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Sonntag, 27. November 2011

„Knabenjagd“ von Taeko Kono

Taeko Konos „Knabenjagd“ enthält neben der gleichnamigen Erzählung vier weitere namens „Krabben“, „Die letzten Stunden“, „Die Flut“ und „Eisenfisch“.

„Knabenjagd“ ist wohl die bekannteste Erzählung von Taeko Kono und auch ihre verstörendste: Akiko verspürt eine enorme Abneigung gegen kleine Mädchen im Alter zwischen drei und zehn Jahren. Umso mehr fühlt sie sich zu kleinen Jungen hingezogen. Am Ziel, Opernsängerin zu werden, ist Akiko gescheitert. Mit Übersetzungen verdient sie mehr schlecht als recht. Ihre forsche Art findet einen krassen Gegenpol in ihrer Sexualität: Sie liebt es, von ihrem Partner geschlagen zu werden. Die Brutalität der sadomasochistischen Praktiken steigert sich von Mal zu Mal. Die masochistisch veranlagte Akiko läuft Gefahr, ihre Lust mit dem Leben zu bezahlen. Vielleicht schlummert auch insgeheim dieser Wunsch in ihr. Denn auch in ihrer liebsten Fantasie wird ein kleiner Junge zu Tode geschlagen.

Yuko ist die Protagonistin in „Krabben“. Sie erholt sich gerade von ihrer Tuberkulose und bittet ihren Ehemann Kajii darum, zur Kur ans Meer fahren zu dürfen. Hier fühlt sie sich wie befreit und könnte sich gar vorstellen, ihren patriarchalischen Mann zu verlassen und in dem Küstenort neu anzufangen. Als ihr Neffe Takeshi mit seinen Eltern zu Besuch kommt, erreicht sie mit dem Versprechen, mit ihm Krabben suchen zu gehen, dass er bei ihr zwei Tage verbringt, bis Kajii sie aufsuchen wird. Doch das scheinbar einfache Unterfangen, am Strand eine Krabbe zu finden, erweist sich als ein Projekt der Unmöglichkeit.

„Die letzten Stunden“ sind die von Noriko, die in 26 Stunden sterben soll. In dieser Situation beginnt sie über ihre Ehe mit Asari nachzudenken. Die Ehepartner lieben sich, aber im Alltag gibt es keine Auseinandersetzungen. Noriko nimmt gar von ihrer Vorgängerin vergessene Gegenstände dankbar als Geschenke von Asari an. Kann man dies als eine richtige Ehe bezeichnen? Oder sind sie nur eine Frau und ein Mann, die zusammenleben?

Ein 12-jähriges Mädchen erlebt in „Die Flut“ den Beginn des zweiten Weltkriegs, der in Kontrast zum beschaulichen Leben zuvor illustriert wird. Kriegsschiffe halten eine Parade ab, die Kinder werden auf Tapferkeit und Fleiß eingeschworen, Feuerwerke dürfen nicht mehr stattfinden, der Klassenlehrer wird eingezogen und für die Schuluniform kann nur noch minderwertiger Stoff verarbeitet werden.

Die Frau hat ihren Ehemann verloren, da er in den „Eisenfisch“ stieg, der gegen den Rumpf des Riesenfisch rammte. Nun wird ihr Ehemann in einem Heiligtum verehrt. So lautet die Umschreibung der Frau für den Tod ihres Manns als menschlicher Torpedo im zweiten Weltkrieg. Das Heiligtum ist der Yasukuni-Schrein, der den gefallenen japanischen Soldaten gewidmet ist. Erst Jahre nach Kriegsende findet die Frau die Kraft, den Schrein und insbesondere einen ausgestellten Torpedo zu besichtigen. Doch sie kann sich den Schrecken des Krieges nur stellen, indem sie verklausuliert von Eisenfischen und Riesenfischen spricht.

Mit Ausnahme von „Die Flut“ kreisen die Themen des Bandes um die Ehen und Partnerschaften der Protagonistinnen. In einer patriarchalischen Gesellschaft finden die Frauen unterschiedliche Strategien zur Bewältigung des Alltags, mögen sie auch noch so bizarr sein.

Einige Stellen in „Knabenjagd“ sind so drastisch, dass man sie am liebsten Überlesen würde. Doch insbesondere „Eisenfisch“ ist ein raffiniert konstruiertes Stück Erzählkunst, das man nicht missen möchte.

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