Chiyo Unos „Die Geschichte einer gewissen Frau“ habe ich mehr aus Zufall direkt nach Hitomi Kaneharas „Obsession“ (im Englischen: „Autofiction“) gelesen: Beides sind im Grunde Autobiographie, die eine mehr die andere weniger nahe an der Realität. Beide Protagonistinnen wandern etwas willkürlich von einem zum anderen Liebhaber. Trotzdem: Im Vergleich zu Chiyo Uno kann eine Hitomi Kanehara freilich nur verlieren. Wenn man bedenkt, wie fortschrittlich und unerschrocken Chiyo Unos Protagonistin Kazue (und Chiyo Uno in der Realität) bereits in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war, kann man nur den Hut vor diesem Mut ziehen.
Nach dem Tod des patriarchalischen Vaters kehrt die Freude und die Freiheit in Kazues Wohnhaus ein. Sie schminkt sich, wird sich ihrer Schönheit bewusst und beginnt als Lehrerin zu arbeiten. Als sie eine Affäre mit einem der Lehrer beginnt, kommt es zwangsläufig zum Skandal und sie muss die Kündigung einreichen. Nach einer 3-monatigen Flucht nach Korea zieht sie in einer geschwisterlichen Beziehung mit ihrem Cousin zusammen. Und so reiht sich Affäre an Affäre, Liebschaft an Liebschaft ohne dass Kazue jemals eine Heirat in Betracht zieht. Denn dies ist eine der wenigen bewussten Entscheidungen, die sei trifft: Sie wird niemals eine Ehe eingehen. Ansonsten lässt sie sich treiben und tut, wonach es ihr ist – sowohl im Privaten als auch im Beruflichen. Hier hat sie einen Wesenszug ihres Vaters übernommen. Doch während dies für einen Mann gesellschaftlich anerkannt ist, befindet sich Kazue als Frau in einer Vorreiterstellung. Kazue beklagt sich jedoch nie – sie tut, wonach ihr ist und ist selbst in großer finanzieller Not glücklich.
1972 erschien „Die Geschichte einer gewissen Frau“ im japanischen Original und ermutigte die Japanerinnen zur Emanzipation. Nicht wenige nahmen sich Kazue als Vorbild. Ihre Geschichte klingt abenteuerlich und doch entspricht sie in groben Zügen der Biographie der Autorin Chiyo Uno.
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