Hashis und Kikus Start ins Leben ist mehr als hart – ein Wunder, dass die beiden Protagonisten aus Ryu Murakamis „Coin Locker Babys“ überhaupt überleben. Denn ihre Mütter deponieren sie jeweils mehr tot als lebendig in Schließfächern, um den missliebigen Nachwuchs loszuwerden. Unglaubliches Glück und Überlebenswille bescheren Hashi und Kiku eine zweite Geburt – statt aus einer Gebärmutter aus einem brütendheißen Schließfach.
Im katholischen Kinderheim treffen Hashi und Kiku aufeinander und werden beste Freunde, später sogar Brüder als sie von derselben Familie adoptiert werden. Doch an Normalität ist bei dem Geburtstrauma nicht zu denken. Die Mutter ein Schließfach, der Papa der Herr im Himmel – noch während ihrer Zeit im Waisenhaus werden Hashi und Kiku durch Hypnose therapiert. Als sie schließlich adoptiert werden und auf eine abgelegene Insel ziehen, scheint ein idyllisches Familienleben zum Greifen nach – wenn da nicht eine erneute Hypnose alte Wunden aufreißen würde…
Allzu viel mehr sollte man glatt nicht von der Handlung von Ryu Murakamis „Coin Locker Babys“ verraten. Das Werk, das vielleicht ganz gut als Coming-of-Age-Endzeitroman beschrieben werden könnte, zeichnet sich durch mehrere Höhepunkte aus. Gerade als man denkt, jetzt sollte sich die Geschichte dem Ende nähern, holt Ryu Murakami neu aus, bringt neue Charaktere, neue Ziele und neue Probleme ins Spiel. Das ist zwar ein bisschen irritierend, tut dem Lesevergnügen allerdings keinen Abbruch, wenn man sich darauf einlässt, sich wieder in komplett neues Setting einzufühlen. Recht atmosphärisch lassen sich die Beschreibungen der Szenerien an ohne dabei zu langweilen.
Der Klappentext zu „Coin Locker Babys“ führt allerdings ein bisschen in die Irre: Hashi und Kiku verlassen zwar tatsächlich die heimatliche Insel und streben nach Tokio. Doch keineswegs deshalb, weil sie ihre Mütter aufspüren und töten möchten. Der sanfte, verletzliche Hashi möchte die Welt der Töne erforschen und Sänger werden. Daher geht er in die Hauptstadt, um hier die erstrebte Karriere einzuschlagen. Der maskuline Kiku kommt ihn schließlich suchen. Im Giftghetto, wo sich Verbrecher, Taugenichtse und Wahnsinnige versammeln, treffen die beiden wieder aufeinander, um aber schließlich auf die je eigene Weise ihre Bestimmung zu finden.
Einzig und allein: Ich bin mit dem recht spröden Charakter des Kiku nicht so recht warm geworden. Mag er noch so sehr aussehen, wie ein junger Gott, wenn er weißgekleidet und braungebrannt auf einem Motorrad dahindüst. Hashi dagegen wirkt selbst im Wahn noch irgendwie liebenswert.
Bibliographische Angaben:
Murakami, Ryu: „Coin Locker Babys“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Septime, Wien 2015, ISBN 978-3-902711-35-9
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