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Sonntag, 13. Januar 2019

"Der nasse Tod" von Kenzaburo Oe

Ich bin wahrlich kein großer Kenzaburo Oe-Fan, aber den "Roman über meinen Vater", wie es im Untertitel heißt, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Wer "Der Tag, an dem ER selbst mir die Tränen abgewischt" gelesen hat, kennt bereits das Motiv, das "Der nasse Tod" zu Grunde liegt. Zum Ende des zweiten Weltkriegs stürzt sich der Vater des Erzählers in einen aussichtslosen Aufstand und kommt um. Vor der Lektüre von "Der nasse Tod" macht es also Sinn "Der Tag, an dem ER selbst mir die Tränen abgewischt" und auch "Tagame. Berlin –  Tokyo" gelesen zu haben, da auf die beiden Werke immer wieder eingegangen wird.

Oes Alter Ego Kogito begibt sich in der aktuellen Neuveröffentlichung zurück in seine Heimat. Zehn Jahre nach dem Tod seiner Mutter möchte ihm seine Schwester Asa einen roten Koffer übergeben, wie es die Mutter zu Lebzeiten verfügt hat. Von dem Inhalt des Koffers erhofft sich Kogito Material, um endlich den Roman "Der nasse Tod", in dem er die wahre Geschichte um den mysteriösen Tod seines Vaters darlegen will, zu schreiben. Der frei erfundene Roman "Der Tag an dem ER selbst", der ein ähnliches Thema hatte und schon vor Jahren veröffentlicht wurde, hatte damals zum Bruch mit der Familie geführt. Eine Theatergruppe namens "Caveman" will Kogitos Aufenthalt zudem nutzen, um den noch im Entstehen begriffenen Roman in ein Stück umzusetzen.

In der Tat nimmt die Theaterarbeit den Großteil der Handlung ein. Das Stück soll Collage-artigen Charakter haben und auch der reale Roman benutzt dieses Mittel: Neben der Ich-Erzählung werden Briefe, Zitate, eine Tonbandaufnahme und Interviews eingefügt.

Was entsteht, ist aber leider eben kein "Roman über meinen Vater", sondern eher ein Roman über die Theaterschauspielerin Unaico, die sich mit dem politischen Establishment anlegt. Um starke Frauen geht es ohnehin viel mehr als um den Vater. Irritierenderweise nimmt der Roman auf den letzten dreißig Seiten eine geradezu dramatische Wendung, die irgendwie so gar nicht zu den vorhergehenden knapp 400 Seiten passt und auf mich sehr unrealistisch gewirkt hat. Und so erscheint auch der Roman wie eine Collage, die viel zu viele Themen abdecken mag und nicht fesseln kann.

Leider wirken die Charaktere auch wenig sympathisch und geradezu unzugänglich. Die Figur des Kogito neigt zum Phlegmatismus, Asa erscheint fast schon ein bisschen herrisch, während Unaico als recht spröde beschrieben wird. Dazu kommt noch seitenweise direkte Rede, die die monologisierenden Charaktere recht uncharmant wirken lässt.

Was ich mir bei "Der nasse Tod" sehr gewünscht hätte, das wäre ein ausführliches Nachwort gewesen. Da hätte erläutert werden können, inwieweit der Autor mit seiner Figur Kogito deckungsgleich ist. Und welche Geschehnisse auch in Realität passiert und welche reine Fiktion sind. Wie ist denn Kenzaburo Oes Vater wirklich gestorben? Und was hat es z.B. mit der Geschichte um Meisukes Mutter auf sich? Geht es hier um den Bauernaufstand von 1853, dessen Wortführer Meisuke Miura war? Und gab es wirklich einen Aufstand, der später von Meisukes Mutter angeführt wurde? Google hilft hier leider auch nicht weiter.

Tatsächlich habe ich mich beim Lesen recht durch die Seiten quälen müssen. Und dabei wären die Zutaten wirklich ergiebig gewesen: ein mysteriöser Tod, alte Legenden aus dem Wald, ein eingebildeter Freund aus Kindheitstagen, ein alternder Autor, der sich dem eigenen Tod, seinem verblassenden Ruhm und der Versorgung seines behinderten Sohnes stellen muss, Frauenschicksale, Intrigen aus dem rechten Spektrum… Irgendwie schade, dass der Roman trotzdem allzu zäh zu lesen ist. Und so werde ich auch mit dem Spätwerk des Autors leider kein Oe-Fan.

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: "Der nasse Tod" (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), S.Fischer, Frankfurt/Main 2018, ISBN 978-3-10-397218-4

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