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Sonntag, 16. August 2015

„Eigenwetter“ von Nanae Aoyama

Mit „Eigenwetter“ gewann Nanae Aoyama den 136. Akutagawa-Literaturpreis. Jury-Mitglied Ryu Murakami lobte insbesondere Nanae Aoyamas Talent für Dialoge. Und tatsächlich: Die Mischung aus Beschreibung und wörtlicher Rede erscheint genau richtig, wenn die Autorin die Ich-Erzählerin Chizu aus einem Jahr ihres Lebens berichten lässt. Chizu ist 20, als ihre Mutter arbeitsbedingt nach China gehen will. Die Mutter sorgt dafür, dass Chizu bei einer weitläufigen Verwandten, der 71-jährigen Ginko, in Tokio unterkommt. Chizu weiß nicht so recht wohin mit sich. Studieren mag sie nicht, irgendwas will sie arbeiten – aber Hauptsache, sie kann in Tokio wohnen. Chizu fühlt sich einsam, verlassen und irgendwie leer. Ihrer Mitbewohnerin Ginko begegnet sie mit Sarkasmus. Doch Ginko ist alt und weise genug, um sämtliche Sticheleien einfach an sich abprallen zu lassen.

Die Kapitel des Romans, dessen Erzählzeit ein gutes Jahr umfasst, sind in die vier Jahreszeiten eingeteilt. In „Frühling“ wird Chizus Leben auf den Kopf gestellt: Ihre Mutter lässt sie allein in Japan zurück, ihre neue Heimat wird Tokio. Ihre Beziehung zu ihrem Freund zerbricht. Im Sommer wartet eine neue Liebe auf Chizu. Der Herbstwind weht Chizu leider scharf ins Gesicht und erst im Winter, der eigentlich kalten Jahreszeit, wird es Chizu wieder etwas wärmer ums Herz.

Nanae Aoyama beschreibt mit „Eigenwetter“ die Generation der Freeter, die entweder keine Vollzeitstelle finden kann oder sich gar nicht erst auf eine traditionelle Bürokarriere einlassen will. Die Protagonistin Chizu selbst steht bald vor der beruflichen Entscheidung, weiterhin zu jobben oder eine Festanstellung anzunehmen. Vielleicht kann man die Botschaft von „Eigenwetter“ dann auch so deuten: In Zeiten, in denen der tradierte Familienzusammenhalt erodiert, bietet zumindest ein fester beruflicher Rahmen Sicherheit. Chizu hat manchmal regelrechte Panikzustände, was ihre Zukunft angeht:

„Ob die Panik dann verginge?
Es würde mir nie gelingen, so etwas wie ein ‚vernünftiges’ Leben zu führen, hatte ich das Gefühl.“ (S. 119)

Ein weiteres Motiv ist der Generationenkonflikt. Im Fall von Chizu und ihrer Mutter sieht der aber nicht so aus, wie man denken könnte:

„Schon in der Pubertät hatte ich die Jugendlichkeit und das Vertraulich-Tun meiner Mutter gehasst. Nicht das Nicht-Verstanden-Werden hatte mich gestört, sondern das Verstanden-Werden.“ (S. 77)

So stößt Chizu ihre Mutter immer wieder weg und fühlt sich gleichzeitig von ihr im Stich gelassen.

Bei „Eigenwetter“ habe ich ein kleines Nachwort vermisst. Insbesondere hätte mich interessiert, wie dieser doch recht eigenwillige Titel des Kurzromans auszulegen ist. Die jahreszeitlichen Bezüge der einzelnen Kapitel nehmen natürlich auch die jeweiligen Witterungsbedingungen auf und ohnehin stehen diese in einer ganz typischen japanischen Erzähltradition. Das Wetter beeinflusst Chizu natürlich auch in ihrer Lebens- und Denkweise. Daher spiegelt sie die reale Witterung mit einem eigenen (Seelen-)Wetter. Aber vielleicht ist diese Deutungsweise auch zu weit hergeholt?

„Eigenwetter“ wirkt wie das dunkle Spiegelbild eines Banana Yoshimoto-Romans. Die Zutaten wie z.B. das generationenübergreifende Zusammenleben, der Neubeginn, das Verlassenwerden, die Selbstfindungsversuche von jungen Erwachsenen sind sehr ähnlich. Doch Nanae Aoyamas Protagonistin Chizu ist sarkastisch, zynisch, verletzend und erlebt allzu viele Rückschläge. Damit ist „Eigenwetter“ ein ziemliches Kontrastprogramm zu den Banana Yoshimoto-Werken. Und trotzdem hat die Lektüre Spaß gemacht – vielleicht eben gerade, weil die süßliche Banana Yoshimoto-Komponente wegfällt.

Bibliographische Angaben:
Aoyama, Nanae: „Eigenwetter“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Busson, Katja), Cass, Löhne 2014, ISBN 978-3-944751-05-4

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