerin merkt schnell, dass sie nur ganz behutsam Zugang zu den ehemaligen Prostituierten finden kann. Über die Karayukisan will so schnell niemand mit einer Fremden sprechen.

In einem kleinen Restaurant macht Tomoko Yamazaki die Bekanntschaft mit der alten und völlig verarmten Osaki. Vermutlich ist Osaki eine ehemalige Karayukisan. Um ihr Vetrauen zu gewinnen, nistet sich Tomoko Yamazaki für einige Wochen bei ihr ein. Wie eine Ethnologin erlebt sie so den Alltag von Osaki mit und lässt sich nach und nach deren Lebensgeschichte erzählen, die eine sehr bittere ist.

Osaki wird Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Als ihr Vater stirbt, stürzt die Familie in absolute Armut. Die Mutter heiratet erneut, Osaki und ihre Geschwister sind künftig auf sich alleine gestellt. Aufgrund der großen Armut auf dem Amakusa-Archipel ist es nichts Ungewöhnliches, dass junge Mädchen als Prostituierte ins Ausland verkauft werden. Die kleine Osaki hat keine Ahnung, was sie sich antut, als sie im Alter von 10 Jahren einwilligt, ins Ausland zu gehen. Ein Mädchenhändler nimmt sie mit nach Sandakan auf Borneo. Zunächst ist Osaki noch eher Haushaltshilfe, aber mit 13 Jahren muss auch sie anschaffen gehen. Bis zu 30 Freier am Tag hat sie zu bedienen. Und trotzdem werden ihre Schulden, die sie bei ihrem Zuhälter abarbeiten soll, glatt nicht weniger. Irgendwann wird Osaki dann die Nebenfrau eines Engländers, was einen gesellschaftlichen Aufstieg und Zugang zu Geld bedeutet. So kann sie endlich ihren Bruder in der Heimat finanziell unterstützen.

Als der Engländer Borneo verlässt, kehrt auch Osaki einstweilen heim nach Japan. Obwohl ihr Bruder dank des von ihr erwirtschafteten Geldes ein Haus bauen und heiraten kann, ist sie alles andere als ein gern gesehener Gast. Schließlich geht sie erneut ins Ausland und arbeitet als Bardame. Immerhin findet sie einen annehmbaren Ehemann und bekommt einen Sohn. Doch der Mann stirbt und nach Kriegsende lebt sie von der Hand in den Mund. Selbst der eigene Sohn will bald nichts mehr mit ihr zu tun haben. Er schämt sich für seine ungebildete Mutter, die sich in jungen Jahren prostituiert hat. Ein bisschen Geld schickt er ihr monatlich – gerade so viel, dass sie nicht verhungern muss. Sie fristet ihr Dasein in einem Dreckloch, in das Tomoko Yamazaki kurzzeitig mit einzieht.

Neben Osakis Schicksal zeichnet die Autorin auch die Lebenswege von Osakis ehemaligen Kolleginnen auf. Waren deren Leben als Karayukisan schon schrecklich, so trifft es sie nach Kriegsende erneut hart. Die eine geht an einer spät auftretenden Syphilis zu Grunde, die andere ist so verzweifelt, dass sie sich selbst das Leben nimmt.

Osakis Leben geht einem sehr schnell sehr nahe. Mit einfachen Worten wird da ein Schicksal geschildert, das ab dem Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt ist, als sie in die Prostitution verkauft wird. Sie opfert sich für die Männer in ihrem Leben auf und erntet nichts weiter als Verachtung. Da tut es gut, im Nachwort der englischen Ausgabe, die teilweise über Google Books verfügbar ist, zu lesen, wie wichtig es für Osaki war, dass ihr als ehemalige Karayukisan und als Analphabetin durch Tomoko Yamazakis Buch endlich eine Stimme verliehen wurde. Dank der Veröffentlichung konnten sich Osakis Lebensverhältnisse wenigstens etwas zum Besseren wenden.

Trotzdem ist „Sandakan Bordell Nr. 8“ harte Kost und der Leser kann sich darauf einstellen, diverse negative Gefühle während der Lektüre zu durchlaufen. Nichtsdestotrotz kann ich das Buch nur jedem ans Herz legen, der sich für japanische Frauenschicksale interessiert. Osakis Leben hat es verdient, erzählt und gelesen zu werden.

Bibliographische Angaben:
Yamazaki, Tomoko: „Sandakan Bordell Nr. 8“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Sumoto-Schwan, Yukiko & Schwan, Friedrich B.), Iudicium, München 2005, ISBN 3-89129-406-9

Mittwoch, 3. Februar 2016

Tomoko Yamazaki

Über Tomoko Yamazaki lässt sich wieder einmal nur recht wenig ausfindig machen, wenn man kein Japanisch spricht. Laut Klappentext von „Sandakan Bordell Nr. 8“ ist die Non-Fiction-Autorin 1932 in Nagasaki geboren. Lässt man sich die japanische Wikipedia-Seite der Schriftstellerin ins Deutsche übersetzen, so scheint sie die Tochter eines Marineoffiziers und in Hiroshima aufgewachsen zu sein. Nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften arbeitete sie wohl als Grundschullehrerin, träumte jedoch von einer Schauspielkarriere.

Ein Mann, der von Tomoko Yamazaki besessen war, scheint ihr 1958 Gesichtsverletzungen beigebracht zu haben. Daraufhin musste sie den Traum vom Schauspielern begraben. Im Jahr darauf heiratete Tomoko Yamazaki wohl Ichiro Uesho.

Tomoko Yamazaki interessierte sich insbesondere für die Geschichte der japanischen Frau. Ihr Werk „Sandakan Bordell Nr. 8“ aus dem Jahr 1972 wurde mit dem Oya-Soichi-Preis ausgezeichnet und verfilmt.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Werke und hier rezensiert:

Dienstag, 2. Februar 2016

„Die sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt“ von Ryutei Tanehiko

Ryutei Tanehikos „Die sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt“ startet mit einer Vorbemerkung des Übersetzers, was es denn mit dem sperrigen Buchtitel auf sich hat.

„Ein japanisches Sprichwort sagt: die Menschen und die Wandschirme können nicht gerade stehen, das heißt: so wie die letzteren sich nicht aufstellen lassen, ohne gebogen zu werden, so können die ersteren die Geradheit des Charakters nicht bewahren.
Der Verfasser will beweisen, dass dieses ein schlechtes Sprichwort sei, und zeigt in seiner Erzählung Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt – das sind Menschen, die wirklich gerade stehen.“ (S. 5)

Und so geht es in der Erzählung nicht nur um die Liebesgeschichte von Sakitsi zu Komatsu, sondern auch um den Aufopferungswillen, den die junge Frau Komatsu an den Tag legt, indem sie sich selbst an ein Teehaus verkauft, um ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Hinzu kommen einige Irrungen und Wirrungen, die daraus resultieren, dass die Protagonisten andere Namen annehmen.

An sich ist „Die sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt“ ein recht harmloses Stück Prosa mit einer immerhin überraschenden Wendung zum Ende hin. Interessant ist die Erzählung vielmehr aus geschichtlichem Anlass: Sie soll die erste Übersetzung eines japanischen Prosawerks ins Deutsche (bzw. vielleicht auch die erste Übersetzung in eine westliche Sprache ganz allgemein) gewesen sein, als der Österreicher August Pfizmaier im Jahr 1847 Ryutei Tanehikos Werk übersetzte. Pfizmaier scheint in der Wiener Hofbibliothek über die Erzählung gestolpert zu sein, die über Franz von Siebold nach Österreich gelangt war. Später hat sich Pfizmaier dann bekannteren Werken wie dem „Kopfkissenbuch“ von Sei Shonagon oder dem „Ise monogatari“ gewidmet.

„Die sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt“ lesen sich teilweise recht eingängig, manchmal tut man sich allerdings etwas schwer, den Sinn des Gesagten zu erschließen, wie beispielsweise hier:

„Um bei gleicher Farbe und bei gleichem Duft mit den Blumenbüscheln und den hastigen Sprösslingen den jungen Pflaumenbaum der keimenden Blüten nicht vergebens zu bestreuen, war die Gunst des mütterlichen Baumes groß.“ (S. 85)

Hier spricht Sakitsis Adoptivmutter, die sich für ihren Sohn eine andere Frau als Komatsu wünscht, Sakitsis Ansinnen schließlich aber doch unterstützt. Diese Motivation lässt sich aber frühestens nach dem zweiten Durchlesen so deuten.

Glatt noch besser gefällt mir dieser Auszug:

„und ihm folgten als Begleiter der bei dem Teelöffel die Halle der Zugengeläufigkeit bewohnende, gut aufgelegte marktschreierische Arzt Jabuwara Tsikusai“ (S. 55)

Das sind natürlich alles nur Kleinigkeiten und vor der Pionierleistung des Übersetzers August Pfizmaier kann man auch nur den Hut ziehen – dennoch musste ich über den Teelöffel und die Halle der Zungengeläufigkeit sehr schmunzeln.

Bibliographische Angaben:
Tanehiko, Ryutei: „Die sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Pfizmaier, August), Kranich Verlag, Berlin 1942