„Gegen Abend
hocken am Flussufer
Menschen mit aufgequollenen Gesichtern
schwach ganz schwach atmend
zu ihren Füßen
aus dem Wasser ragend
der Kopf eines Kindes
das Gesicht entstellt
in den schmalen Augen
der Widerschein der sinkenden Sonne
still
und grausam
keine Hilfe gewährend“
(Tamiki Hara: „Gegen Abend“, S. 119)
„Seit jenem Abend“ versammelt erschütternde Zeugnisse der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki: Dokumentarische Berichte, Gedichte und Prosa der Autoren Sankichi Toge, Yoko Ota, Tamiki Hara, Shinoe Shoda, Sadako Kurihara, Mitsuko Yoshioka, Toshiko Machida, Mitsuharu Inoue, Chihoko Koura, Makoto Oda, Yuriko Taki und Azuma Konda.
Sankichi Toge, der sich während seiner Suche nach Verwandten und Bekannten einer großen Dosis der Sekundärstrahlung aussetzte und 1953 starb, verfasste mit seinen „Erinnerungsnotizen“ ein Tagebuch des Grauens aus den Notlagern, in denen Verletzte notdürftig behandelt wurden.
Tamiki Hara schrieb kurz nach dem Atombombenabwurf seine „Aufzeichnungen aus den Tagen, als wir Atombombenopfern wurden“, wie am 06. August 1945 urplötzlich das Chaos über Hiroshima hereinbrach. Seine Erzählung „Sommerblumen“ gilt als ein Hauptwerk der Atombombenliteratur: Der Ich-Erzähler ist zum Zeitpunkt des Abwurfs auf der Toilette, als ihn ein Schlag am Kopf trifft. Doch zum Glück stürzt das stabile Haus nicht wie die Gebäude in der Nachbarschaft ein. Feuer bricht aus und der Ich-Erzähler bricht mit seiner Familie zum Fluss auf, wo sich bereits viele Flüchtlinge versammelt haben. Hier sterben die Menschen wie die Fliegen. Die Körper dunsen auf, das Gesichter verformen sich zu einer undefinierbaren Masse. Durch die Nacht gellen die Todesschreie…
Ebenfalls gleich nach dem Atombombenabwurf verfasste Yoko Ota „Ein Licht wie auf dem Meeresgrund“; einen Erlebnisbericht, der am 30. August 1945 in der Asahi Shimbun erschien, noch bevor die US-amerikanische Zensur des „press code“ die Veröffentlichung von Atombombenliteratur verhindern konnte. Auch Yoko Ota hatte den Morgen zu Hause verbracht und musste sich erst einmal durch das zerstörte Gebäude nach draußen kämpfen, um im Anschluss vor den ausbrechenden Feuern zu fliehen. Drei Tage verbringt sie mit anderen Flüchtlingen am Unterlauf des Otagawa und erlebt das Sterben um sich.
1952 ließ sich Yoko Ota in eine psychiatrische Klinik einweisen. Die Erzählung „Ein halber Mensch“ basiert auf diesem Aufenthalt: Atsuko, eine bekannte Atombombenliteratin, ist seit dem Atombombenabwurf, dessen Opfer sie geworden war, zerrissen, nur noch ein halber Mensch. Sie hat Angst, wie Tamiki Hara zu enden, der sich aufgrund der weltpolitischen Entwicklungen und der Gefahr eines erneuten Einsatzes der Atombombe das Leben nahm. Deswegen unterzieht sie sich einer Schlaftherapie in der Hoffnung, ihre schrecklichen Erlebnisse vergessen zu können.
Inoue Mitsuharu ist mit zwei Erzählungen in „Seit jenem Tag“ vertreten. „Die Mädchen aus dem ‚Haus der Hände’“ sind Waisenmädchen aus Nagasaki, die nach dem Atombombenabwurf in dem „Haus der Hände“ untergebracht wurden. In dieser christlichen Institution helfen sie beim Töpfern. Als einige der aufgewachsenen Waisenmädchen schließlich heiraten, zeigen sich die Folgen des Atombombenabwurfs: Es scheint ihnen nicht vergönnt zu sein, gesunde Kinder zu gebären. Doch nicht nur das macht sie zu Außenseitern: Im Dorf des „Haus der Hände“ leben ausschließlich „verborgene Christen“, die seit dem Verbot des Christentums im 16. Jahrhundert im Geheimen ihren mit buddhistischen Elementen angereicherten christlichen Glauben pflegten.
In „Die Nacht davor“ lässt Mitsuharu Inoue die Normalität in der Nacht vor dem Atombombenabwurf Revue passieren: Eine junge Frau liegt in den Wehen, ihre Schwester heiratet. Dem Leser schaudert bei dem Gedanken, dass diese Normalität am nächsten Morgen abrupt zerbrechen wird.
Chihoko Koura beschreibt in „Erosion“, wie sie als Atombombenopfer die jährliche Gedenkfeier in Hiroshima erlebt. Als Hibakusha fühlt sie sich isoliert in der Menge der Menschen, die den Abwurf nicht selbst erlebt haben.
„You American!“ ist ein Kapitel aus Makoto Odas Roman „Hiroshima“ und beschreibt das Schicksal eines amerikanischen Kriegsgefangenen, der zur Zeit das Atombombenabwurfs in Hiroshima inhaftiert ist.
An manchen Stellen hat mir „Seit jenem Tag“ die Tränen in die Augen getrieben. Das Ausmaß der Atombombenabwürfe bleibt abstrakt, wenn man von soundsoviel hunderttausend Toten und Verletzten spricht. Doch erst die faktischen Erlebnisse von Einzelnen führen einem das Grauen vor Augen. Und das sicherlich nur in Ansätzen, die aber schon völlig ausreichen, einem Schauer über den Körper zu jagen.
Bibliographische Angaben:
Ito, Narihiko/Schaarschmidt, Siegfried/Schamoni, Wolfgang (Hrsg.): „Seit jenem Tag“, Fischer, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-25862-6
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