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Freitag, 5. Juni 2015

„Böse Absichten“ von Keigo Higashino

Naja… so richtig vom Hocker gerissen hat mich Keigo Higashinos „Böse Absichten“ nicht. Der Krimiautor versteht es sicherlich, verzwickte Fälle spannend aufzuziehen. Doch im Fall von „Böse Absichten“ scheint er ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Da werden unzählbare Indizien, Beweise und Motive analysiert und dann scheint doch wieder alles völlig anders zu sein. Und zwar so konstruiert anders, dass man dem ganzen Fall nur erhebliche Realitätsferne und dem Motiv des Täters das Niveau eines Kindes unterstellen kann.

Aber worum geht es? Kurz vor seiner Abreise nach Kanada wird der erfolgreiche Autor Hidaka tot in seinem Haus aufgefunden. Alles scheint auf einen Mord im Affekt hinzudeutetn – Hidaka wurde mit dem Briefbeschwerer bewusstlos geschlagen und dann mit dem Telefonkabel erwürgt. Doch alle Verdächtigen haben perfekte Alibis. Da wäre Miyako Fujio, die im Streit mit Hidaka über die Handlung eines seiner Werke lag. Da wäre Hidakas frisch vermählte Ehefrau, die den Toten zusammen mit Nonoguchi, der mit Hidaka seit der Schulzeit befreundet war, aufgefunden hat. Nonoguchi wiederum kann ebenfalls beweisen, dass er zur Tatzeit nicht vor Ort war.

Oder ist Hidaka vielleicht doch schon früher verstorben? Um alle Hintergründe aufzudecken, werden auch Hidakas erste Ehe, der tragische Tod seiner ersten Ehefrau als auch Hidakas Kindheit durchleuchtet.

Aus den Aufzeichnungen von Nonoguchi und des ermittelnden Kommissars Kaga entspinnt sich ein Mordfall, dessen Motive in den Abgründen der menschlichen Seele nisten. Doch um diese Abgründe für den Leser nachvollziehbar zu machen, hätte der Autor gut daran getan, die Charaktere ausführlicher darzustellen. Ich will Keigo Higashinos „Böse Absichten“ gar nicht absprechen, dass der Roman spannend und sehr eingängig geschrieben ist. Doch hinter „Verdächtige Geliebte“ und „Heilige Mörderin“ bleibt der Krimi für mich weit zurück.

Gefallen hat mir aber das Cover-Design umso mehr: unverkennbar ein Kirschblütenzweig. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die rote Farbe nicht nur von den Blüten herrührt – es sind Blutstropfen auf den Kirschblütenzweig gefallen. Ein sehr gelungenes Cover für einen Japan-Krimi!

Bibliographische Angaben:
Higashino, Keigo: „Böse Absichten“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Klett-Cota, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-608-98027-1

Donnerstag, 4. Juni 2015

„Wenn der Wind singt & Pinball 1973“ von Haruki Murakami

Endlich sind sie ins Deutsche übersetzt – die ersten beiden Kurzromane von Haruki Murakami. In „Wenn der Wind singt“ und „Pinball 1973“ wird die Vorgeschichte des Ich-Erzählers und seines Kumpans Ratte erzählt, die Haruki Murakami-Leser bereits aus „Wilde Schafsjagd“ und „Tanz mitdem Schafsmann“ kennen.

In dem Vorwort gibt der Autor höchstpersönlich einen interessanten Einblick in die Entstehungsgeschichte der Kurzromane und er weiß von einer Art Erweckungserlebnis zu berichten: Keinesfalls war es der langgehegte Plan Haruki Murakamis, Autor zu werden. Zunächst betrieb er in den 70er Jahren recht erfolgreich zwei Jazz-Kneipen. Mitten während eines Baseballspiels im Jingu-Stadion jedoch kam ihm eine Erleuchtung – warum nicht einen Roman schreiben? Doch sicherlich ist aller Anfang schwer: Die erste Version seines ersten Romans enttäuschte ihn. Mittels einer Krücke fand Haruki Murakami zu seinem Stil: Zunächst verfasste er den Text in einfachem Englisch – komplett ohne die stilistischen Verkünstelungen, zu denen man in der Muttersprache sicherlich neigt. In der Rückübersetzung ins Japanische entstand ein einfacher, aber umso prägnanterer Text. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum der Haruki Murakami-Stil als sehr untypisch für japanische Autoren gilt.

Haruki Murakami nennt die beiden Erstlinge „Wenn der Wind singt“ und „Pinball 1973“ seine Küchentischromane, da sie in seiner spärlichen Freizeit am Küchentisch entstanden. Wäre „Wenn der Wind singt“ nicht für einen Nachwuchspreis nominiert worden – vielleicht hätte Haruki Murakami, wie er selbst angibt, keine weiteren Romane geschrieben. So kann man der Zeitschrift Gunzo nur in Dankbarkeit verbunden sein, dass damals Haruki Murakami mit dem Preis ausgezeichnet wurde. Sonst wären die vielen großartigen Werke des Autors eventuell nie entstanden.

Interessant an den beiden Erstlingen ist, dass sie sich bereits wie typsische Haruki Murakami-Werke lesen und viele typische Elemente enthalten. So bezieht sich der namenlose Ich-Erzähler gern auf einen Autor (in „Wenn der Wind singt“ ist es Derek Hartfield), er hat komplizierte Frauengeschichten am Hals, das Gefühl, ein niemand zu sein, ist sowohl bei ihm als auch seinem Freund Ratte kennzeichnend, Dreh- und Angelpunkt ist eine Bar, hinzu kommen Schächte, Brunnen, Grenzgänge, Ein- und Ausgänge…

Über „Wenn der Wind singt“ sagt der Ich-Erzähler


„Meine Geschichte beginnt am 08. August1970 und endet achtzehn Tage später, am 26. August desselben Jahrs.“ (S. 28)


Doch in zahlreichen Rückblenden wird der Bericht über einige Tage während der Sommerferien des studentischen Ich-Erzählers, der aus Tokio zurück in seine Heimatstadt am Meer gekommen ist, angereichert: Wie er Ratte kennengelernt hat, welche Frauengeschichten er in der Vergangenheit erlebt hat und wie seine Kindheit aussah. Und natürlich wird über den Sinn des Lebens und die Gesellschaft palavert.

In „Pinball 1973“ wird’s bereits etwas phantastischer: So findet sich der Ich-Erzähler – nun bereits Gründer eines Übersetzungsbüros nach abgeschlossenem Studium – unvermittelt in der Gesellschaft eines weiblichen Zwillingspärchens, das sich bei ihm einquartiert hat, wieder. Einziges Unterscheidungsmerkmal der beiden Damen scheint ein unterschiedlich nummeriertes Sweatshirt zu sein. So nennt er sie getreu den Nummern 208 und 209.

Währenddessen macht Ratte in der alten Heimat eine schwere Zeit durch:


„Für Ratte schien der Fluss der Zeit an irgendeiner Stelle durchtrennt worden zu sein. Warum das geschehen war, wusste er nicht. Er konnte nicht einmal die Schnittstelle finden.“ (S. 157)


Insbesondere seit er sein Studium geschmissen hat, liegt seine Gefühlswelt im Argen. Auch eine Frauengeschichte macht ihm zu schaffen.

Der Ich-Erzähler wiederum bekommt wie aus dem Nichts einen Anstoß: Als er in Begleitung der Zwillinge auf einem nahegelegenen Golfplatz herumstromert, kommt ihm seine Leidenschaft fürs Flippern wieder in den Sinn. Doch nicht irgendein Flipper hat ihm angetan: Sowohl in seiner alten Heimatstadt (genauer: in Jays Bar) hat er auf dem Modell Spaceship zusammen mit seinem Freund Ratte Stunden um Stunden geflippert – und auf demselben Modell in einer Spielhölle in Tokio ebenfalls ausgiebig dem Flippern gefrönt. Seine Suche nach dem Modell Spaceship beginnt, denn dummerweise hat Jay seinen Flipper ausgemustert und die Spielhölle wurde geschlossen.

Dabei sieht der Ich-Erzäler das Flippern jedoch durchaus nicht in einem positiven Licht:


„Zwischen Hitlers Vormarsch und dem des Flipperautomaten gibt es Parallelen. Beide stiegen durch gewisse Umwälzungen wie Schaum aus dem Bodensatz ihrer Epoche an die Oberfläche und verdankten ihre mythische Aura eher der Geschwindigkeit ihres Aufstiegs als besonderen Fähigkeiten. Drei Faktoren beschleunigten diese Entwicklung: Technologie, Kapital und, nicht zu vergessen, die primitivsten Instinkte des Menschen.“ (S. 147)


So ist der Flipper vielleicht auch als Sinnbild der Desillusionierung der revoltierenden Studenten der ausgehenden 60er Jahre/beginnenden 70er Jahre zu verstehen? Oder auch als eine Analogie zum Wind in „Wenn der Wind singt“: Genauso wenig wie der Mensch weiß, in welche Richtung ihn der Wind des Schicksals weht, genauso wenig weiß es die Kugel, die über das Spielfeld des Flippers rollt.

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Wenn der Wind singt & Pinball 1973“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Dumont, Köln 2015, ISBN 978-3-8321-9782-7