„3/11 – Tagebuch nach Fukushima“ sind Yuko Ichimuras Aufzeichnungen über ihre Erlebnisse am und nach dem 11. März 2011, die auf der Homepage des SZ Magazins erschienen und nun liebevoll gestaltetet in Buchform erhältlich sind.
Yuko Ichimura erlebt das erste Beben in der Arbeit; sie und ihre Kollegen fliehen aus dem Bürogebäude auf die Straße. Da die U-Bahnen nicht fahren und kein Taxi aufzutreiben ist, geht sie zu Fuß in die Innenstadt, um ihren Lebensgefährten Yudai an dessen Arbeitsplatz aufzusuchen.
Die folgende Zeit steht ganz im Zeichen des Erdbebens: Ein in der Wohnung aufgehängter Kleiderbügel dient als Nachbebenwarnung, der Notfallalarm geht immer wieder los, Twitter wird zum unverzichtbaren Kommunikationsmittel und Strom soll gespart werden, da das Atomkraftwerk von Fukushima vom Netz geht. Bis zum Hochsommer ändert sich nichts am Engpass mit Stromversorgung: Da werden dann auch schon mal die alten Tricks aus der Edo-Zeit aus der (Kla-)Mottenkiste gepackt, wenn man die Klimaanlage nicht anschalten darf.
In der ersten Zeit nach dem großen Schock verfolgen die Menschen die Strategie des „fukinshin“, des etwas unangemessenen Verhaltens. Denn nachdem die Menschen zunächst ängstlich zu Hause saßen, müssen sie – Katastrophe hin, Katastrophe her – raus, um sich Mut machen zu machen, dass das Leben weitergehen wird.
Als das Ausmaß der Schäden am Atomkraftwerk Fukushima immer evidenter wird, wird nukleare Verstrahlung zum Thema: Bei Regen will man lieber nicht das Haus verlassen, Bohnen aus dem letzten Jahr werden gehortet und Gurken aus dem Gebiet Fukushima liegen unverkäuflich im Supermarktregal. Als Yuko aus beruflichen Gründen weit entfernt von Tokio weilt, ist es ein Highlight, auf dem Markt bedenkenlos Lebensmittel einkaufen zu können.
Die Menschen beginnen, ihr Leben auf den Prüfstand zu stellen: Welche Aspekte sind ihnen wichtig, welche Dinge werden plötzlich unsinnig? Auch auf Partnerschaften hat dies seine Auswirkungen: Manche Partner rücken näher zusammen; manche Pärchen merken, dass man genauso gut ohne die bessere Hälfte leben kann.
Yuko Ichimura illustriert jeden Tagebucheintrag liebevoll mit einem Comic, der das Wesentliche bereits zusammenfasst und auch gerne mit Ironie spielt. Die Episodenhaftigkeit der einzelnen Kapitel ist charakteristisch und öffnet kleine Fenster in den Alltag während der Katastrophe. Trotz aller Tragik versprüht „3/11 – Tagebuch nach Fukushima“ Optimismus und Solidarität. Denn Yuko und ihre Freundinnen engagieren sich für die Erdbebenopfer und wirken wie aus einem Kokon geschlüpft.
Leider habe ich „3/11 – Tagebuch nach Fukushima“ viel zu schnell ausgelesen gehabt; ich hätte gerne noch mehr Tagebucheinträge vertragen. Doch Gott sei Dank ist das Buch von der Sorte, die gut und gerne in einem halben Jahr nochmals zum Schmökern hervorgeholt werden kann.
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