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Donnerstag, 7. Juni 2012

„Talisman“ von Yoko Tawada

In Yoko Tawadas „Talisman“ versammeln sich 17 Texte, von denen sich „Das Fremde aus der Dose“ und „Talisman“ auch in dem Büchlein „Das Fremde aus der Dose“ finden lassen. Der Leser darf die Autorin bei einem Ausflug nach Rothenburg ob der Tauber begleiten, wo sie auf rätsel- und bretzelhafte Brote trifft. Dort liefert Yoko Tawada auch eine Erklärung für das Phänomen der alles fotografierenden, japanischen Touristen: Der japanischen Sage nach sollen Wanderer im Gebirge, die in der Einsamkeit und Weite der Landschaft das Gefühl bekommen haben, sich selbst zu verlieren, durch einen mit den Händen gebildeten Ring geblickt haben, um sich ihrer selbst zu versichern. Völlig überfordert mit europäischen Altstädten hätte diese Funktion nun der Fotoapparat übernommen.

Yoko Tawada bereist auch den Bauch des Gotthards, doch weder Como noch Locarno können sie begeistern; es zieht sie ausgerechnet nach Göschenen, denn der Klang des Namens erinnert so schön an Stein. Auf den Lofoten lässt sie ihre Gedanken von der norwegischen Kirche (= Kirke) zur Kirke der griechischen Mythologie wandern.

Doch in „Lektüre in einer S-Bahn“ erfährt der Leser auch mehr über Yoko Tawadas Heimatland Japan: Die S-Bahn ist der bevorzugte Platz für die Buch-Lektüre und wer neben einem Lesenden einschläft, soll im Traum der Hauptfigur aus dessen Buch begegnen. In „Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch“ wird auf amüsante Weise illustriert, wie Celan in Ideogramme übersetzt werden kann.

Mit „Das Wörterbuchdorf“ entführt Yoko Tawada gar in eine völlig fantastische Welt, die einem Wörterbuch entsprungen ist. Dieses „Buch im Buch“ ist sowohl im japanischen Original als auch in der deutschen Übersetzung abgedruckt und wie vom Konkursbuchverlag gewohnt besonders liebevoll gestaltet.

Damit illustriert „Talisman“ eine schönen, abwechslungsreichen Strauß der verschiedenen Ansätze der Autorin: Fremdheit im Ausland, eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe des für Einheimische „Normalen“, Lautmalereien, Sprachspiele, Fantastik und sogar ein bisschen Übersetzungstheorie.

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