Labels

Freitag, 21. Dezember 2012

„Von Stroh und Seide“ von Junichi Saga

Wie in „Der Yakuza“ kommen auch in „Von Stroh und Seide“ reale Personen zu Wort, deren Lebensgeschichten der Arzt Junichi Saga aufgezeichnet hat. Darunter ist auch Eiji Ijichi, „Der Yakuza“, der in einem Kapitel davon erzählt, wie es dazu kam, dass er sich von einem Glied seines kleinen Fingers trennen musste – freilich, eine Frau war der Grund… Aber auch mehr als 50 weitere Menschen erzählen in kurzen Kapiteln von ca. vier Seiten Umfang von ihrem Leben in den (primär) 20er und 30er Jahren rund um den Ort Tsuchiura. Damit gibt Junichi Saga Einblick in ein Japan vergangener Zeiten. Doch „Von Stroh und Seide“ romantisiert die alten Zeiten keinesfalls. Primär zeigt das Werk auf, wie hart das Leben damals war: Kinderarbeit war notwendig, um einer Familie das Überleben zu ermöglichen. Satt zu werden, galt als Luxus. Ebenso Kleidung zum Wechseln. Selbst mit schwerster körperlicher Arbeit war kaum Geld zu verdienen. Und je nach wirtschaftlicher Lage wurden Neugeborene „ausgelichtet“ – direkt nach der Geburt getötet, da ein weiterer Esser das Überleben der ganzen Familie in Frage stellen hätte können.

Doch „Von Stroh und Seide“ ist auch kein trauriger Tatsachenbericht – die Lebensfreude und Schelmigkeit der Menschen blitzt immer wieder durch: Die armen Schuldner verstecken sich am letzten Jahrestag vor dem Geldeintreibern, da an Neujahr ihre Schulden traditionsgemäß verfallen sein werden. Zwei alte Geishas schwärmen von der Schneidigkeit der damaligen Marine-Offiziere. Zwei schon seit Kindheit befreundete Herren unterhalten sich über ihre Streiche – unter anderem wie sie mit Zyankali „gefischt“ haben. Und der Pfandleiher unterstützt klammheimlich verschuldete Familien, die sich bei Nacht und Nebel davonmachen wollen, indem er ihnen einen guten Preis für ihre wenigen (geliehenen) Sachwerte macht.

„Von Stroh und Seide“ gibt einen authentischen Einblick in den Alltag der Menschen, indem sie selbst zu Wort kommen. Und genauso wie die Erzähler merkt der Leser, wie gut es den Menschen zwischenzeitlich geht – auch wenn dies mit städtischer Anonymität und dem Verlust der Naturbezogenheit einher geht.

Wer sich für japanischen Alltag früherer Zeiten interessiert, für den wird „Von Stroh und Seide“ sicherlich ein Fest sein: Die Friseurin erklärt, in welchem Alter die Haare der Mädchen wie frisiert wurden und was die Frisur symbolisierte. Die Hebamme erzählt von ärmlichen Hausgeburten. Der Tatami-Macher gibt Einblick in die traditionelle Herstellung von Tatamis. Und der Färber spricht davon, was es mit dem Spruch „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle Färbersleute“ auf sich hat.

Bibliographische Angaben:
Saga, Junichi: „Von Stroh und Seide“, Edition Peperkorn, Göttingen 1994, ISBN 3-929181-03-7

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen