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Sonntag, 30. Juni 2013

„Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt“ von Kenzaburo Oe

Da liegt er, der namenlose 35-jährige, mit seinem Leberleiden im Krankenhaus, die Augen beschirmt mit der Taucherbrille seines verstorbenen Vaters, den er und die Mutter nur abfällig den ALTEN nennen, und diktiert einer Protokollantin seine „Geschichte einer Zeitgenossenschaft“.

Dem Leser erschließen sich so Schritt für Schritt die einschneidenden Erlebnisse des Protagonisten, der genauso wie der Autor Kenzaburo Oe im Jahr 1935 geboren und in einem abgelegenen Dorf aufgewachsen ist. Die Lektüre als solche ist anspruchsvoll. Da ist einerseits das Diktat des Kranken, das in der dritten Person gehalten ist und einen flüssigen Lesefluss durch die geschraubten Formulierungen verhindert. Diese Niederschrift wird immer wieder unterbrochen durch die Geschehnisse, Unterhaltungen und Monologe in der Gegenwart, die en bloc und ohne Anführungszeichen formuliert sind.

Zuviel mag ich an dieser Stelle über die Handlung gar nicht verraten, da der Reiz von „Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt“ gerade darin liegt, dem Protokoll des Kranken zu folgen und zu beobachten, wie sich das Puzzle langsam von selbst zusammensetzt. Nur soviel: In Kenzaburo Oes Kurzroman trifft man auf typische, wiederkehrende Elemente. Da ist ein abgelegenes Dorf. Da ist ein Speicherhaus, in dem sich jemand versteckt hält. Und schließlich gibt es wieder eine kleine Revolte, in der jemand in einem Karren durch das Dorf gezogen wird. Eingebettet ist das Szenario primär in die letzten Kriegsjahre und in die Kapitulation Japans.

„Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt“ wirkt schwermütig wie „Der stumme Schrei“. Doch während ich mich durch letzteren Roman durchgequält habe, die Depression des Protagonisten glatt in die Seele des Lesers unangenehm eingedrungen ist, baut „Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt“ eine diffuse Spannung auf, die aus dem Geheimnis um den ALTEN und die „happy days“ des Protagonisten gespeist wird.

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenazburo: „Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt“, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1995, ISBN 3-518-01396-3

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