Der Ich-Erzähler in Soseki Natsumes Roman ist ein Botchan, ein Grünschnabel. Er stammt aus Tokio und rühmt sich einer unbekümmerten Ehrlichkeit, wie es sich für einen echten Edokko gehört. Darüber hinaus ist Botchan aber auch tollpatschig, einfach gestrickt, ungehobelt und neigt zu Übersprungshandlungen. Bereits als Kind eher das schwarze Schaf der Familie schließt vor allem die alte Bedienstete Kiyo den kleinen Tor aus Tokio in ihr Herz.
Doch irgendwann ist die Zeit für Botchan gekommen – er soll auf eigenen Füßen stehen und wird hinaus in die Welt geschickt. In irgendein Kaff, an dessen Mittelschule er Mathematik unterrichten soll. Irgendwie hat der Jungspund aber noch nicht gerafft, auf welcher Seite er ab sofort steht; er gibt wie ein Schüler seinen neuen Kollegen Spitznamen: Dachs nennt er den Rektor, Rothemd den Konrektor. Der Zeichenlehrer erhält den Titel Clown und seinen direkten Vorgesetzten benennt er als Stachelschwein.
Die Schüler machen Botchan, der die Regeln auf dem Land nicht kennt und nicht ahnt, dass es für ihn ab sofort keine Anonymität mehr gibt, das Leben schwer. Da werden schon einmal Grashüpfer in seinem Bett deponiert. Doch auch mit dem lieben Kollegen ist’s ein Kreuz: Die aufgeblasenen Herren planen eine Intrige nach der anderen. Ob sie mit dem unbedarften Botchan ein einfaches Spiel haben werden?
Soseki Natsume, der selbst eine Weile auf dem Land unterrichtete, wusste sicher ein Lied über das Leben als Lehrer auf dem Lande zu singen. „Der Tor aus Tokio“ lebt vom flapsigen Ton des Ich-Erzählers und seinen unverblümten Schilderungen. Während seine Kollegen sich mit ihrem Wissen über ausländische Kunst oder Haikus schmücken, ist dies alles dem Botchan völlig schnuppe – was juckt ihn ein Haiku, das die Schönheit einer Blume preist, die sich um einen blöden Eimer rankt. Die Affektiertheit der Herrschaften geht ihm auf die Nerven und dies kann er leider kaum verbergen.
Soseki Natsumes Sarkasmus in „Der Tor aus Tokio“ ist ein Rundumschlag, trifft alle wichtigtuerischen, intriganten, opportunistischen, pseudo-moralischen, kleinmütigen und grobschlächtigen menschlichen Eigenschaften und hält der Gesellschaft damit den – weiß Gott – unangenehmen Spiegel vor.
Bibliographische Angaben:
Natsume, Soseki: „Der Tor aus Tokio“, Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-936018-71-4
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