Koganecho – die Stadt des Goldes – ist Yokohamas runtergekommenes Rotlichtviertel: Huren, Yakuza und Glückspieler tummeln sich dort. Und auch der Junge namens Kazuki streicht seit Jahren im Viertel umher. Sein Vater Hidetomo betreibt in Koganecho eine Pachinko-Halle, weswegen der Stadtteil zu Kazukis Heimat wird. Dort treibt er sich mit dem Yakuza Kanamoto rum und kehrt im Imbiss „Goldener Pavillon“ ein, deren Betreiber er Opa Sada und Oma Shige nennt. Doch Kazuki ist nicht mehr der kleine Junge, den die Prostituierten gerne auf den Schoß nahmen und schaukelten. Mit 14 Jahren ist er mehr als unzugänglich, nimmt Drogen, schwänzt die Schule und spielt sich in der Spielhalle seines Vaters als Chef auf. Wenn seine Angst und Wut aufeinanderprallen, entlädt sich Kazukis Gewaltpotenzial: So erschlägt er eines Tages mit dem Golfschläger einen der beiden Dobermänner seines Vaters, verletzt den anderen so schwer, dass er eingeschläfert werden muss.
Kazukis Familienverhältnisse sind alles andere als harmonisch: Seine Mutter hat die Familie verlassen. Kazukis älterer Bruder Koki ist geistig behindert und benötigt permanente Pflege. Seine ältere Schwester Miho treibt sich wie Kazuki in der Stadt herum; schläft für Geld mit älteren Männern, um der eigenen Leere zu entkommen. Hidetomo schlägt seine provokante Tochter vor den Söhnen, die unfähig sind, einzuschreiten. Hidetomo betrachtet Kazuki als seinen Erben und verrät ihm das Versteck für das an der Steuer vorbei gehortete Gold.
Als Hidetomo Kazuki droht, ihn in die Obhut eines strengen Lehrers zu geben, sieht Kazuki rot. Wut und Angst prallen aufeinander und er tötet den despotischen Vater mit einem Samurai-Schwert, verscharrt den Leichnam im Keller. Endlich ist der Störenfried beseitigt, der ein harmonisches Familienleben unmöglich machte. Kazuki träumt von einer liebevollen Familie – doch ob sich dies vor dem Hintergrund des Mordes realisieren lässt?
Die Autorin Miri Yu wurde von dem Fall des Schülers Sakakibara so aufgewühlt, dass sie mit „Gold Rush“ eventuelle Gemeinsamkeiten mit Gewalttätern ausloten wollte. Sakakibara ermordete 14-jährig eine 10-jährige Schülerin und einen 11-jährigen geistig behinderten Jungen in Kobe. Seine Morde bezeichnete er als Spiel. In den Ermittlungsakten wurde Sakakibara als Junge A geführt. Miri Yu nimmt dies auf und spricht über Kazuki meist von „dem Jungen“.
Doch auch eigene Erlebnisse der Autorin fließen in „Gold Rush“ mit ein: Ihr Vater arbeitete ebenfalls in einer Pachinko-Halle in Koganecho, sie selbst verbrachte als Jugendliche ihre Freizeit in diesem Rotlichtviertel. Familiäre Gewalt erlebte sie zur Genüge. Daher machte sie ähnliche Erfahrungen wie Kazukis Familie: Wenn die Kommunikation scheitert, dann bleibt als letztes Mittel die Gewalt.
„Gold Rush“ ist sicherlich keine Belletristik im wörtlichen Sinn: Denn schön ist die Auseinandersetzung mit einem minderjährigen Mörder, der in Rage gebracht zu Gewaltexzessen neigt, sicherlich nicht. Doch legt die Autorin den Finger in die Wunde: Wenn der Vater Probleme mit Gewalt löst und dem Sohn vorlebt, dass dies Macht verschafft, scheint der Junge ein zu guter Schüler zu sein, wenn er schließlich den Vater tötet. Der Junge bleibt dennoch ein Kind – wünscht er sich doch nichts anderes als familiäre Geborgenheit.
Bibliographische Angaben:
Yu, Miri: „Gold Rush“, be.bra Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86124-911-5
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