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Dienstag, 13. August 2013

„Das Mädchen Tsunako“ von Seiichi Funabashi

Seiichi Funabashis „Das Mädchen Tsunako“ hat mich ehrlich gesagt etwas ratlos zurückgelassen. Was wollte der Autor mit seinem Werk denn aussagen? Die Handlung ist relativ schnell umrissen: Die neunjährige Tsunako ist vernarrt in ihre hübsche Tante Iseko. Und diese wiederum ist unglücklich verliebt in den Geschäftsmann Izuminaka. Obwohl er Iseko die Heirat versprochen hat, ehelicht er eine ehemalige Geisha, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Trotzdem führt Iseko die unglückliche Liaison fort, bis sie in einem Badeort Selbstmord begeht.

Jahre später ist Tsunako, die ihrer Tante sehr ähnlich sieht, zur jungen Frau gereift und wird nun selbst zum Objekt der Begierde für Izuminaka. Zunächst scheint es so, als ob Tsunako ihm den Tod der Lieblingstante übel nimmt, doch schließlich ist sie Wachs in seinen Händen. Sehr zum Ärgernis ihrer Eltern und Izuminakas Ehefrau.

Wenn man so möchte, zeigt Seiichi Funabashi hier den Zusammenprall von Moral und sexuellen Begierden. Doch als Hauptbotschaft des Romans aus den 60er Jahren erscheint mir dies zu implizit eingeflochten in die Handlung. Ohnehin werden einem die Motivationen von Tsunako nicht wirklich klar: Erst will sie sich an Izuminaka für Isekos Tod rächen, dann ist sie so von seiner „Würde“ angetan, freut sich, der „Wolllust“ mit Izuminaka zu frönen, verspricht den Eltern Gehorsam, nur um dem Versprechen im nächsten Moment zuwider zu handeln… Ohnehin mag man dem Autor, der die Handlung primär aus Tsunakos Sicht voran treibt, unterstellen, sich einer sehr platten Sicht der weiblichen Perspektive zu bedienen. Für ihn scheint auf der Hand zu liegen, dass die Frau die passive und der Mann die aktive Rolle in einer Beziehung inne haben und dass Frauen ganz grundsätzlich dazu neigen, permanent ihre Meinung zu ändern. Letzteres spiegelt sich tatsächlich in dem Verhalten von Tsunako wieder. Andererseits ist dies freilich ein top Argument für den Autor, Tsunakos Gedankengänge nicht nachvollziehbar darstellen zu müssen. Letzteres ist sicherlich eine gemeine Unterstellung meinerseits, aber aus heutiger Sicht wirken solche geschlechterspezifischen Allgemeinplätze nun mal antiquiert.

Der Originaltitel von „Das Mädchen Tsunako“ lautet „Eine Frau aus der Ferne“. Dies mag implizieren, dass Iseko als Bezugsperson immer weiter in die Ferne rückt und nicht weiter das Schicksal von Tsunako und Izuminaka beeinflusst. Dass Iseko kurz vor ihrem Tod das Tagebuch der unangepasst lebenden Hofdame Murasaki Shikibu gelesen hat, kann auch darauf hinweisen, dass aus der Ferne der Zeit Moral weniger wichtig erscheint als die wahre Liebe. Doch trotzdem werde ich nicht schlau aus dem Roman: Ist Seiichi Funabashi ein Verfechter der freien Liebe? Pfeift er auf Moralvorstellungen und die konfuzianische Pietät? Will er zeigen, dass eine jüngere Frauengeneration weniger verletzlich ist als ältere Generationen? Oder dass kein Kraut gegen die Liebe gewachsen ist?

Bibliographische Angaben:
Funabashi, Seiichi: „Das Mädchen Tsunako“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar), Horst Erdmann, Tübingen/Basel 1967

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