Junichiro Tanizaki beweist mit den beiden Erzählungen „Die Traumbrücke“ und „Biographie der Frühlingsharfe“ sein Faible für das sexuell und psychologisch Abgründige, während die dritte in dem Band enthaltene Erzählung „Die Erzählung eines Blinden“ eine Historiengeschichte aus dem Mittelalter umfasst.
In „Die Traumbrücke“ wird der gut gemeinte Plan des Vaters des Protagonisten Tadasu offenbart: Nach dem Tod der leiblichen Mutter Chinu nimmt sich der Vater eine neue Ehefrau. Diese war mit dem Ziel ausgewählt, Tadasu möglichst kaum einen Unterschied zwischen den beiden Frauen ausmachen zu lassen und in seinem kindlichen Vorstellungsvermögen zu einer Person zu verwischen. So beginnt eine obskure Stiefmutter-Sohn-Beziehung, in der Tadasu nachts bis fast ins Teenager-Alter an der Brust der Stiefmutter saugt, ohne dass sich freilich ein Tropfen Milch gewinnen lässt. Gut gemeint ist eben nicht immer gleichzusetzen mit gut...
„Die Erzählung eines Blinden“ spielt im Mittelalter und beruht auf historischen Ereignissen. Als Masseur und Gaukler gelangt der Blinde in den Dienst der Fürstin Oichi, die mit Fürst Nagamasa verheiratet und eine Schwester von Fürst Nobunaga ist. Als Krieg zwischen den beiden Häusern ausbricht, ist dies der Auftakt für ihr wechselhaftes Schicksal: Nicht nur einmal steht sie vor der Entscheidung, mit ihrem jeweiligen Ehemann während der vielfältigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Clans in den Tod zu gehen. Der Blinde bleibt bis zum Schluss an ihrer Seite und tut sein Bestes, sie und ihre Töchter zu retten.
„Die Biografie der Frühlingsharfe“ ist die Lebensgeschichte der blinden Musikerin Shunkin, einer Meisterin des Shamisen-Spiels – und Femme Fatale im Leben des Dieners Sasuke. In völliger Hingabe, die mehr masochistischer Aufopferung gleicht, dient er seit seiner Jugend der nur wenige Jahre jüngeren Shunkin. Als Shunkin ein Verbrechen angetan wird, zögert Sasuke nicht, und bringt aus Liebe ein gewaltiges Opfer.
Wer sich für historische Geschichten rund um Samurai-Ehre und -Krieg interessiert, dem wird „Die Erzählung eines Blinden“ bestimmt sehr gefallen. Weit aus mehr unter die Haut gehen jedoch die Erzählungen „Die Traumbrücke“ und „Die Biografie der Frühlingsharfe“, die mit Grenzen zur Perversion spielen.
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