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Mittwoch, 5. Dezember 2012

„Schwarzer Regen“ von Masuji Ibuse

„Als sich der Qualm wieder verzog, sahen wir, dass das Hindernis eine Leiche war, mit einem toten Baby im Arm. Von da an ging ich immer voran und gab auf alle dunklen Gegenstände, die auf dem Weg lagen, sorgsam Acht. Dennoch stolperten wir noch so manches Mal über Tote und fielen vornüber, wobei wir mit den Händen in den heißen Asphalt einsanken. Einmal blieb ich mit dem Schuh an einer halbverbrannten Leiche hängen, deren Fuß- und Schenkelknochen verstreut herumlagen.“ (S. 111)

Die Hölle auf Erden hat einen Namen, der Hiroshima lautet. Als am 06. August 1945 die Atombombe über der Stadt abgeworfen wird, werden die Bewohner der Stadt mitten in die Apokalypse katapultiert. Der Autor Masuji Ibuse, der zu diesem Zeitpunkt zwar in einem Dorf in der Präfektur Hiroshima lebte, aber erst Stunden später vom Ausmaß der Katastrophe erfuhr, veröffentlichte 1965 die ersten Kapitel seines Werks „Schwarzer Regen“, das Siegfried Schaarschmidt im Nachwort als „dokumentarischen Roman“ bezeichnet. Wo bleibt denn noch Platz für Fiktion, wenn die grausigsten Ereignisse ohnehin schon Realität geworden sind?

Shigematsu Shizuma nimmt die anstehende Verheiratung seiner Nichte Yasuko Anfang der 50er Jahre zum Anlass, seine Tagebucheinträge vom 06. August bis zum 15. August 1945 ins Reine zu schreiben. Shigematsu erlebt den Atombombenabwurf am Bahnhof. Glücklicherweise wird er nur leicht verletzt: Die eine Hälfte seines Gesichts wird seltsam angesengt – er kann die Haut in komisch verfärbten Fusseln abziehen. Er macht sich auf, seine Ehefrau Shigeko und seine Nichte Yasuko zu suchen. Kilometerweise schlägt er sich durch die zerstörte Stadt und muss sich ein Bild der grausamen Zerstörung machen. Wie der Großteil der Überlebenden versuchen auch die drei außerhalb der Stadt eine Bleibe zu finden. Auf dem Weg hören sie von ihren Leidensgenossen deren Erlebnisse während und nach dem Abwurf: Schüler wurden an ihren Schulpulten zu Asche pulverisiert, Soldaten durch die Druckwelle gegen Gebäude geschleudert. Doch fast noch schlimmer erwischt es die, die durch die Strahlung elendig zu Grunde gehen müssen. Das sind neben den Einwohnern auch Hilfstrupps, die aus dem Umland nach Hiroshima kommen. Schließlich stapeln sich die Leichen in der Stadt, die in der hochsommerlichen Hitze schnell verwesen. Die Krematorien sind komplett überlastet; die Leichen müssen in Erdlöchern verbrannt werden. Die Überlebenden kämpfen zudem gegen die Militärbürokratie: Nur die militärische Ausgabestelle darf über das Kohlenlager verfügen. Doch wohin soll man sich wenden, wenn die Ausgabestelle komplett zerstört ist und alle Mitarbeiter gestorben sind?

Zurück in der Rahmenhandlung in den 50ern weist ein potenzieller Heiratskandidat Yasuko zurück: Mit einer Überlebenden der Atombombenkatastrophe, mit einer Hibakusha, möchte er sich nicht einlassen. Obwohl es Yasuko bis dato relativ gut ging, beginnt schließlich doch die Strahlenkrankheit auszubrechen. Die hübsche junge Frau leidet unter großen Schmerzen, bekommt eiternde Furunkel, die Zähne fallen aus.

Dadurch dass „Schwarzer Regen“ die Geschichten unterschiedlicher Personen einfängt, entsteht ein apokalyptisches Panoptikum des Atombombenabwurfs, das einem an so manchen Stellen den Atem stocken lässt. Es wäre schön, wie bei anderen krassen Romanen alles mit einem „ist ja nur ein Buch“ abtun zu können. Doch „Schwarzer Regen“ beruht auf Tatsachen, die in Realität noch viel entsetzlicher gewesen sein mögen.

Bibliographische Angaben:
Ibuse, Masuji: „Schwarzer Regen“, Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-25846-4

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