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Freitag, 28. Dezember 2012

„Das Haus mit den Sonnenblumen“ von Yumiko Kurahashi

Vor der Lektüre von „Das Haus mit den Sonnenblumen“ empfiehlt es sich, sich etwas in die griechischen Sagen einzulesen. Denn die Mythen rund um die Familie des Agamemnon nimmt die Autorin Yumiko Kurahashi als Grundlage für die zwei Antitragödien des Bandes. Doch Yumiko Kurahashi erzählt keineswegs nur nach, indem sie die Handlung in die Moderne überträgt, sondern überzeichnet, deutet auf ihre Weise und lässt den Akteuren teilweise ein neues, anderes Schicksal zukommen. Dennoch bleibt sie wesentlichen Elementen der griechischen Klassik verhaftet, wie Wolfgang E. Schlecht in seinem aufschlussreichen Nachwort bemerkt: Da wäre der Chor, der in verschiedenen Ausprägungen zum Einsatz kommt, und der Deus ex machina, der die überraschende Lösung von Konflikten herbeiführt. Hierzu gehört freilich auch generell die Themenstellung, die die großen, existentiellen Antagonismen umfasst: Freiheit versus Zwang, Individualität versus Kollektivität, Schuld versus Pflicht.

Sicherlich lässt sich „Das Haus mit den Sonnenblumen“ auch ohne Kenntnisse der griechischen Mythologie genießen. Dennoch erleichtert es einem die Lektüre, wenn man sich vorab schon etwas in die Verwandtschaftsbeziehungen eingelesen hat. Wir begegnen dem jungen Mann K (= Orest), der gerade aus einer Besserungsanstalt entlassen wurde. Er besucht das Grab seines verstorbenen Vaters (= Agamemnon), wo er auf L (= Elektra, oder auch nach Homer Laodike) trifft. L glaubt in K ihren Zwillingsbruder wieder zu erkennen und weiht ihn in ihre Pläne ein: Sie will ihre Mutter (= Klytaimnestra) und deren Geliebten (= Aigisthos) töten, haben diese doch den Vater, als er zusammen mit seiner Sekretärin (= Kassandra) von Geschäftsreise zurück kam, heimtückisch ermordet und sind einer gerechten Strafe entgangen. K wird wie durch einen Bann in die Handlung gezogen, vollführt seine Rolle wie ein Schauspieler und kann alsbald nicht mehr auseinander halten, was Maske und was sein wahres Gesicht ist. Das Schicksal nimmt seinen Lauf und K wird bald nicht nur von kleinen, schwabbeligen Teufeln (= Erinyen) verfolgt.

„Das Haus mit den Sonnenblumen“ gleicht einem Literaturexperiment und liest sich daher an manchen Stellen etwas sperrig. Dennoch macht es Spaß, Ks Schicksal zu verfolgen und den Stoff der griechischen Sagen mit einem neuen, manchmal überraschenden Twist wieder zu entdecken.

Ein bisschen schade nur, dass es von Yumiko Kurahashi ansonsten derzeit leider nur noch eine weitere Übersetzung mit „Die Reise nach Amanon“ gibt. „Das Haus mit den Sonnenblumen“ macht Lust auf mehr – insbesondere da K und L wiederkehrende Charaktere in Yumiko Kurahashis Werk sind.

Bibliographische Angaben:
Kurahashi, Yumiko: „Das Haus mit den Sonnenblumen“, Theseus-Verlag, Zürich/München 1991, ISBN 3-85936-051-5

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