Melancholie, Müßiggang und Träumereien prägen das Leben des 18-jährigen Kiyoaki. Als Sohn eines Marquis kann er sich das auch leisten, denn außer zum Gakushuin, der Eliteschule für Adelige, zu gehen, hat der nicht gerade gelehrige Teenager nicht viel zu tun. Was ihn vielmehr fesselt, ist die obskure Hassliebe zu Satoko, mit der er aufgewachsen ist, um in einer anderen Familie die Verfeinerungen des Hofadels zu erlernen. Die ältere Satoko scheint den jüngeren Kiyoaki nicht für ganz voll zu nehmen und dennoch fühlt auch sie sich zu dem hübschen Jugendfreund hingezogen.
Obwohl die beiden immerhin bereits ein bisschen intim geworden sind, flammt die Liebe in Kiyoaki erst wirklich auf, als Satoko mit einem Prinzen der kaiserlichen Familie verheiratet werden soll. Kiyoaki, der sich ohnehin seit jeher an Sakrilegen erfreuen konnte, spinnt einen Plan, Satoko vor ihrer Verlobung zu verführen – auch wenn er bis dato noch keine sexuelle Erfahrung vorweisen kann.
Kiyoakis einziger Freund, sein Mitschüler Honda, ist so ganz anders als Kiyoaki. Der analytische Honda beschäftigt sich mit (Rechts-)Philosophie und ist gebannt von religiösen Mysterien und ihren Deutungsmöglichkeiten. Honda diskutiert mit dem uninteressierten Kiyoaki die gesellschaftlichen Veränderungen der Taisho-Zeit und ist Kyoakis Stütze während dessen Liebens- und Leidenswegs, der wohl kaum in ein Happy End münden kann.
Dass Kiyoaki dem Autor gleicht, tritt im Laufe der Geschichte immer stärker zu Tage: Genauso wie Yukio Mishima ist Kiyoaki ein hübsches, blasses und eher schwächliches Kind, das nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwächst. Er geht ebenso wie der Schriftsteller auf das Gakushuin und drückt sich durch eine fingierte Krankheit vor seinen Pflichten. Und auch eine engere Bekanntschaft zu einer späteren Verlobten und Ehefrau eines Mitglieds des kaiserlichen Hofes kann Yukio Mishima aufweisen: So trug er sich wohl in den 50er Jahren mit dem Gedanken, Michiko Shoda, die spätere Kaiserin Michiko, zu ehelichen.
Für mich nahm „Schnee im Frühling“ ein bisschen zu langsam Fahrt auf. Das wäre zu verkraften gewesen, wenn die Faszination, die das junge Liebespaar für den jeweils anderen empfindet, klar geworden wäre. Es scheint aber, als ob primär die Schönheit des Partners die „Liebe“ entfacht. Ob das nicht ein bisschen zu wenig ist, um gegen die kaiserliche Familie zu opponieren? Mir ist die Figur des unnahbaren Kiyoaki jedenfalls sehr fremd geblieben.
„Schnee im Frühling“ ist der erste Teil der Tetralogie „Das Meer der Fruchtbarkeit“. Ich bin gespannt auf die anknüpfenden Romane „Unter dem Sturmgott“, „Der Tempel der Morgendämmerung“ und „Die Todesmale des Engels“ – aufgrund des Themas der Seelenwanderung wird der eine oder andere Charakter sicherlich erneut seinen Auftritt haben.
Bibliographischen Angaben:
Mishima, Yukio: „Schnee im Frühling“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schaarschmidt, Siegfried), Goldmann, München 1987, ISBN 3-442-08856-9
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