Im Vertrauen berichtet die junge Rezeptionistin Yumiyoshi jedoch von mysteriösen Vorgängen im Hotel Delfin: Als sie eines Abends im Personalstockwerk aus dem Lift aussteigen wollte, befand sie sich statt dessen in einem völlig dunklen, modrigen Flur, der von etwas Unheimlichen bewohnt wurde. Auch der Ich-Erzähler gelangt schließlich in diese verborgene Etage und trifft auf den Bewohner – den Schafsmann. Dieser gibt den Protagonisten einen Rat, den er künftig befolgen soll:
„‚Tanze’, sagte der Schafsmann. ‚Das ist der einzige Weg. […] Ich kann dir nur sagen: tanze. So gut du nur kannst. Du hast keine andere Wahl.’“ (S. 110)
Doch ob dem Ich-Erzähler dadurch das ersehnte Glück vergönnt sein wird, kann der Schafsmann nicht garantieren.
Der Tanz beginnt: Der Protagonist wird zum Beschützer und Begleiter der 13-jährigen Künstlertochter Yuki, die über hellseherische Fähigkeiten verfügt; freundet sich mit seinem ehemaligen Mitschüler Gotanda an, der nun Filmstar, aber genauso einsam wie der Ich-Erzähler ist; wird zu unrecht als Prostituiertenmörder verdächtigt und verliert vor allem erneut Menschen, die ihm nahe stehen. Wird es ihm trotzdem gelingen, in der Liebe seine Erfüllung zu finden?
Typisch Haruki Murakami geht auch in „Tanz mit dem Schafsmann“ die Handlung nicht allzu schnell voran: Der Protagonist philosophiert beispielsweise ausführlich über die Namen von Pop- und Rockbands und übt Kapitalismuskritik:
„Wir leben schließlich in einer hochkapitalistischen Gesellschaft. Verschwendung gilt hier als höchste Tugend.“ (S. 26)
Und:
„Verschwendung ist der Treibstoff, der Widersprüche erzeugt, und Widersprüche kurbeln die Wirtschaft an, und eine angekurbelte Wirtschaft führt wiederum zu mehr Verschwendung“ (S. 34f)
„Tanz mit dem Schafsmann“ enthält – wiederum typisch Haruki Murakami – verschiedene Wirklichkeitsebenen: Ist der Schafsmann Realität oder nur ein Hirngespinst? Der Filmstar Gotanda kann nicht mehr zuordnen, was wirklich geschehen ist und was er sich einbildet. Und Yuki hat mysteriöse Visionen.
Wer Haruki Murakamis Erzählweise mag, für den ist „Tanz mit dem Schafsmann“ ganz großes Kino: Ein kauziger, aber sympathischer Loser-Typ auf der phantastischen Suche nach Erfüllung.
„Wilde Schafsjagd“ muss man nicht zwangsweise vor „Tanz mit dem Schafsmann“ gelesen haben. Dennoch fehlen ansonsten der Witz an der Namensgebung von Sardine, die Erinnerung an Kikis magische Ohren und die Spannung, was wohl aus dem alten Hotel Delfin geworden sein mag.
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