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Donnerstag, 27. Februar 2014

„Der See“ von Banana Yoshimoto

Banana Yoshimoto erzählt mit „Der See“ eine bittersüße Liebesgeschichte: Chihiros Mutter ist vor gar nicht allzu langer Zeit einer Krankheit erlegen. Chihiro ist frisch von ihrem Freund, vielmehr ihrer Affäre, getrennt. Doch seit einer Weile gibt es eine andere Konstante in ihrem Leben: Nakajima, der gegenüber wohnt und genau wie Chihiro gerne am Fenster steht und hinaus in die städtische Szenerie blickt. Einem nachbarlichen Gruß von einem Fenster zum anderen folgen erste Gespräche auf der Straße. Nakajima kommt Chihiro in ihrer Wohnung besuchen und schließlich übernachtet er auch bei ihr. Doch den jungen Mann mit dem nur wenig männlichen Auftreten umgibt eine undurchdringliche Aura. Nakajima scheint ein dunkles Geheimnis zu bewahren, das er tief in seinem Inneren verbirgt. Auch wenn Nakajima nur wenig über seine Vergangenheit spricht, so ist den beiden doch gemein, dass sie Halbwaisen sind und der Verlust der Mutter sie jeweils sehr getroffen hat.

Chihiro ist ein künstlerischer Freigeist, der gerne Menschen kennenlernt. Als Tochter einer Barbesitzerin hat sie schon viel gesehen und gehört. So leicht kann sie nichts mehr erschüttern. Nakajima dagegen ist in sich gekehrt und auf wissenschaftlichem Gebiet hochbegabt. Menschenansammlungen meidet er lieber. Daher scheut sich Chihiro vor einer Beziehung mit Nakajima – würde er nicht bald wie ein lästiger Klotz an ihrem Bein hängen? Da Nakajima zu suizidalen Tendenzen neigt, müsste Chihiro mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen, sollte sie ihn enttäuschen.

Eines Tages bittet Nakajima Chihiro um einen Gefallen: Sie soll ihn zu einem Ort begleiten, an dem er früher mit seiner Mutter wohnte. Dort lebt nun ein befreundetes Geschwisterpärchen, das er unbedingt besuchen möchte. Eine metaphysische Erfahrung bereitet den Weg für die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen Chihiro und Nakajima und lässt Chihiro Nakajimas Geheimnis entdecken.

Banana Yoshimotos Erzählstil erscheint in „Der See“ besonders zart. Während in manchen anderen ihrer Werke die Herzen nur so vor Gefühl überschäumen, hält Chihiro ihre Emotionen möglichst unter Kontrolle und wägt ab. Ihr Verhalten soll den verletzlichen Nakajima nur nicht verschrecken. Daher nähert sich das Pärchen nur langsam an, obwohl Chihiro und Nakajima im Herzen schon spüren, dass sie in dem anderen jeweils ein Gegenstück gefunden haben, das sie nicht mehr missen möchten.

Obwohl „Der See“ etwas leisere Töne als andere Banana Yoshimoto-Romane anschlägt, kommen auch in der aktuellen Neuveröffentlichung typische Banana Yoshimoto-Elemente vor: Da wären eine ungewöhnliche Liebesbeziehung; junge Menschen, die ihren Weg finden müssen; atypische Familienkonstellationen; Lebensweisheiten und metaphysische Elemente. Nicht nur Banana Yoshimoto-Fans werden bei dem Roman auf ihre Kosten kommen. Denn obwohl die Autorin einfache Sätze benutzt, entspinnt „Der See“ eine romantisch-tragische Magie, die den Leser einfängt und nicht mehr loslässt.

Bibliographische Angaben:
Yoshimoto, Banana: „Der See“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Eggenberg, Thomas), Diogenes, Zürich 2014, ISBN 978-3-257-06897-9

Samstag, 22. Februar 2014

Bunroku Shishi

Bunroku Shishi
(Creative Commons-Lizenz)

Bunroku Shishi wurde als Toyoo Iwata 1893 in Yokohama geboren. Seine Familie stammte aus dem mittleren Samurai-Stand ab. Zunächst studierte Bunroku Shishi an der Keio Universität Wirtschaftswissenschaften, wechselte dann zu den Literaturwissenschaften, um schließlich sein Studium ganz aufzugeben. Als er das Erbe seines verstorbenen Vaters veräußert hatte, ging Bunroku Shishi 1922 für Studien über das moderne Theater nach Frankreich.

1925 kehrte Bunroku Shishi mit seiner französischen Frau Marie Cheaumy, mit der er eine gemeinsame Tochter haben sollte, nach Japan zurück. Hier bemühte er sich um eine Reform der Schauspielkunst, übersetzte Dramen und verdingte sich als Theaterkritiker.

Seine kranke Frau Marie kehrte nach Frankreich zurück, wo sie verstarb. Bunroku Shishi heiratete schließlich erneut und ehelichte Shizuko Tominaga, die sich um die Erziehung seiner Tochter kümmerte.

1934 begann er (meist humorvolle) Romane unter seinem Pseudonym Bunroku Shishi zu schreiben, die ihm als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen zu literarischem Erfolg verhalfen.

1950 starb seine zweite Ehefrau und Bunroku Sishi heiratete später ein drittes Mal.

Seine Romane „Die Schule der Freiheit“ und „Meine Tochter und ich“, die in der Nachkriegszeit entstanden, entwickelten sich zu Bestsellern und wurden verfilmt.

1969 erhielt Bunroku Shishi den japanischen Kulturorden. Im selben Jahr starb der Autor. 

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Freitag, 21. Februar 2014

„Heilige Mörderin“ von Keigo Higashino

Mit „Heilige Mörderin“ ist Keigo Higashino wieder einmal ein äußerst verzwickter Kriminalroman gelungen. Dem Leser begegnen die beiden Ermittler Kusanagi und Yukawa aus Keigo Higashinos „Verdächtige Geliebte“ wieder, die wiederum ihre Rivalität ausleben, wer den Fall am schnellsten lösen kann. Denn es scheint, als sei der perfekte Mord gelungen: Die Hauptverdächtige hat ein wasserdichtes Alibi – sie war, als sich ihr Ehemann eine tödliche Arsenvergiftung zugezogen hat, meilenweit entfernt. Sie hatte noch nicht einmal ihren Wohnungsschlüssel bei sich und war bereits seit mehr als 24 Stunden außer Haus – unmöglich, dass sie die Vorbereitungen für den Mord direkt vor ihrer Abreise getroffen hat.

Ähnlich wie bei „Verdächtige Geliebte“ weiß der Leser bereits, dass die Ehefrau Ayane ihren Mann Yoshitaka umgebracht hat. Er will von ihr die Scheidung, da Ayane ihm keine Kinder schenken kann. Da entschließt sich Ayane, der Ehe auf anderem Wege ein Ende zu machen, als es für Yoshitakas Gesundheit zuträglich ist. Doch wie ist ihr dieser Mord nur gelungen?

Kusanagi scheint zu allem Überfluss seinen Gefallen an der schönen, warmherzigen und beruflich erfolgreichen Ayane gefunden zu haben. Seine Kollegin Utsumi hat ihre Bedenken, dass Kusanagis private Gefühle seine Ermittlungstätigkeit beeinflussen könnten, und überredet den Physiker Yukawa, ihr bei dem Fall behilflich zu sein. Utsumis weibliche Intuition sagt ihr nicht nur, dass Ayane die Täterin sein muss, sondern sie deckt auch manches Fehlverhalten seitens des Ehemanns Yoshitaka auf.

„Heilige Mörderin“ ist zwar – im strengen Sinne – kein Fortsetzungsroman von „Verdächtige Geliebte“, doch es empfiehlt sich, „Verdächtige Geliebte“ zuerst gelesen zu haben. Denn auf eine ausführliche Charakterisierung und eine Illustration der Vorgeschichte von Kusanagi und Yukawa wird in „Heilige Mörderin“ fast verzichtet. Auf den Antagonismus der beiden wird nicht sonderlich eingegangen, da vorausgesetzt wird, dass die Higashino-Leser bereits darüber im Klaren sind. Mehr Gewicht liegt auf der Darstellung der Figur der Ayane.

Obwohl dem Leser die Mörderin bereits längst bekannt ist, ist „Heilige Mörderin“ spannend bis zum Schluss. Für mich lag ein kleiner Wermutstropfen in den Ermittlungen rund um die Bezugsquelle des Gifts. Die Story, die darum geflochten wird, wirkt arg konstruiert und widerspricht auch etwas dem Bild, das man sich von der „heiligen“ Ayane gemacht hat. Nichtsdestotrotz bietet „Heilige Mörderin“ die Qualität eines Page-Turners – auch wenn der Roman hinter „Verdächtige Geliebte“ etwas zurückbleibt.

Bibliographische Angaben:
Higashino, Keigo: „Heilige Mörderin“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Klett-Cotta, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-608-98012-7

Montag, 17. Februar 2014

„Ground Zero Nagasaki“ von Yuichi Seirai

Nagasaki steht für den zweiten Atombombenabwurf über Japan, aber auch für eine christliche Hochburg und die Christenverfolgung in Japan. Yuichi Seirai widmet seiner Heimatstadt mit „Ground Zero Nagasaki“ sechs Erzählungen, die fiktive Einzelschicksale in Nagasaki illustrieren.

Da ist ein älteres Ehepaar, das sich gezwungen sieht, seinen angestammten Familienbesitz zu veräußern. Dies ist einerseits besonders bitter, da sich früher im Nebenhaus die Angehörigen zur Ausübung des christlichen Glaubens getroffen hatten. Andererseits weil ihr schizophrener Sohn Schuld auf sich geladen hat, die nicht zu tilgen ist.

Da ist ein psychisch zurückgebliebener Mann in den 40ern, dessen Mutter im Sterben liegt. Er kann zwar schnell Schachteln zusammenfalten und sich schnell verlieben, doch nach dem Tod seiner Mutter wäre er hilflos wie ein Kind. Er versucht, Hilfe bei einem Jugendfreund zu finden, der ihn einst vor Hänseleien wie ein Heiliger beschützt hatte. Doch es ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, den Freund zu behelligen.

Da ist eine alte Frau, die den Atombombenabwurf verletzt überlebt hat, und aufgewühlt durch eine Postkarte ihr Leben als verkrüppelte Hibakusha Revue passieren lässt. Insbesondere die Liebe ihres Lebens war ihr so nicht gegönnt; der Angebetete heiratete schließlich eine gesunde, unbeschwerte junge Frau. Ein wenig Trost findet sie in ihrem katholischen Glauben.

Da ist eine Ehefrau in den 30ern, die auf einem Grundstück lebt, auf dem Angehörige ihres Mannes beim Atombombenabwurf getötet wurden. Die Beziehung des Paares ist eher eine Zweckehe, daher setzt sie sich zum Ziel, einen 18-jährigen Fahrradmechaniker zu verführen. Am Jahrestag des Atombombenabwurfs hat sie schließlich sturmfrei, da sich ihre Schwiegereltern zu den Gedenkfeierlichkeiten begeben.

Da ist ein verlassener Ehemann, der seit dem Tod seiner kleinen Tochter unter extremen Alpträumen leidet. Das Meer scheint nachts bis in seine Wohnung in einem Hochhaus vorzudringen und es wird zu seiner fixen Idee, dass dies kein Traum ist, sondern Realität. Christliche Mythen und die Erfahrungen einer Hibakusha scheinen ihm einen Weg aus seinen Wahnvorstellungen zu deuten.

Und da ist ein älterer Mann, der seine persönlichen Atombombenerfahrungen zu Papier bringt: nämlich dass in seinem Geburtsregister weder eine Mutter noch ein Vater verzeichnet ist. Als Neugeborener wurde er in den Trümmern der Stadt gefunden und von Adoptiveltern aufgezogen. Als nicht-leiblicher Sohn leidet er unter Komplexen, keinen Bezug zu dem Besitz seiner zwischenzeitlich verstorbenen Adoptiveltern zu haben.

Obwohl Yuichi Seirai laut einem Interview auf der Homepage des Hiroshima Media Peace Center der Meinung ist, dass nur die Atombombenerzählungen von Zeitzeugen realistisch sein können, schreibt der Autor mit „Ground Zero Nagasaki“ Geschichten, die unter die Haut gehen und einem auch das eine oder andere Tränchen ins Auge treiben können. Da sind einerseits die individuellen Schicksale, die berühren. Andererseits werden auch die großen Fragen zum Atombombenabwurf gestellt, die für das christliche Nagasaki typisch sein mögen: Wie kann man noch an einen christlichen Gott glauben, der solches Grauen zulässt?

„Ground Zero Nagasaki“ zeichnet sich auch dadurch aus, dass der Autor Yuichi Seirai die verschiedenartigsten Charaktere hervorragend herausarbeitet. Von der alten Hibakusha über einen liebestollen, aber in seiner Entwicklung zurückgebliebenen Mann in den 40ern bis hin zu einer 30-Jährigen, die sich selbst noch einmal die eigene Attraktivität beweisen möchte, gerinnen alle Figuren zu einer Anschaulichkeit, die man selten in Erzählungen so gelungen findet.

Bibliographische Angaben:
Seirai, Yuichi: „Ground Zero Nagasaki“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-936018-87-5

Sonntag, 16. Februar 2014

Yuichi Seirai

Yuichi Seirai wurde als Akitoshi Nakamura im Jahr 1958 in Nagasaki geboren. Seine Eltern waren Überlebende des Atombombenabwurfs und – für Nagasaki eher untypisch – keine Christen. Sein Großvater erlebte gar beide Atombombenabwürfe, da dieser von der Mitsubishi-Werft in Nagasaki nach Hiroshima geschickt wurde, wo er den ersten Abwurf über Japan erlebte und bei seiner Rückkehr nach Nagasaki den zweiten ebenfalls erfahren musste.

Yuichi Seirai studierte an der Universität seiner Heimatstadt und arbeitete nach seinem Abschluss in der Stadtverwaltung. 1995 erschien seine erste Kurzgeschichte „Jeronimos Kreuz“, die mit dem Newcomer-Literaturpreis der Zeitschrift Bungakukai prämiert wurde. 2001 erhielt Yuichi Seirai den Akutagawa-Preis. Seine Erzählungen, die in dem Band „Ground Zero Nagasaki“ versammelt sind, wurden sowohl mit dem Sei Ito- als auch mit dem Tanizaki-Preis ausgezeichnet. Mit seinen Werken versucht Yuichi Seirai, das historische Erbe von Nagasaki aufzuarbeiten.

2005 wurde Yuichi Seirai Manager der Sektion für Friedensförderung von Nagasaki; im Jahr 2010 erhielt er den Posten des Direktors des Atombombenmuseums.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Samstag, 15. Februar 2014

„Gottes Boot“ von Kaori Ekuni

„Zigaretten, Kaffee und Schokolade sind ihre Energiequellen, die Arbeit ihr Beruhigungsmittel, Papa ihre Stütze und ihr Lebenszweck und ich bin ihre Freude und ihr Juwel.“ (S. 123)

So beschreibt die Mittelschülerin Soko ihre Mutter Yoko. Auf den ersten Blick erscheint dies wie eine normale Darstellung einer gewöhnlichen Mutter durch die Brille der Tochter. Wenn da nicht die Tatsache wäre, dass Soko ihren Vater nie kennengelernt hat und seit Jahren kein Kontakt zwischen Yoko und ihrem ehemaligen Liebhaber besteht.

Yoko hatte ihren um einige Jahre älteren Klavierlehrer geheiratet, in den sie nicht Hals über Kopf verliebt war und mit dem sie auch keinerlei sexuellen Kontakt pflegte. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis scheint auch in der Ehe fortbestanden zu haben, nennt Yoko ihren Ex-Mann schließlich immer noch Momoi-sensei.

Doch eines Tages brach die „knochenschmelzende Liebe“ über Yoko herein, als sie den Inhaber eines Musikinstrumentehandels kennenlernte. Das Glück der beiden währte jedoch nicht sehr lange: Beide mit anderen Partnern verheiratet; er verschuldet. So verließ er Yoko eines Tages mit dem Versprechen, sie wiederzufinden, wo immer sie auch sei.

Als ob Yoko diese Worte auf den Prüfstand stellen wollte, beginnt sie zusammen mit ihrer kleinen Tochter Soko, die der Affäre entsprungen ist, ein Nomadenleben, das sie von einer japanischen Kleinstadt in die nächste ziehen lässt.

Der kleinen Tochter Soko erklärt Yoko die oftmaligen Umzüge damit, dass sie sich auf „Gottes Boot“ befinden; der Vater sie auf jeden Fall aufspüren wird. Noch ist die Tochter ganz fasziniert von der Vorstellung des wunderbaren Vaters, der einst wie ein Messias zurückkehren und alles zum Besten wenden wird. Denn Yokos Heimat – und damit verbunden auch Sokos Geborgenheit – soll nicht an einen Ort gebunden sein, sondern an ihn, den idealisierten Geliebten.

Je älter Soko wird, desto mehr beginnt sie den quasi-religiösen Liebeswahn der Mutter zu durchschauen. Wie die heilige Dreifaltigkeit verehrt Yoko ihre „drei Schätze“, nämlich die Musik, ihren Geliebten und ihre Tochter Soko. Rod Stewart ist ihr Gotteslob; „When I need you, I just colse my eyes and I’m with you“ eine Textzeile ihres persönlichen Vater Unsers.

Kaori Ekunis „Gottes Boot“ zieht seinen Reiz aus der gedoppelten Erzählperspektive von Mutter und Tochter: Alltägliche Situationen werden von beiden Seiten aus der jeweilig subjektiven Sicht erzählt und mit Gedankengängen und Erinnerungen angereichert. So erlebt der Leser nicht nur die Realitätsferne der Mutter und deren permanente Schwärmerei für den abwesenden Geliebten, sondern auch die zunächst noch sehr kindliche Perspektive der Tochter, die das Verhalten der Mutter aber von Jahr zu Jahr zunehmend in Frage stellt.

„Gottes Boot“ ist ein sehr einfühlsamer, aber auch zugleich sehr verstörender Roman. Zwar schöpft Yoko durchaus auch Kraft aus ihrer religionsähnlichen Liebe, zerstört durch die Idealisierung des Geliebten aber auch Familienbande und steht sich selbst und einer Zukunft im Weg. So mag Kaori Ekunis Roman auch als Religionskritik gegenüber fehlgeleitetem, übersteigertem Glauben gelesen werden.

Insbesondere das Ende des Werks, dessen Deutung dem Leser obliegt, trägt dazu bei, dass einen selbst nach Beendigung der Lektüre der Roman nicht mehr los lässt. Happy end oder dead end?

Man kann sich nur wünschen, dass „Gottes Boot“ nicht die letzte deutsche Übersetzung eines Werkes von Kaori Ekuni bleiben wird.

Bibliographische Angaben:
Ekuni, Kaori: „Gottes Boot“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schlecht, Wolfgang), Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-936018-86-8

Freitag, 14. Februar 2014

Kaori Ekuni

Kaori Ekuni
(Creative Commons-Lizenz/
Photocredit: Uzaigaijin/flickr)
Kaori Ekuni kam 1964 in Tokio als älteste Tochter des Essayisten und Haiku-Dichters Shigeru Ekuni zur Welt. Sie studierte an einer Frauen-Kurzzeituniversität in Tokio, um danach für einen Jugendbuchverlag zu arbeiten. 1985 veröffentlichte sie eine erste Erzählung. 1987 ging Kaori Ekuni für ein Jahr in die USA und studierte an der Universität von Delaware. Nach ihrer Rückkehr nach Japan veröffentlichte sie ihre erste Kindergeschichte, die mit einem Literaturpreis der Mainichi-Zeitung prämiert wurde. 1992 wurde Kaori Ekunis Erwachsenroman „Twinkle Twinkle“ mit dem Shikibu Murasaki-Preis ausgezeichnet. Viele ihrer folgenden Werke wurden verfilmt und übersetzt. Insbesondere auch in Korea wurden Kaori Ekunis Veröffentlichungen zu Bestsellern. Unter anderem erhielt sie 2004 den Naoki-, 2012 den Kawabata-Literaturpreis. Kaori Ekuni gilt als eine der beliebtesten Autorinnen in Japan – insbesondere bei dem weiblichen Publikum.

Neben ihrer eigenen schriftstellerischen Tätigkeit verdingt sich Kaori Ekuni zudem als Übersetzerin.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Samstag, 1. Februar 2014

„Die Kirschblütenreise“ von Miki Sakamoto

„Jeder trät ein Buch im Herzen“ (S. 345) sagte einst Miki Sakamotos Großmutter Nao. „Die Kirschblütenreise“ ist nun vielleicht nicht Naos Herzensbuch, aber ein historischer Roman, der die Familienbiographie skizziert oder imaginiert und ein großes Gewicht auf den Kontext legt. Nao wird im Jahr 1895 geboren. Neue Zeiten sind in Japan angebrochen: Unter dem Label „Modernisierung“ muss das Althergebrachte langsam dem Neuen weichen. Yoshi, Naos Mutter, ist sehr dem alten Samurai-Geist verbunden, während ihr Ehemann Naotaro fortschrittsgläubig ist. Über einen weiten Teil des Buches hinweg, sind Yoshi und Naotaro die Protagonisten des Romans, anhand deren Erlebnisse und Gespräche zeitgeschichtliche und soziokulturelle Hintergründe beleuchtet werden: So lastet auf Yoshi und später auch auf Nao der Druck, einen Sohn und männlichen Stammhalter zu gebären. Yoshi glaubt an die Rechtmäßigkeit der Ständegesellschaft und hat keinen Blick für die Not der armen Gesellschaftsschichten. Naotaro reist nach dem Krieg gegen China in die besetzten chinesischen Gebiete und erlebt den Hass der Bevölkerung auf die Besatzer am eigenen Leib. Als Nao schließlich mit Eiichi verheiratet werden soll, wird der Leser mit ins No-Theater zum ersten Kennenlernen des baldigen Ehepaares mitgenommen und erfährt mehr über diesen traditionellen Teil der japanischen Hochkultur und seine Abgrenzung zum unterhaltsamen Kabuki.

So verflicht Miki Sakamoto die Geschichte ihrer Familie immer wieder mit Informationen zur japanischen Gesellschaft, Kultur und Geschichte. Seien es Geishas, Ikebana, Teezeremonie, Kalligraphie, Kriege, Entbehrungen während des zweiten Weltkriegs, Kamikaze-Flieger, die Atombombe, die Nachkriegszeit. Ein bisschen anstrengend wird dies vor allem gegen Ende des Buches, wenn durch die Einführung von neuen Figuren immer weitere Facetten in den Roman hineingedrängt werden – insbesondere die Geschichte des Paul Takashi Nagai, der hier als Freund von Naos Schwiegersohn präsentiert wird.

Für Leser, die sich bereits mit Japan befasst haben, ist Miki Sakamotos „Die Kirschblütenreise“ weder Fisch noch Fleisch. Denn die landesspezifischen Hintergründe sind zum Großteil sicherlich schon bekannt. Da hierauf jedoch ein großer Fokus liegt, leidet die imaginativ-belletristische Kraft des Romans. So werden beispielsweise nach Naos Verheiratung nur noch exemplarische Episoden aus verschiedenen Blickwinkeln aus verschiedenen Zeiten präsentiert, die untereinander keinen oder wenig Zusammenhang haben und nicht vermögen, die Entwicklung der Protagonisten im Verlauf darzustellen. Insbesondere die Protagonistin Nao bleibt einem fern; deren Eltern Yoshi und Naotaro bleiben viel prägnanter im Gedächtnis. Wer allerdings nach einem „Einsteiger-Buch“ sucht, der findet in „Die Kirschblütenreise“ sicherlich einen kurzweiligen Überblick über viele Japan-relevante Themen.

Miki Sakamoto hat den Roman auf Deutsch verfasst, wofür ihr der größte Respekt gebührt. Allerdings hätte das Lektorat des Nymphenburger Verlags noch ein bisschen nachpolieren können, da manche Wendungen im Deutschen so nicht üblich sind. Der Leser versteht sicherlich den Sinn, doch wird der Lesefluss etwas gestört. Nur ein Beispiel von mehreren:

„Die Nacht war mit einem blutigen Morgenrot in den Tag übergegangen.“ (S. 323)

Das Morgenrot hat sicherlich nicht geblutet. Auch hat es kein Massaker in der Dämmerung gegeben, sondern der Himmel färbte sich blutrot. Man möge mich einen Wortklauber nennen, aber nicht nur hier wäre das Lektorat gefragt gewesen.

Bibliographische Angaben:
Sakamoto, Miki: „Die Kirschblütenreise“, Nymphenburger, München 2011, ISBN 978-3-485-01338-3