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Donnerstag, 28. Juni 2012

„Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ von Sayo Masuda

Die kleine Sayo erlebt eine furchtbare Kindheit: Eine Schule sieht sie als Kind nicht von innen. Stattdessen muss sie vor allem den Säugling eines Großgrundbesitzers hüten und allerlei anfallende Arbeiten erledigen. Zu essen bekommt sie maximal Reste und von einer richtigen Schlafstatt kann auch nicht die Rede sein. Noch nicht mal ihren richtigen Namen kennt die Kleine. Sie wird primär „He, du da!“ gerufen und erhält immerhin den Spitznamen Tsuru.

Als Teenager wird sie in ein Geisha-Haus in einem Kurort verkauft. Dort wird sie einem extremen Drill unterworfen. Wenn sie beim Tanz oder beim Shamisen-Spiel Fehler begeht, wird sie geschlagen. Auch die Geisha-Mama kennt mit niemandem ein Erbarmen: Bei Ungehorsam werden schon einmal Zigaretten an den Körpern der Mädchen ausgedrückt. Als Sayo einer ihrer älteren Geisha-Schwestern zu Hilfe eilen will, als diese von der Mama brutal traktiert wird, wird sie von dieser eine Treppe hinunter gestoßen und erleidet einen Oberschenkelbruch. Da Sayo viel zu spät ins Krankenhaus eingeliefert wird, entgeht sie nur knapp einer Amputation. Doch immerhin erfährt sie im Hospital endlich ihren richtigen Namen. Als sie von ihrem Gönner, einem Yakuza, freigekauft wird, gerät Sayo in die nächste Abhängigkeit. Aufgrund einer Liebesaffäre verstößt der Yakuza die ehemalige Geisha. Sayo ist nun frei, aber ohne Geld und Auskommen hilflos. Fortan muss sie sich alleine durchschlagen.

„Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ zeigt ein ganz anderes Bild des Geisha-Lebens als Mineko Iwasakis „Die wahre Geschichte der Geisha“. Doch die beiden Geishas könnten kaum unterschiedlicher sein. Mineko Iwasaki kommt als Nachfolgerin einer Geisha-Mama ins Geisha-Haus, wird von dieser adoptiert und hat in der Hierarchie einen hohen Rang inne. Sayo Masuda ist ein uneheliches, verstoßenes Kind, wird für eine bestimmte Zeit eingekauft und hat den geringsten Status im Haus. Während Mineko Iwasaki in Kioto sich als Künstlerin fühlen kann und sich mit reichen Gönnern trifft, die ihre künstlerischen Darbietungen zu schätzen wissen, ist Sayo Masuda als Kurort-Geisha eher Prostituierte und muss Yakuzas und Mittelständlern dienen. Während Mineko Iwasaki von sich behaupten kann, ihren Körper nicht verkauft zu haben und so nach Beendigung der Geisha-Karriere mit Männern normale Beziehungen eingehen kann, so fühlt sich Sayo Masuda befleckt und wagt es nicht, zu heiraten, da sie sich der Gefahr bewusst ist, von ihrem Mann davongejagt zu werden, sobald er von ihrer Vergangenheit erfährt.

Sayo Masuda, die kaum schreiben gelernt hat, verfasste in den 50er Jahren mit „Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ ein eindrückliches Porträt. Die Schwächen im Plot muss man unter diesem Gesichtspunkt mehr als verzeihen. Was allerdings ein bisschen schade ist, ist der reißerische Titel, den der Verlag dem Buch gegeben hat. Denn warum war Sayo Masuda denn die „letzte“ Geisha? Das mag vielleicht gut klingen (à la „Das letzte Einhorn“, „Der letzte Kaiser“, „Der letzte Mohikaner“ etc.), ist aber doch schlichtweg irreführend.

Zudem wären meiner Meinung ein paar mehr Fußnoten angebracht gewesen. Wer sich nicht bereits ein bisschen mit dem Geisha-Leben befasst hat, der kann nur mühsam aus dem Zusammenhang erahnen, was hinter Begriffen wie Zashiki und Kenban steckt.

Trotzdem: Sayo Masudas Autobiographie sollte man auf jeden Fall lesen, wenn man sich für Geishas und deren Schicksale interessiert.

Bibliographische Angaben:
Masuda, Sayo: „Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“, Insel Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-458-35851-0

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