In drei Erzählungen porträtiert Yasushi Inoue die letzten Lebensjahre seiner Mutter, ihren physischen Verfall, ihre Altersdemenz und schließlich ihren Tod.
In „Unter den Blüten“ ist seine Mutter 80 Jahre und bereits dement. Außenstehenden mag dies nicht auffallen; doch die Familienmitglieder, die viel Zeit mit ihr verbringen, hören sich dieselben Geschichten immer wieder an, als wäre der Gesprächsstoff der Mutter eine hängen gebliebene Schallplatte. Darüber hinaus erinnert sie sich gern an Geschehnisse aus ihrer Kindheit, insbesondere an ihren Schwarm Shumma. Ihren verstorbenen Ehemann erwähnt sie dagegen so gut wie nie. Selbst einen Grabbesuch an seinem Todestag verweigert sie. Das Notizbuch, in das sie die Kondolenzgeschenke anlässlich seines Todes notiert hatte, studiert sie jedoch mit einer Obsession bei jedem neuerlichen Todesfall, als wolle sie niemandem etwas schuldig bleiben und erst von der Welt abtreten, wenn sie das letzte Geschenk zurückerstattet hat.
Fünf Jahre später, im Jahr 1969, schreibt Yasushi Inoue mit „Der Glanz des Mondes“ eine weitere Erzählung über seine Mutter, die inzwischen 85 Jahre alt ist. Die Mutter lebt zunächst bei ihrer allein stehenden Tochter Kuwako in Tokio und raubt ihr mit den immerwährenden Wiederholungen ihrer Erzählungen den letzten Nerv. Schließlich nimmt sich die ältere Tochter Shigako ihrer Mutter an. So lebt die Mutter wieder im Haus ihrer eigenen Kindheit und löscht die Jahre in ihrem Gedächtnis, in denen sie die 40er überschritten hat. Es hat den Anschein, dass sie sich ihrer Kindheit auch emotional nähert. Ihren eigenen Bruder, der aus dem Ausland zurückgekehrt ist, erkennt sie nicht mehr, sondern nennt ihn nur den „Herrn Amerikaner“. Auch ihre anderen Verwandten behandelt sie mehr und mehr wie Fremde.
89-jährig stirbt die Mutter schließlich. In „Die Schneedecke“ lässt Yasushi Inoue ihre letzten Jahre Revue passieren. Sie wird immer verwirrter, geistert nachts mit einer Taschenlampe durchs Haus und erschreckt die Familienmitglieder, wenn sie ihnen ins Gesicht leuchtet, dass sie aus dem Schlaf aufschrecken. Den Verwandten bleiben bloß Vermutungen über die Gründe ihres Verhaltens. Doch schließlich stirbt sie von einem Tag auf den anderen.
„Meine Mutter“ ist eher nüchtern und dokumentarisch verfasst. Da der Autor die Pflege primär seinen Schwestern und kurzzeitig seiner Tochter überlässt, schimmern die zerrissenen Gefühle der Damen nur flüchtig durch: Einerseits lieben sie die (Groß-)Mutter, andererseits werden sie wieder und wieder von ihr verletzt, wenn sie sie in ihrer Verwirrtheit beispielsweise als Dienstmädchen betrachtet. Und auch die Scham der Mutter, wenn sie hin und wieder ihre eigene Unzulänglichkeit bemerkt, wird nur gestreift. Ein bisschen schade, denn gerade diese psychologischen Beobachtungen hätten die Erzählungen sicherlich bereichert.
Bibliographische Angaben:
Inoue, Yasushi: „Meine Mutter“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, ISBN 978-3-518-38275-2
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