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Mittwoch, 30. März 2011

„Auf der Suche nach einer fernen Stimme“ von Taichi Yamada

Taichi Yamadas Roman „Auf der Suche nach einer fernen Stimme“ zieht einen sofort in den Bann: Bei einer Razzia, bei der Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis festgenommen werden sollen, entflieht einer der Illegalen. Tsuneo Kasama, Beamter der Ausländerbehörde, verfolgt den Flüchtigen auf einen Friedhof. Er stellt den Ausreißer, doch wie eine Woge überrollt ihn eine unkontrollierbare sexuelle Erregung, die ihm den Verstand raubt. Wie paralysiert muss er zusehen, wie der Illegale flieht. Als Tsuneo auch noch eine für andere nicht vernehmbare weibliche Stimme hört, glaubt er endgültig daran, von dem Ausländer verhext worden zu sein. Tsuneo lässt sich dennoch auf ein Gespräch mit der Stimme ein, die in ihm eine ähnlich einsame Seele entdeckt. Denn Tsuneo plagen die Geister der Vergangenheit, die er am liebsten auf ewig verbannen würde. Seit seiner Zeit in den USA verschließt er sich, entschließt sich zu einer wenig verheißungsvollen Laufbahn bei der Ausländerbehörde und bleibt einer Beziehung mit einer Frau fern. Als sein Vorgesetzter ihm eine junge Frau heiratsvermittelt, ist Tsuneo sich sicher: Eine Vernunftehe ist besser als eine Liebesheirat – bis die weibliche Stimme ihre Macht auf ihn ausübt. Tsuneo beginnt, sich der Stimme zu öffnen und erzählt ihr sein allzeit gehütetes Geheimnis über seine Zeit in den Vereinigten Staaten.

Bis zu diesem Punkt ist der Roman von Taichi Yamada mitreißend. Doch ab der Rückblende beginnt die Handlung etwas fade zu werden. Die Motivationen des Protagonisten waren mir unplausibel. Und leider verpatzt der Autor meiner Meinung auch noch das Ende, dass man sich fragen muss: Und was hatte dies nun alles für einen Sinn? Für Tsuneo? Für die weibliche Stimme? Warum spielt Schönheit eine derartig wichtige Rolle bei zwei Liebenden, die sich ohnehin noch nie gesehen haben?

Dienstag, 29. März 2011

„Aus dem Schattenreich“ von Hyakken Uchida

„Aus dem Schattenreich“ von Hyakken Uchida behandelt in 18 Erzählungen Grenzgänge zwischen Realität und einer Geister- bzw. Fantasiewelt. Dem Leser ist – genauso wenig wie dem männlichen Ich-Erzähler – klar, in welcher Welt sich der Protagonist gerade bewegt.

Oftmals ist der Ich-Erzähler auf einem Damm unterwegs, der in der japanischen Literatur das Reich der Toten symbolisiert. Und schon beginnt der Grenzgang. Die Stimmung der Erzählungen ist leicht bedrohlich bis unangenehm. Man möchte dem Protagonisten zurufen, vorsichtig zu sein, obwohl dieser ohnehin schon seine eigenen Bedenken äußert. Und dennoch begibt er sich in Situationen, in denen ihn eine Frau anspringt und würgt. In denen er sich ungewollt als Lehrling von unheimlichen Personen verdingt. In denen er seine Frau gezwungener Maßen einem Herzensdieb überlässt. In denen ein Bär als Jahrmarktsattraktion ein Blutbad anrichtet.

Lesenswert ist vor allem das Nachwort der Übersetzerin Lisette Gebhardt. Hier und in den Anmerkungen erfährt man einiges über den Symbolgehalt der Erzählungen, über Zauberfüchse, den Vorbehalten gegenüber Chinesen und europäischen Missionaren etc. Aber auch der Vergleich zwischen dem Autor und dem Protagonisten wird gewagt: Entspricht der Autor Hyakken Uchida dem passiven Ich-Erzähler, der nichts ablehnen kann und so in sein Unheil rutscht?

„Aus dem Schattenreich“ ist fantasievolle Literatur, die nicht unbedingt fantastisch ist, sondern eher eine bedrückende Stimmung hinterlässt.

Montag, 28. März 2011

Hyakken Uchida

Hyakken Uchida
(Foto aus "100 years
historical photographs of
Japanese National Railways",
Creative Commons-Lizenz)
Hyakken Uchida wurde am 29. Mai 1889 als Eizo Uchida in Okayama geboren. Seit der Oberschulzeit war Hyakken Uchida literarisch aktiv. Ab 1910 studierte er Germanistik in Tokio, um dann als Deutschlektor tätig zu werden. In den Jahren 1920 bis 1934 war er an der Honsei-Universität angestellt. Nach einem Streit um modernere Lehrmethoden kehrte Hyakken Uchida der Universität den Rücken. 1971 starb er im Alter von 81 Jahren.

Hyakken Uchida war bekannt als Exzentriker mit missmutiger Ausstrahlung, der seine Ablehnung gegenüber dem Kulturbetrieb mit dem Satz „Ich mag nicht, weil ich nicht mag“ begründete. Mit ehemaligen Schülern hielt er “Immer-noch-nicht-tot“-Feiern ab.

Hyakken Uchidas Werke sind Geister- und Fantasiegeschichten, in denen die Grenzen der Realität verwischen. Eine seiner Kurzgeschichten inspirierte Seijun Suzuki zum Film „Zigeunerweisen“; Akira Kurosawa setzte ihm mit „Madadayo“ ein filmisches Denkmal.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Sonntag, 27. März 2011

„In der Misosuppe“ von Ryu Murakami

Ryu Murakami, das „enfant terrible“ der japanischen Literaturszene, hat mit „In der Misosuppe“ einen wahrlichen Schocker geschrieben: Kenji ist ein Fremdenführer der besonderen Art – er führt Touristen durch das Rotlichtviertel Tokios, begleitet sie zu Peep-Shows, in Anbandelbars und übergibt sie in die Hände von Prostituierten. Ein wunderbarer Job für einen 20-Jährigen – bis Frank, ein amerikanischer Tourist, sein Kunde für die drei letzten Tage des Jahres wird. Frank umgibt eine schaurige Aura, er scheint zwei Gesichter zu haben und Kenji bereut es bereits zu tiefst, ihm drei Nächte verpflichtet zu sein. Seine Bedenken sind nicht unbegründet: In der zweiten Nacht offenbart Frank seine Psyche in einer grausamen Bluttat, in der auch Kenji um sein Leben bangen muss.

Ich habe mich sehr lange davor gedrückt, „In der Misosuppe“ zu lesen. Die Rezensionen für das Buch sind eher durchwachsen und auf brutale Splatterszenen kann ich sehr gut verzichten. Dennoch war ich begeistert von dem Buch. Einerseits ist es sehr spannend geschrieben. Andererseits bildet die Geschichte um den Psychopathen Frank einen Rahmen, in dem Kenji in Reflektionen Ryu Murakamis Gesellschaftskritik ausdrückt: Japan ist eines der reichsten Länder der Welt – und dennoch sterben Menschen an Karoshi, dem Tod durch Überarbeitung. In anderen Ländern müssen sich die Schulmädchen aus einem Überlebenskampf heraus prostituieren, während japanische Schulmädchen freiwillig für eine Louis Vuitton-Handtasche auf den Strich gehen. Das Buch ist definitiv nichts für zart Besaitete. Dennoch mag ich es all jenen ans Herz legen, die sich nicht nur für traumhafte Banana Yoshimoto-Bücher begeistern, sondern sich von Ryu Murakami auch die dunklen Seiten der japanischen Gesellschaft aufzeigen lassen wollen.