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Mittwoch, 19. August 2015

„Blumen im Schnee“ von Akira Yoshimura

Ryosaku ist im 19. Jahrhundert Arzt in der Stadt Fukui, die jedes Jahr aufs Neue von einer verheerenden Pockenepidemie heimgesucht wird. Ryosaku leidet sehr unter seiner eigenen Hilflosigkeit – er ist Arzt und kann doch nicht das Geringste gegen die fatale Krankheit ausrichten. Die verängstigten Menschen greifen nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet. Sie nehmen sogar getrocknete Kuhfladen zu sich, nachdem das Gerücht aufgekommen ist, dies würde gegen die Pocken helfen.

Ryosaku hat wie so gut wie alle japanischen Ärzte chinesische Medizin studiert. Japan hat sich gegenüber dem Westen abgeschottet und nur langsam tröpfeln die Erkenntnisse der westlichen Medizin ins Land. Die Grundhaltung der japanischen Ärzte ist jedoch skeptisch gegenüber den neuen ärztlichen Herangehensweisen – so auch Ryosaku. Doch als er zufällig den Arzt Ryogen kennenlernt, beginnt er sich für die sogenannte „Holland-Medizin“ zu interessieren und geht gar nach Kyoto, um bei dem Arzt Teisai die westliche Heilkunde zu erlernen.

Irgendwann kommt Ryosaku zu Ohren, dass außerhalb von Japan eine Impfmethode gegen die Pocken existiert, indem man die Impflinge mit den harmlosen Kuhpocken infiziert. Er ist außer sich vor Begeisterung und beschließt, von seinem aufgeschlossenen Fürsten die Bewilligung zum Import der Kuhpockenerreger zu erwirken. Doch ob die Petition überhaupt den Fürsten erreichen wird, wenn unverständige Bürokraten sie ihm vielleicht vorenthalten? Und mag die abergläubische Bevölkerung die westliche Methode überhaupt akzeptieren oder gar Reißaus nehmen, wenn der Arzt das Wort Pocken nur in den Mund nimmt?

Akira Yoshimura beschreibt mit „Blumen im Schnee“ die große Mühsal und das unermüdliche Engagement des Arztes Ryosaku Kasahara, seine Mitmenschen vor den Pocken zu schützen. Gegen alle Widrigkeiten – sei es die Bürokratie, das Winterwetter, persönliche Angriffe verbaler und physischer Natur – kämpfte er, um sein Ziel zu erreichen. Jedoch berührt der Kurzroman aus dem Genre der dokumentarischen Literatur leider nur wenig. Zwar wird ein wahrlich tapferer, leidensfähiger Mann beschrieben, doch die Handlung wird mit zu vielen Fakten angereichert, die zwar sicherlich historisch korrekt sind, aber auch hie und da langweilen. Vielleicht ist das aber auch die grundsätzliche Schwäche der dokumentarischen Literatur, die sich im Spannungsbereich Fakten und Fiktion (und damit Spannung und Emotion) bewegt und daher nicht beide Aspekte voll bedienen kann.

„Blumen im Schnee“ ist mit einem interessanten Nachwort von Gerhard Bierwirth versehen. Hier erfährt der Leser, falls es sich ihm nicht ohnehin erschlossen hat, dass der Titel des Werks nicht wörtlich zu verstehen ist. Die „Blumen“ zeigen sich in Form von Rötungen auf der (schnee)weißen Haut der Impflinge, wenn die Kuhpockenerreger angeschlagen haben. Darüber hinaus werden Akira Yoshimuras Intentionen verdeutlicht:

„Yoshimura [.] hat sich mit der vielleicht noch schwierigeren Aufgabe als Aufklärer begnügt. Als ein Aufklärer, der weder selbst agitiert noch unverbindlich informiert, sondern als ein Aufklärer, der mit der Überzeugungskraft der Fakten sowohl in Gestalt seiner historischen Romane bzw. Erzählungen als auch in seiner dokumentarischen Literatur gegen verkrustete Strukturen und Denkweisen die Vernunft und ein möglichst un-ideologisches Geschichtsbewusstsein mobilisieren wollte.“ (S. 119)

Bibliographische Angaben:
Yoshimura, Akira: „Blumen im Schnee“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierwirth, Gerhard & Moriwaki, Arno), Iudicium, München 2015, ISBN 978-3-86205-429-9

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