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Mittwoch, 23. Februar 2011

„Schwager in Bordeaux“ von Yoko Tawada

Die Japanerin Yuna studiert in Hamburg und schreibt keine Romane, Erzählungen oder Gedichte. Yuna schreibt Ideogramme in ein kleines Notizbuch, die sie im Nachhinein wieder in eine Geschichte auflösen könnte, wenn sie denn wollte. Yuna erzählt über Hamburg, über Bordeaux, über ihre Freundinnen, Kolleginnen, Bekannte während sie einen Sprachurlaub in Bordeaux plant und schließlich auch antritt. Damit hat es sich eigentlich auch schon an relevanter Handlung. Viel wichtiger als das Was ist das Wie in dem traumwandlerischen Roman von Yoko Tawada. Denn die Erzählstruktur entspricht Yunas Eigenart, Geschehnisse in einem einzigen Ideogramm festzuhalten. Jedem Abschnitt von „Schwager in Bordeaux“ wird tatsächlich ein Ideogramm vorangestellt, das sich in den folgenden Zeilen in eine kleine Geschichte auflöst. Yuna hüpft von einem Gedanken zum nächsten, greift ein Stichwort auf und setzt in einem ganz neuen Setting wieder neu damit an.

„Schwager in Bordeaux“ von Yoko Tawada ist meines Wissens mit guten 200 Seiten das längste Werk der Autorin – und eine literarische Perle. Wunderbarer Wortwitz und Wortmalereien treffen auf kleine Absurditäten und eine Beobachtungsgabe, die wohl nur ein Fremder in einem neuen Kulturraum haben kann.

Da man die Sprache der Autorin Yoko Tawada nicht annähernd in umschreibende Worte fassen kann, nun einige kleine Kostproben aus „Schwager in Bordeaux“.

Das Wort Klempner:
„Yuna hatte eine Vorliebe für dieses Wort. Die Kraft einer Hand, die eine Metallstange biegt, war im Klang dieses Wortes enthalten. Auch der Widerstand der Metallstange, die nicht gebogen werden wollte, war aus dem Wort herauszuhören.“ (S. 20)
 Über Nebenwirkungen:
„Hierzulande redet man zuviel über Nebenwirkungen, als wäre es etwas Kriminelles. Dabei hat jede Sache eine Nebenwirkung: Trinkwasser hat auch eine Nebenwirkung. Die Ehe sowieso, aber vielleicht auch eine Freundschaft.“ (S. 43 f.)
Gestern dort, heute hier:
„Bedeutet das, dass gestern, also etwas, was man als gestern bezeichnet, dort ist? Ist dort wirklich ein Ort? Ist heute immer hier? Und was gibt es zwischen gestern und heute? Manche würden behaupten, zwischen hier und dort liege eine Nacht. Also jenseits der Nacht müsse noch eine andere Yuna weiterleben, die dort zurückgeblieben war. So vermehrte sie sich selbst bei jeder Nachtfahrt, und in jedem Zeitraum blieb ein Exemplar derselben Person zurück.“ (S. 64)
Beispiele für die Bildhaftigkeit der Sprache:
„Die Sonne schien senkrecht in die schmale Gasse hinein und leckte jede Ecke der beiden Häuserreihen mit ihrer rauen Zunge ab.“ (S. 144)
„Das Kind lief auf ihn zu, klammerte sich an sein rechtes Bein wie ein Koala an einen Eukalyptus.“ (S. 148)
Liebesbeziehung:
„Die Liebenden müssen dauerhaft einen Machtkampf führen, um das Ich-Ufer vor dem Angriff des Du-Sturms zu verteidigen.“ (S. 188)
Tod:
„Der Tod eines Körpers schein kein einmaliges Geschehen zu sein. Vielmehr bedeutet er für die Lebenden den Beginn einer Hellhörigkeit. Sie zwingt einen, in viele Gesichtsausdrücken, harmlosen Anekdoten und selbst in der Wortwahl einer Person eine Kette des Sterbens zu erkennen.“ (S. 199)
Ob es wohl Absicht war, auf dem Buchcover das Meer abzubilden, obwohl Yuna immer wieder insistiert, dass Bordeaux nicht am Meer liegt? Die einzelnen Episoden von „Schwager in Bordeaux“ schwappen jedenfalls wie kleine Wellen ans Ufer – und machen Sehnsucht nach einem literarischen Ausflug an dieses Meer des Geschichtenerzählens, in dem sich Worte wie kleine, wendige Fische tummeln.

1 Kommentar:

  1. Hallöle,

    na Du Bloggerin, eine sehr interessante Seite hast Du da aufgebaut! V.a. die Werbung unten :-))))))

    LG von der Online-Marketing-Front (ST)!

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