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Montag, 15. Oktober 2012

„Die Zeit, die uns bleibt“ von Toshiki Okada

Zwei Erzählungen enthält Toshiki Okadas „Die Zeit, die uns bleibt“, die jeweils vom Leben junger Erwachsener in Tokio berichten:

„Fünf Tage im März“ erleben ein Mann und eine Frau statt eines One-Night-Stands. Sie lernen sich auf einer Performance in einem Club kennen. Die Mitmach-Diskussion wird von Ausländern initiiert und thematisiert schwere Kost: Die US-amerikanische Invasion im Irak steht kurz bevor, „Bowling for Columbine“ ist gerade angelaufen. Doch so richtig kommt die Performance nicht in Gang – die Japaner sind zu zurückhaltend. Die Stimmung wird immer träger. Doch zwei der Gäste gewinnen dem Abend doch noch etwas Positives ab: Sie verschwinden in ein Love Hotel, in dem sie sich fünf Tage einnisten und ausgiebig Sex haben. Statt Love & Piece zelebrieren die beiden Sex & War. Denn zwischenzeitlich hat der Krieg im Irak begonnen.

Wer sich heiße Sexszenen von „Fünf Tage im März“ verspricht, wird nur wenige, knappe und überhaupt nicht erotische Beschreibungen der Tollereien finden. Die Erzählung zeichnet ganz andere Bilder: Die Japaner sind am Krieg kaum interessiert. Diskussionen überlassen sie lieber Ausländern; Protestmärsche haben nur verschwindend kleine Ausmaße und wenn überhaupt, gerät man nur zufällig in eine Demonstration. Die jungen Menschen kommen sich nicht so recht nahe. Sex oder eher lapidares Miteinander-Gehen ist da schon häufiger.

„Der Plural meiner Orte“ ist die zweite Erzählung. Sie handelt von einer jungen Ehefrau, die ihren Call-Center-Job schwänzt, während der Ehemann nach seiner Nachtschicht ein Nickerchen in einem Café hält, bevor er zu seinem Zweitjob aufbricht. Die Frau befindet sich in der schimmligen Erdgeschosswohnung des Ehepaars. Etwas Besseres als das feuchte Apartment können sich die beiden nicht leisten. In der letzten Nacht hat die Frau in privaten Blogs gestöbert und ist auf den einer frustrierten Call-Center-Mitarbeiterin gestoßen. So beginnen sich die Realitätsebenen zu verwischen: Ist die Ehefrau mit der Bloggerin gleichzusetzen? Und wer ist die Frau, die den im Café schlafenden Ehemann beobachtet.

„Der Plural meiner Orte“ ist eine trostlose Erzählung: Trotz eines Kunststudiums hat es die Ehefrau nur zu einem Call-Center-Job gebracht. Der Ehemann reibt sich in zwei Jobs auf und dennoch lebt das Ehepaar in einer Bude, die mehr muffige Höhle als Wohnung ist. Im Umgang der Eheleute fehlt zwischenmenschliche Wärme.

Einfach zu lesen sind beide Erzählungen nicht. Bandwurmsätze und Umgangssprache ohne Punkt und Komma reihen sich aneinander. Die Trost- und Perspektivlosigkeit, die die Protagonisten erleben, wirken ziemlich deprimierend. Doch sicherlich hat „Die Zeit, die uns bleibt“ den Kenzaburo Oe-Literaturpreis, mit dem der Band ausgezeichnet wurde, verdient, legen die Erzählungen doch den Finger in die Wunde des Prekariats: Japans junge Leute sehen keine Zukunft für sich.

Bibliographische Angaben:
Okada, Toshiki: „Die Zeit, die uns bleibt“, S. Fischer, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3100540171

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