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Mittwoch, 19. Juni 2013

„Träume im Kristall“ von Yasunari Kawabata

Der Erzählband von Yasunari Kawabata präsentiert vier Erzählungen. Er beginnt mit „Träume im Kristall“, einer Erzählung die primär aus direkter Rede und inneren Monologen der namen- und kinderlosen Protagonistin besteht. Die Zutaten sind illuster: Bei ihr, der Tochter eines Gynäkologen und Ehefrau eines Embryologen, hat sich bisher der Kinderwunsch nicht eingestellt. Die Professionen ihres Vaters und ihres Mannes verhöhnen diese Situation geradezu. Damit nicht genug: Die Protagonistin hält sich einen Rüden, der gerne dazu angehalten wird, zu Zuchtzwecken Hündinnen zu besteigen. Besonderen Reiz erhält die Erzählung, durch die Aneinanderreihung von Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit der Protagonistin.

„Der Schatten der älteren Schwester“ ist eine bezaubernde Erzählung aus dem Jahr 1933, die ich ohne weiteres Banana Yoshimoto zugeschrieben hätte, wenn mir der Autor unbekannt gewesen wäre. Yasunari Kawabata schreibt hier eine herzerwärmende Geschichte um die junge, unverheiratet Tsuruko, die verstorbene Schwester, die beste Freundin Sakiko und deren Ehemann. Genau wie bei Banana Yoshimoto wird eine außerordentlich innige Beziehung der Charaktere untereinander porträtiert, aber auch die Einsamkeit Tsurukos.

Etwas bizarr wird es in „Ein Arm“: Nach einem Rendezvous mit dem Ich-Erzähler reagiert eine junge Frau recht vertraulich – sie nimmt ihren Arm ab und gibt ihn dem Protagonisten in Obhut. Der kehrt mit dem Arm nach Hause, unterhält sich mit ihm und erlebt auch weiterhin recht Ungewöhnliches. Hier erinnert die Erzählung eher an Kobo Abe.

„Das Mal auf der Schulter“ sorgt für Streit in der Ehe der Ich-Erzählerin. Selbstvergessen berührt sie gerne ein Muttermal - eine Angewohnheit, die den Ehemann zur Raserei treibt. Erst Gespräche mit der Mutter eröffnen ihr ihre unterschwellige Motivationen für die Berührungen.

Eigentlich mag ich Yasunari Kawabatas Werke nicht sonderlich. Insbesondere die ersten drei Erzählungen in „Träume im Kristall“ haben mich wieder einmal eines Besseren belehrt. Der Band präsentiert eine eindrucksvolle Bandbreite der literarischen Klaviatur, die der Autor beherrscht.

Bibliographische Angaben:
Kawabata, Yasunari: „Träume im Kristall“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schaarschmidt, Siegfried), Suhrkamp, Frankfurt/Main 1974

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