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Montag, 3. Dezember 2012

„Das Leben eines Narren“ von Ryunosuke Akutagawa

Puh, das ist schon ein komisches Gefühl, wenn man einen Abschiedsbrief eines Selbstmörders und dessen kurz vor dem Tod selbstverfasste Lebensgeschichte liest. Insbesondere wenn es sich dabei um niemand anderen als Ryunosuke Akutagawa handelt. Der Autor, der sich im Alter von 35 Jahren das Leben nahm, schrieb wenige Wochen vor seinem Tod durch eine Überdosis Veronal „Das Leben eines Narren“. 51 Kapitel(chen), die zum Teil nur wenige Zeilen umfassen, beleuchten einzelne Lebensstationen und zeichnen ein trostloses Bild: Ryunosuke Akutagawa verzweifelt (unter anderem) an seiner wirtschaftlichen Verantwortung, die er den vielen Familienmitgliedern gegenüber hat:

„Er hatte die Absicht gehabt, ein wildes Leben zu führen, gleichgültig gegenüber dem Zeitpunkt seines Todes. Und nahm dennoch unverändert in allem Rücksicht auf seine Adoptiveltern und seine Tante. Dieser Einstellung hatte er die helle und die dunkle Seite seines Lebens zu verdanken.“ (S. 47)

Auf seiner dunklen Seite ist er ein Misanthrop, der anderen Menschen gar den Tod wünscht:

„Das Haus seiner älteren Schwester und das Haus seines Stiefbruders waren niedergebrannt. Und den Mann seiner Schwester hatte man wegen Meineids zu einer Bewährungsstrafe verurteilt…
’Sollen doch ruhig alle sterben!’“ (S. 42)

Und:

„’Töte! Töte! …’
Wieder und wieder erklang dieses Wort wieder in seinem Kopf.“ (S. 39)

Er fühlt sich unzulänglich. Die Gesellschaft verachtet er und fürchtet sie gleichzeitig. Der Selbsthass schlägt sich in physischen Leiden nieder. Er glaubt, verrückt zu werden, leidet unter Schlaflosigkeit. Nur Schlafmittel erlauben ihm, wenige Stunden am Tag klar denken zu können. Den Selbstmord erachtet er bereits als die einzige Erlösung, die ihn befreien kann.

Kurz flackern auch einige für ihn wichtige Menschen in „Das Leben eines Narren“ auf: Die konträre Lebenseinstellung eines Junichiro Tanizaki, der Tod seines Förderers Soseki Natsume, die für Akutagawa verstörende Begegnung mit der Dichterin Mineko Matsumura… Und freilich beschäftigt er sich mit Literatur, mit der Kunst.

In knappen Sätzen beschreibt Akutagawa seine Gefühlslage und wird damit seinem desolaten Zustand sicherlich am besten gerecht. Eine unglaubliche Hoffnungslosigkeit und Desillusionierung schwingen mit.

Das Manuskript von „Das Leben eines Narren“ war für Masao Kume, einem engen Freund Akutagawas, ebenso bestimmt, wie der Abschiedsbrief „Notiz für einen Freund“, der ebenfalls in der Ausgabe des Suhrkamp Verlags abgedruckt ist. Abgeklärt beschreibt Akutagawa hier, wie er seit zwei Jahren über den Selbstmord reflektiert hat. Wie er nach der besten und möglichst schmerzfreien Möglichkeit gesucht hat, sich das Leben zu nehmen. Welchen Ort er für seinen Tod wählen sollte. Ob er wie andere Selbstmörder ein „Sprungbrett“ (vielleicht eine Frau, die sich ebenfalls das Leben nehmen möchte) benötigt. Und ob es ihm wohl gelingen würde, seinen Selbstmord so geschickt zu inszenieren, dass man einen natürlichen Tod annehmen könnte. Mit dem Leben hat er abgeschlossen:

„Ich habe mehr als andere gesehen, leidenschaftlicher als andere geliebt und mehr als andere begriffen. Inmitten all des Kummers erfüllt allein dies mich mehr oder minder mit Befriedigung.“ (S. 76)

Das dünne Büchlein ist schwer zu verdauen. Akutagawa steht vor der Wahl, dem Wahnsinn zu verfallen oder Selbstmord zu begehen. Ist der Selbstmord die finale Niederlage oder die ersehnte Befreiung? Wie nahe liegen Genie und Wahnsinn beieinander?

Bibliographische Angaben:
Akutagawa, Ryunosuke: „Das Leben eines Narren“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-22254-6

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