Wer wollte nicht schon einmal in den Alltag eines hauptberuflichen, berühmten Schriftstellers hineinschnuppern? Mit „Tagebuch. Das Jahr 1937“ erhält man die einmalige Gelegenheit den Autor Kafu Nagai zu begleiten. Mit 1937 hat sich die Übersetzerin Barbara Yoshida-Krafft ein ganz besonderes Jahr im Leben des passionierten Tagebuchschreibers Kafu Nagai ausgesucht: Sein Roman „Romanze östlich des Sumidagawa“ ist gerade erschienen. Seine Mutter liegt im Sterben, was Erinnerungen an den Streit mit seiner Familie heraufbeschwört. Und das Grollen des Krieges wird immer lauter. Aus Protest lehnt Kafu Nagai offizielle Ehren ab. Doch auch ansonsten ist der Autor eher verschlossen: Selbst Privatleuten mag er die Bücher nicht signieren. Klingelt es an der Tür wird vorsichtshalber nicht aufgemacht, es könnte ja ein nerviger Journalist ein Interview machen wollen.
Viel wohler als zu Hause scheint sich Kafu Nagai zu fühlen, wenn er sich in Tokio herumtreibt. So besucht und fegt er die Gräber von Berühmtheiten und bekannten Prostituierten und macht Fotos seiner Stadt, die er selbst entwickelt. Ins Freudenviertel zieht es ihn sowohl privat als auch zur Recherche. Doch leider scheitert er an der Erzählung, die er gerne über das Rotlichtmilieu geschrieben hätte. Und dann gibt es noch ein, zwei Stammkneipen, in denen er sich mit seinen Bekannten regelmäßig trifft.
Mit geradezu distanzierten, knappen Worten beschreibt Kafu Nagai seine Tage. Meist beginnen die Einträge, die zur Veröffentlichung bestimmt waren, mit der Wetterbeschreibung. Auch wenn manche Tage so gar nichts Neues bringen, zieht Kafu Nagais Alltag den Leser in seinen Bann: Ein authentisches Stück Zeitgeschichte offenbart ein Tokio auf dem Weg in die Moderne.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen