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Dienstag, 21. Februar 2012

„Verführerischer Adlerfarn“ herausgegeben von Hannelore Eisenhofer-Halim & Peter Pörtner

Der von Hannelore Eisenhofer-Halim und Peter Pörtner herausgegebene, 400-seitige Band „Verführerischer Adlerfarn“ enthält Erzählungen, Kurzgeschichten und Essays von 21 japanischen Autoren und bildet ein facettenreiches Potpourri an tragischen, ernsten, aber auch fantastischen und bizarren Geschichten.

Taka Isawa erzählt mit „Das Restaurant Applaus“ vom tragischen Schicksal zweier gescheiterter Boxer. Beide bezahlen den Traum einer Boxerkarriere mit ihrer Gesundheit. Während Saburi noch mit zwei gebrochenen Fingern davon kommt, muss sein einstiger Widersacher Yagami mit weit größeren Schäden leben.

Der „Lebensabend eines Kindes“ von Eimi Yamada (auch: Amy Yamada) beginnt mit einem Hundebiss. Denn die gebissene 10-Jährige ist sich sicher: Der Hund hatte Tollwood und ihr bleiben nicht mehr viele Tage zu leben. Zunächst unbemerkt von den Erwachsenen, verlebt das Mädchen einen schrulligen, vermeintlichen Lebensabend.

Der koreanisch-stämmige Kakuei Kin erzählt in „Die Trauer der Erde“ in Briefform die Lebensgeschichte seines Protagonisten Jinichi. Sowohl Jinichis Großvater als auch sein Vater waren bzw. sind brutale Choleriker. Die Opfer der Gewalt sind die Ehefrauen. Jinichis Großmutter, die zusammen mit dem Großvater aus Korea nach Japan kam, beging Selbstmord, indem sie sich vor einen Zug warf. Zu Jinichis Bestürzung existiert weder ein Foto der Großmutter, noch ein Grab, da ihre Leiche irgendwo an der Bahnlinie verscharrt wurde. Dies alles schreibt der Protagonist in einem Brief an seine erste Liebe nieder.

Hiroshi Onuma (auch: Tan Onuma) schreibt über das „Wasser“, das plötzlich wieder in dem Viertel des Protagonisten zu fließen beginnt, als ein ausgetrockneter Kanal wieder geflutet wird. Er erinnert sich an Begegnungen am Fluss während seiner Jugend und entdeckt Neues am Flusslauf.

Keizo Hino entführt mit „Schwarzer Engel“ in eine Zukunftsvision, in der Phonoimages hergestellt werden können, die über elektromagnetische Wellen direkt ins Gehirn geschickt werden können. Wie auch in Keizo Hinos Roman „Die Trauminsel“ spielt die Handlung primär auf dem Neuland, das an der Küste von Tokio gewonnen wird. Und auch hat eine Femme Fatale ihren Auftritt, die den Protagonisten nicht nur mit ihrem künstlerischen Schaffen in den Bann zieht.

Michiko Ikeda zeichnet „Spuren wirrer Wege“ innerhalb des Barackenviertels Sanya. Die Protagonistin engagiert sich für die Rechte der Arbeiter und begegnet in Sanya den unterschiedlichsten Charakteren: Dem alten Pfarrer Kobayashi, in dessen Haus regelmäßige Versammlungen stattfinden; Universitätsprofessoren, die sich in Trainingsanzüge werfen, um in der Arbeiterstadt nicht aufzufallen und Ex-Studenten, die lieber auf dem Bau schuften, anstatt weiter auf die Universität zu gehen.

Ken Kaikos „Das Meer in der Hand“ ist die tragische Erzählung über den einsamen Professor Takada, den der Ich-Erzähler in einer Bar kennen lernt. 

In Tomoko Yoshidas „Verführerischer Adlerfarn“ wird es fantastisch: Beim Sammeln von Adlerfarn begegnet die Protagonistin einer kauzigen Alten, die sie auffordert, ihr zu folgen. Die beiden Treffen auf eine Gruppe seltsamer Wallfahrer, die der Protagonistin nicht so fremd sind, wie es zunächst den Anschein hat.

Shohei Ookas Essay „Schnee in Santa Fe“ handelt von seiner Reise durch die USA, die ihn zu Frieda Lawrence, der Witwe von D. H. Lawrence, führt.

Kobo Abes „Hand“ ist bizarr: Die Hand, das ist der Tierpfleger einer Brieftaube, die im Krieg einen Orden erhalten hat. Doch was nützen tierische Helden nach dem Krieg – die Taube wird in Bares umgetauscht. Die Taube wird der Hand noch mehrmals begegnen. Das letzte Mal wird sich das wehrlose Tier in etwas Gefährliches verwandelt haben.

Shun Medorumas Erzählung „Wassertropfen“ wurde 1997 mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet. Sie erzählt von Tokusho, dessen Bein plötzlich dick anschwillt und er daraufhin in einen Koma-ähnlichen Zustand fällt. Da seine Frau nichts von Krankenhäusern hält und ohnehin keine befriedigende Diagnose gestellt werden kann, wird Tokusho, aus dessen Fuß Wasser austritt, zu Hause gepflegt. Während Tokusho in seinen Wahnträumen seine Vergangenheit als Soldat im zweiten Weltkrieg aufarbeitet, entdeckt sein nichtsnutziger Vetter Seiyu eine interessante Eigenschaft des Wassers kennen, das aus Tokushos Fuß tropft.

Die folgenden vier Erzählungen und Kurzgeschichten „Der Ausritt“, „Das Meer und das Abendrot“, „Die Rose“ und „Die Geschichte vom Mandala“ von Yukio Mishima wirken nach Shun Medorumas „Wassertropfen“ ein bisschen farblos: In „Der Ausritt“ möchte eine gut situierte Dame die junge Frau unter die Lupe nehmen, die ihren Sohn verführt hat, und trifft dabei auf einen ehemaligen und in die Jahre gekommenen Verehrer. „Das Meer und das Abendrot“ betrachtet der Tempeldiener Anri, während er von seinem Schicksal erzählt, das im mittelalterlichen Frankreich als Schafhirte begann: Der Junge Anri hatte eine göttliche Erscheinung und führt die Kinder der Cevennen nach Marseille, um von dort aus Jerusalem zu erobern. Doch anstatt einen Sieg zu erringen, ereilt die Kinder ein anderes Schicksal. „Die Rose“ hat den Tod von Rainer Maria Rilke zum Thema. „Die Geschichte vom Mandala“ erinnert an ein orientalisches Märchen: Der König wünscht von seinen Untertanen die Anfertigung eines Mandalas zu Ehren seines Geburtstages.

Yasunari Kawabatas „Am Abend der Tanzaufführung“ ist eine Kurzgeschichte über Schicksale, die sich streifen und wieder auseinanderdriften.

„Kreta Kano“, die Figur, die Haruki Murakami-Fans bereits aus „Mister Aufziehvogel“ kennen, stellt sich ebenfalls in einer Kurzgeschichte vor und erzählt von ihrem harten Los, permanent zum Vergewaltigungsopfer zu werden, weswegen sie sich in die Abgeschiedenheit zu ihrer Schwester Malta Kano begibt.

„Früher oder später“ kommt der Tod auf die über 80-jährige Autorin Ineko Sata zu. Sie reflektiert in ihrem Essay nicht nur über das Sterben, sondern auch über die Lebenswege kürzlich verstorbener Freunde, den letzten Besuch bei einer der wenigen gleichaltrigen Bekannten und ihr eigenes Verhalten, das sich mit dem Näherrücken des Todes ändert.

Shumon Miura macht sich Gedanken über „Kinder und Enkel“, über Vererbung und Genetik, über die Pflege von bettlägerigen, Alzheimer-kranken Verwandten.

Der Science Fiction Autor Yasutaka Tsutsui entführt in eine verstörende Zukunft: „Der Stamm der Menschenfresser“ hat ein eigenes Territorium, in das sich der Protagonist dummerweise verirrt. Er gerät in die Falle eines Menschfressers und wird als dessen Reiseproviant mit in die Hauptstadt genommen. Da hilft auch kein Jammern und kein Flehen.

Ryunosuke Akutagawas „Tod eines Christen“ kommt wie eine katholische Märtyrer-Geschichte daher: Der schöne Waisenjunge Lorenzo wird aus der christlichen Gemeinschaft unschuldig verstoßen und muss sich fortan alleine durchs Leben schlagen.

Katai Tayamas Protagonist ist „Krank nach jungen Frauen“ – wenn ihm dies bloß nicht zum Verhängnis wird…

Skurril ist Juro Karas „Gogols Tochter“: Taguchi nimmt sich einem Fundstück, einer 50cm großen Puppe an. Diese Puppen haben einerseits reißenden Absatz bei Männern, die sie als Geliebte hegen und pflegen, aber auch genügend Feinde. Alle Anwohner sind aufgefordert, ihre Sexpuppen demnächst in einer gemeinschaftlichen Aktion zu verbrennen. Der Spielesoftware-Entwickler Taguchi nimmt dies zum Anlass, ein Konzept für ein fantastisches Rollenspiel zu schreiben. Doch seine Visionen drängen in die Realität.

Masahiko Shimadas „Der Delphin in der Wüste“ bildet einen fulminanten Abschluss des Erzählbandes: Augenzwinkernd erzählt ein gefallener Engel von seinen Erfahrungen im modernen Tokio.

„Verführerischer Adlerfarn“ ist ein toll illustriertes Buch mit Liebe zum Detail. Nur schade, dass nicht noch etwas mehr Zeit in die Fußnoten investiert wurde. Ohne entsprechendes Hintergrundwissen tut sich der Leser manchmal etwas schwer (z.B. bei Ineko Satas Essay, da die beschriebenen Personen wohl nur Japanologen bekannt sein dürften). Insgesamt jedoch bietet „Verführerischer Adlerfarn“ eine wunderbare Sammlung der verschiedenen Spektren japanischer Literatur.

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