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Samstag, 4. Mai 2013

„Das Casting“ von Ryu Murakami

Es hat mich ungemeint gefreut, dass mit „Das Casting“ endlich wieder ein Ryu Murakami-Roman ins Deutsche übersetzt wurde. Das Werk hält, was man sich vom Autor verspricht:

Aoyama ist Anfang 40, ein etablierter Videofilmproduzent, Vater eines Teenagers und seit einigen Jahren Witwer. Den überraschenden Tod seiner Frau Ryoko hat er zwischenzeitlich endlich überwunden. Es wäre nun durchaus für ihn an der Zeit, sich nach einer neuen Partnerin umzusehen. Doch auf ein klassisches Omiai hat Aoyama wirklich keine Lust. Seine Kontakte zur Filmszene gebären eine Schnapsidee: Wieso sollte man denn nicht ein Casting veranstalten, um zwar vordergründig eine Schauspielerin zu suchen, aber im Grunde genommen nach einer perfekten Heiratskandidatin für Aoyama Ausschau zu halten?

Für Aoyama kristallisiert sich sehr zügig eine Favoritin unter den Bewerberinnen heraus. Es ist die 24-jährige Schönheit Asami, in die sich Aoyama vom Fleck weg verliebt. Aoyama ist noch etwas unbeholfen mit seinen Flirtversuchen, doch es gelingt ihm offensichtlich, schrittweise Asamis Herz für ihn zu erwärmen. Schließlich gesteht sie ihm gar ihre traurige Vergangenheit: Als ungeliebtes Kind wuchs sie auf und musste extreme körperliche und seelische Züchtigungen durchleben. Aoyama glaubt ihr, dass dieses Trauma für Asami nun ausgestanden ist und der Vergangenheit angehört.

Die Warnungen seiner Bekannten schlägt Aoyama in den Wind. Auf andere wirkt Asami eher undurchsichtig und gefährlich, während Aoyama für Asami schon voll und ganz Feuer gefangen hat. Der Leser kann nur hoffen und bangen, dass sich die Befürchtungen von Aoyamas Bekannten nicht bewahrheiten.

Während „Das Casting“ noch recht gemütlich beginnt, werden die letzten Seiten mehr als spannend. Wer die bereits erschienenen Ryu Murakami-Romane kennt, der weiß, dass darin gerne mal ein Psychopath austickt. Diese Erwartungshaltung wird von „Das Casting“ freilich nicht enttäuscht. Ein bisschen fehl leitet jedoch das Cover: Wer eine Schulmädchen-Szene erwartet, dessen Vorstellungen werden sicherlich nicht erfüllt.

Gestört haben mich jedoch die wenigen Sätze, mit denen Asamis Verhalten aus deren Motiven erklärt wird. Dieser Perspektivwechsel kommt etwas arg abrupt und ist eigentlich auch unnötig, da der aufmerksame Leser Asamis Haltung ohnehin erahnen kann.

Da ich selbst kein Japanisch kann, kann ich die deutsche Übersetzung natürlich nicht mit dem Original vergleichen. Jedoch scheinen so manche Stellen in „Das Casting“ noch eine kleine Überarbeitung nötig zu haben. Einige kleine, ausgewählte Beispiele:

„dass die Begegnung zwischen ihnen ein Schicksalsschlag war…“ (S. 66):
Der Begriff „Schicksalsschlag“ ist negativ konnotiert, während der verliebte Protagonist in diesem Fall bestimmt einen „Wink des Schicksals“ oder eine „schicksalhafte Begegnung“ meint. Dass ein Schicksalsschlag folgen mag, ist zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht abzusehen.

„weil du sterblich in sie verliebt bist“ (S. 130):
Wenn ich mich nicht täusche, dann ist man doch unsterblich in jemanden verliebt und nicht sterblich.

„hatte er oft und oft angerufen“ (S. 162):
Damit ist wohl eher „wieder und wieder“ gemeint.

Daran sollte man sich sicherlich nicht allzu sehr stören. Aber vielleicht mag der Verlag für eine eventuelle zweite Auflage ja nochmals den Korrekturstift ansetzen.

Bibliographische Angaben:
Murakami, Ryu: „Das Casting“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Federmair, Leopold & Yajin, Motoko), Septime, Wien 2013, ISBN 978-3-902711-15-1

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